Crwin Guido Kolbenheyer.
Schon in dem nächsten Werk, dem „Meister Joachim
Pausewang" (1910), ist jenes Aiel erreicht. Wie richtig
hat den Dichter sein Entwicklungsdrang geführt, als er
ihm bei seinen Vorarbeiten zum Parazelsus den Plan
eingab, eine Schusternovelle in Form einer Selbst-
biographie zu schreiben, in der Jakob Böhme als „Neben-
figur" vorkommen sollte! So war von vornherein die
Gotik des Stoffes äußerlich auf den kleinsten Maß-
stab beschränkt und zugleich ganz auf verklärte Besinnlich-
keit und Andacht zum Unscheinbaren gestellt; so war von
vornherein die Gefahr zurückgedrängt, daß Kolbenheyer
seine jüngen Kräfte am Bau eines Domes überspannte,
und er konnte vielmehr in Gestalt eines Sakraments-
häusleins sein Meisterstück machen und sich als künftigen
Dombaumeister ausweisen.
Freilich mit der Novelle ist es nichts geworden. Sie
war wohl auch nur ein Vorwand, den der Schaffenstrieb
des Dichters vor seinem Bewußtsein brauchte, um ihn
an das große Werk zu locken. Sobald die Sätze ge-
schrieben waren, mit denen heute das Buch beginnt,
und die in ihrer bescheiden und bedächtig abwehrenden
Haltung und in ihrem redlich-frommen, altväterischen
Tonfall Gcist und Rhythmus des Ganzen wunderbar
vorausverkünden, sobald war es auch schon entschieden,
daß hier der „lange Atem" des Romanerzählers nötig
war, um dem erfüllten und doch nicht erstorbenen Leben
des alten Meisters Joachim Pausewang sein Recht
werden zu lassen.
Und wie wird dieses Leben gleich auf den ersten
Seiten in die ausdrucksvolle deutsche Welt des Refor-
mationsjahrhunderts und insbesondere in das gestalten-
reiche Bürgerleben von Alt-Breslau hineingestellt! Da
wirkt noch die ungeminderte Triebfülle des Mittelalters
herein in der Prachtgestalt des Vaters Pätzke Pausewang,
da ist alle Persönlichkeitsentwicklung noch gebunden, aber
auch umhegt und genährt vom Patriarchalismus der
Familie, der Aünfte und Stände und der Kirche, da
kündigt sich die Erweichung und Jndividualisierung des
deutschen Christentums, wie sie im Pietismus zu einem
gewissen Akschluß kam, in der betrachtsamen Frömmig-
keit Joachims an, für die alle Worte nur Aeichen sind
„vor ein stilles, heimlichs und kaum geahnetes Wesen,
das dahinter ruhet und all der Gleichnisse ewigen Sinn
verbirgt". Und alles ist durchwirkt mit den Aeugnissen des
„eigenstarken Gcistes" von Jakob Böhme, dem „deutschen
Großmcister von der himmelstiefen Besinnlichkeit".
Daher ist die Luthersprache mit ihrer naturgewach-
senen Bildkraft und ihrem starken Rhythmus die not-
wendige Eigenform dieses Werkes, und wenn sie vielen
modernen Lesern scheinbar unüberwindliche Hemmungen
bereitet, so ist das zwar ein trauriger Beweis mehr für
die nie genug beklagte Tatsache, daß die meisten Menschen
heute nur noch mit den Augen und nicht mehr mit den
Ohren lesen und daher kein Verständnis mehr für den
Rhythmus erzählender Prosa haben; es ist aber auch
zugleich ein Glück, da so alle bloßen Romanfresser dem
Werke von vornherein ferngehalten und alle, die es
ernsilich sich aneignen wollen, zu langsamem Lesen ge-
zwungen werden.
Wer nach dem Erscheinen des Pausewang geglaubt
hatte, Kolbenheyer vermöge nur den Geist vergangener
Aeiten zu beschwören, die Gestaltung ausgesprochen
moderner Stoffe liege ihm aber nicht, für den war das
nächste Werk eine gründliche Uberraschung. Es hieß
„Montsalvasch" (1912),und sein Untertitel „EinRoman
für Jndividualisten" deutete an, daß sich der Dichter hier
bewußt der literarischen und weltanschaulichen Konven-
tion seiner Aeit entgegenstelle. Und eine „Warnung",
die er (wenigstens in der ersten Auflage) der Erzählung
vorausschickt, betont noch ausdrücklich, daß die Handlung
dieses Romans, obgleich sie unmittelbar auf die Gegen-
wart bezogen sei, „weder durch süßmusikalische Paarungs-
poesie noch durch wildbewegte Offenbarungsromantik die
Lüsternheit des unbefangenen Lesers oder des begabten
Rezensenten einigermaßen zu kitzeln imstande sei".
Es ist die Krise einer modernen deutschen Mannes-
jugend, die wir miterleben. Und zwar ist der reine Tor,
den wir auf seinem Weg nach Montalvosch die erste
schwerste, Strecke begleiten, ein österreichischer Student
der Philosophie. Da er eine ausgesprochene Philosophen-
natur ist, also sein Leben auf begrisfliche Selbst- und
Weltdarstellung stellen muß, droht ihm vom Aeichen-
haften, vom Worte als Begriffsträger die schwerste,
innerlichste Lebensgefahr. „Sokrates", heißt es einmal
warnend, „ist regelrecht und logisch an seinem Glauben
gestorben. Er glaubte an die Reinheit der Wortbegriffe.
Das ist für einen ehrlichen, impulsiven Menschen immer
tödlich. So etwas können auf die Dauer nur Pfaffen-
naturen aushalten. Die Sophisten haben ihm nur den
Strick gedreht, das waren die Handlanger." Aber da
seine Jnsiinkte gesund und unverkümmert sind, über-
windet er die Gefahr, obwohl sie durch eine leidenschaft-
liche Liebe aufs höchste gesteigert wird; in ihm siegt das
Leben über das Wort, die Seele über den Geist, der
Sinn über den Aweck. Anders in seiner Geliebten, einer
studentischen Vorkämpferin der Frauenbewegung, die
nur auf Augenblicke an seiner reinen Kraft völliger Hin-
gabe zu sinnvollem Leben erwacht und dann wieder in
den Bann der lebensmörderischen Ratio zurücksinkt. Sie
vernichtet selbst ihre Mutterhoffnung zum stärksten
Beweis für die Entartung ihrer Weiblichkeit. (Nie ist in
einer Dichtung das, was man treffend ein „Verbrechen
gegen das keimende Leben" nennt, so eindrucksvoll
in seiner Sinnbildlichkeit dargestellt worden.)
Obwohl so der Dichter unzweideutig das Recht der
Seele gegen den Geist verteidigt, kommt auch das
Begriffliche in seinem Werke so wenig zu kurz, daß sogar
viele, die das Buch nur einmal gelesen haben, über der
Tatsache, daß es eines der geistreichsten Bücher unserer
Literatur ist, geradezu die für seinen künstlerischen Rang
wichtigere vergessen, daß es auch eines der seelenvollsten
Bücher ist. Bei näherem Ausehen erkennen wir staunend,
wie stark der seelische Auftrieb, wie unmittelbar und
nachhaltig das dichterische Schauen Kolbenheyers sein
Mlißte, um eine solche Fülle philosophischer Betrach-
tungen tragen zu können. Wieviel Originelles und
Scharfsinniges wird da in ernstem und in humoristischem
Ton über alle Lebensfragen unserer Aeit (besonders auch
über Frauenemanzipationen) geredet, ohne daß die
Handlung gedanklich überfrachtet, ihre Träger zu Sprach-
rohren eines überredungssüchtigen Schriftstellers und
ihre Schauplätze zu toten „Hintergründen" herab-
Schon in dem nächsten Werk, dem „Meister Joachim
Pausewang" (1910), ist jenes Aiel erreicht. Wie richtig
hat den Dichter sein Entwicklungsdrang geführt, als er
ihm bei seinen Vorarbeiten zum Parazelsus den Plan
eingab, eine Schusternovelle in Form einer Selbst-
biographie zu schreiben, in der Jakob Böhme als „Neben-
figur" vorkommen sollte! So war von vornherein die
Gotik des Stoffes äußerlich auf den kleinsten Maß-
stab beschränkt und zugleich ganz auf verklärte Besinnlich-
keit und Andacht zum Unscheinbaren gestellt; so war von
vornherein die Gefahr zurückgedrängt, daß Kolbenheyer
seine jüngen Kräfte am Bau eines Domes überspannte,
und er konnte vielmehr in Gestalt eines Sakraments-
häusleins sein Meisterstück machen und sich als künftigen
Dombaumeister ausweisen.
Freilich mit der Novelle ist es nichts geworden. Sie
war wohl auch nur ein Vorwand, den der Schaffenstrieb
des Dichters vor seinem Bewußtsein brauchte, um ihn
an das große Werk zu locken. Sobald die Sätze ge-
schrieben waren, mit denen heute das Buch beginnt,
und die in ihrer bescheiden und bedächtig abwehrenden
Haltung und in ihrem redlich-frommen, altväterischen
Tonfall Gcist und Rhythmus des Ganzen wunderbar
vorausverkünden, sobald war es auch schon entschieden,
daß hier der „lange Atem" des Romanerzählers nötig
war, um dem erfüllten und doch nicht erstorbenen Leben
des alten Meisters Joachim Pausewang sein Recht
werden zu lassen.
Und wie wird dieses Leben gleich auf den ersten
Seiten in die ausdrucksvolle deutsche Welt des Refor-
mationsjahrhunderts und insbesondere in das gestalten-
reiche Bürgerleben von Alt-Breslau hineingestellt! Da
wirkt noch die ungeminderte Triebfülle des Mittelalters
herein in der Prachtgestalt des Vaters Pätzke Pausewang,
da ist alle Persönlichkeitsentwicklung noch gebunden, aber
auch umhegt und genährt vom Patriarchalismus der
Familie, der Aünfte und Stände und der Kirche, da
kündigt sich die Erweichung und Jndividualisierung des
deutschen Christentums, wie sie im Pietismus zu einem
gewissen Akschluß kam, in der betrachtsamen Frömmig-
keit Joachims an, für die alle Worte nur Aeichen sind
„vor ein stilles, heimlichs und kaum geahnetes Wesen,
das dahinter ruhet und all der Gleichnisse ewigen Sinn
verbirgt". Und alles ist durchwirkt mit den Aeugnissen des
„eigenstarken Gcistes" von Jakob Böhme, dem „deutschen
Großmcister von der himmelstiefen Besinnlichkeit".
Daher ist die Luthersprache mit ihrer naturgewach-
senen Bildkraft und ihrem starken Rhythmus die not-
wendige Eigenform dieses Werkes, und wenn sie vielen
modernen Lesern scheinbar unüberwindliche Hemmungen
bereitet, so ist das zwar ein trauriger Beweis mehr für
die nie genug beklagte Tatsache, daß die meisten Menschen
heute nur noch mit den Augen und nicht mehr mit den
Ohren lesen und daher kein Verständnis mehr für den
Rhythmus erzählender Prosa haben; es ist aber auch
zugleich ein Glück, da so alle bloßen Romanfresser dem
Werke von vornherein ferngehalten und alle, die es
ernsilich sich aneignen wollen, zu langsamem Lesen ge-
zwungen werden.
Wer nach dem Erscheinen des Pausewang geglaubt
hatte, Kolbenheyer vermöge nur den Geist vergangener
Aeiten zu beschwören, die Gestaltung ausgesprochen
moderner Stoffe liege ihm aber nicht, für den war das
nächste Werk eine gründliche Uberraschung. Es hieß
„Montsalvasch" (1912),und sein Untertitel „EinRoman
für Jndividualisten" deutete an, daß sich der Dichter hier
bewußt der literarischen und weltanschaulichen Konven-
tion seiner Aeit entgegenstelle. Und eine „Warnung",
die er (wenigstens in der ersten Auflage) der Erzählung
vorausschickt, betont noch ausdrücklich, daß die Handlung
dieses Romans, obgleich sie unmittelbar auf die Gegen-
wart bezogen sei, „weder durch süßmusikalische Paarungs-
poesie noch durch wildbewegte Offenbarungsromantik die
Lüsternheit des unbefangenen Lesers oder des begabten
Rezensenten einigermaßen zu kitzeln imstande sei".
Es ist die Krise einer modernen deutschen Mannes-
jugend, die wir miterleben. Und zwar ist der reine Tor,
den wir auf seinem Weg nach Montalvosch die erste
schwerste, Strecke begleiten, ein österreichischer Student
der Philosophie. Da er eine ausgesprochene Philosophen-
natur ist, also sein Leben auf begrisfliche Selbst- und
Weltdarstellung stellen muß, droht ihm vom Aeichen-
haften, vom Worte als Begriffsträger die schwerste,
innerlichste Lebensgefahr. „Sokrates", heißt es einmal
warnend, „ist regelrecht und logisch an seinem Glauben
gestorben. Er glaubte an die Reinheit der Wortbegriffe.
Das ist für einen ehrlichen, impulsiven Menschen immer
tödlich. So etwas können auf die Dauer nur Pfaffen-
naturen aushalten. Die Sophisten haben ihm nur den
Strick gedreht, das waren die Handlanger." Aber da
seine Jnsiinkte gesund und unverkümmert sind, über-
windet er die Gefahr, obwohl sie durch eine leidenschaft-
liche Liebe aufs höchste gesteigert wird; in ihm siegt das
Leben über das Wort, die Seele über den Geist, der
Sinn über den Aweck. Anders in seiner Geliebten, einer
studentischen Vorkämpferin der Frauenbewegung, die
nur auf Augenblicke an seiner reinen Kraft völliger Hin-
gabe zu sinnvollem Leben erwacht und dann wieder in
den Bann der lebensmörderischen Ratio zurücksinkt. Sie
vernichtet selbst ihre Mutterhoffnung zum stärksten
Beweis für die Entartung ihrer Weiblichkeit. (Nie ist in
einer Dichtung das, was man treffend ein „Verbrechen
gegen das keimende Leben" nennt, so eindrucksvoll
in seiner Sinnbildlichkeit dargestellt worden.)
Obwohl so der Dichter unzweideutig das Recht der
Seele gegen den Geist verteidigt, kommt auch das
Begriffliche in seinem Werke so wenig zu kurz, daß sogar
viele, die das Buch nur einmal gelesen haben, über der
Tatsache, daß es eines der geistreichsten Bücher unserer
Literatur ist, geradezu die für seinen künstlerischen Rang
wichtigere vergessen, daß es auch eines der seelenvollsten
Bücher ist. Bei näherem Ausehen erkennen wir staunend,
wie stark der seelische Auftrieb, wie unmittelbar und
nachhaltig das dichterische Schauen Kolbenheyers sein
Mlißte, um eine solche Fülle philosophischer Betrach-
tungen tragen zu können. Wieviel Originelles und
Scharfsinniges wird da in ernstem und in humoristischem
Ton über alle Lebensfragen unserer Aeit (besonders auch
über Frauenemanzipationen) geredet, ohne daß die
Handlung gedanklich überfrachtet, ihre Träger zu Sprach-
rohren eines überredungssüchtigen Schriftstellers und
ihre Schauplätze zu toten „Hintergründen" herab-