Das Maschinenherz.
Gräben gezogen sind, in welche das Wasser vom Brunnen
aus geschüttet wird, so ist die unmittelbare Beziehung
zur Pflanze geschwunden; man bewässert dann eben
eine Reihe von zwanzig oder dreißig Pflanzen; man
weiß, wieviel Eimer man in jeden Graben gießen muß;
man tut das ordentlich, denn man will ja doch einen
Ertrag haben; aber ein Gefühl der Freundlichkeit zur
Pflanze, die man begießt, von Dankbarkeit der begosse-
nen kann nicht mehr entstehen. Man hat nicht mehr eine
Lebensgemeinschaft mit der Pflanze, sondern man ist
Diener einer Maschine; es ist nicht mehr ein lebendiges
Gefühl vorhanden, sondern es herrscht ein totes Ding.
Am Rande bemerkt: wie ungeheuer der Unterschied
ist, wenn der Mann nun nicht mehr Herr der Pflanzen
ist, sondern ein bezahlter Arbeiter, das kann man wohl
leicht ahnen.
Es ist natürlich, daß künstlerische Menschen als die
Ersten Verständnis für den veränderten Vorgang haben.
Man schüttelt dann wohl den Kopf über sie. Die Eng-
länder haben am meisten die Kindlichkeit und den Mangel
an Umblick, um gegen den neuen Iustand anzukämpfen;
man denke an Ruskin und seinen Haß gegen die Maschine.
Ruskins Handlungsweise ist natürlich albern; aber sein
Gefühl ist sehr wahr.
Was wird nun der durch die Maschinenarbeit ver-
änderte Iustand für Folgen haben?
Der Alte, welcher sein Gemüse einzeln begießt, fährt
fort: „Wenn einer ein Maschinenherz in der Brust hat,
dann geht die reine Einfalt verloren. Bei wem die reine
Einfalt hin ist, der wird ungewiß in den Regungen seines
Geistes. Ungewißheit in den Regungen des Geistes ist
etwas, das sich mit dem wahren Sinn nicht verträgt";
und er schließt, indem er sagt: „Jch kenne solche Schöpf-
werke wohl, aber ich schäme mich, sie anzuwenden." Er
drückt sich wörtlich aus: ich schäme mich. Die Geschichte
der Worte sagt ja sehr viel über die Entwicklung der
Menschheit. Nur nebenbei sei auf das „schämen" hin-
gewiesen. Der Ausdruck des Alten klingt im deutschen
Munde auffällig; nach hundert Jahren, wenn die Dinge
so weitergehen, wird er altfränkisch sein; wir werden
dann auch das griechische «wck>5 nicht mehr übersetzen
können. Die Scham, die zarteste Äußerung des sittlichen
Menschen, verschwindet, wie alles Aarte, immer mehr,
und das übrigbleibende Wort wird dann für etwas ganz
anderes gebraucht. Der Übersetzer hat in diesem Fall
das Wort noch in seiner richtigen Bedeutung verwendet.
Die „reine Einfalt" geht verloren durch das Maschinen-
herz; wir haben hier an der Geschichte des Wortes gleich
den Beweis dafür, denn heute gilt „einfältig" als etwa
gleichbedeutend mit „dumm"; das Wort, welches den,
von einem bestimmten Standpunkt aus gesehen, höchsten
Austand der Seele ausdrückt, hat seine Bedeutung ver-
loren, weil dieser Austand sich nicht mehr findet; und die
Gemeinheit hat heute eine solche Macht, daß sie dieses
Wort hat zum Gebrauch für etwas Verächtliches ab-
stempeln können. Einsältig ist der Gegensatz von ver-
knittert; ein Stück Stoff, das nur eine Falte hat, kann
immer wieder in seine richtige Lage gelegt werden; und
natürlich wird ein Mensch eine Seele haben, welche
immer wieder in die richtige Lage kommt, wenn sein
Gefühl innig mit der Natur zusammenhängt.
Man weiß, als das Altertum auf seinem Höhepunkt
angekommen war, da fanden sich in der so hochgebildeten
Welt keine Menschen mehr, welche zu herrschen verstan-
den; man mußte die römischen Kaiser in den Kreisen
suchen, die noch nicht lesen und schreiben konnten; ein
Bauernknecht in Dalmatien verließ seinen Pflug, ließ
sich als gemeiner Soldat anwerben, stieg in die Höhe
und richtete als Kaiser Diokletian die Welt neu ein. Man
weiß, als die Aivilisation im Altertum begann, mit der
Entwicklung des Hellenismus, da war auch die selbständige
alte Gesittung abgeblüht; es folgte dann nur noch Nach-
ahmertum. Man weiß das; aber Schlüsse auf unsere
Austände zieht man aus diesem Wissen nicht. Das
Höchste von Religion, das die Menschen haben, sagte
Gottes Sohn, der nicht wußte, wohin er sein Haupt legen
sollte; er sagte es armen Fischern, die am Abend von dem
lebten, was sie am Tage gefangen hatten. Das Höchste
von metaphysischem Denken verdanken wir Männern,
die in Jndien nackt im Walde lebten und sich von Reis-
körnern nährten, die ihre Schüler für sie erbettelten.
Sokrates ging barfuß, denn er hatte nicht das Geld, um
sich Sandalen zu kaufen, und als Aschylus und Sophokles
dichteten, da galt in Athen noch eine Schüssel mit Erbsen-
brei als ein Festtagsgericht, und Lauch aß man zum
trockenen Brot mit dankbarem Herzen, wenn man es
hatte. Man weiß das alles, und noch viel mehr solcher
Beispiele weiß man; aber den Schluß zieht man nicht:
weshalb Gottes Sohn nicht heute in achtbaren bürger-
lichen Kreisen geboren wird, ein Gymnasium besucht,sein
Eramen macht und sich in eine Staatsanstellung begibt;
weshalb am Kurfürstendamm in Berlin keine Meta-
physiker wohnen, weshalb kein Sokrates in Lackschuhen
auftritt und kein Sophokles in einer Ieit, wo die Muni-
tionsarbeiter bei Kempinsky essen — Verzeihung —
speisen.
Aber was sagte der Alte doch weiter? „Bei wem die
reine Einfalt hin ist, der wird unqewiß in den Requnqen
seines Geistes."
Merkwürdig! Ungewiß in den Regungen seines
Geistes!
Bei allen gesitteten Völkern heute, die ja nun glück-
lich sämtlich in diesen Krieg verwickelt sind, beim einen
laut, beim andern leise, beim dritten ganz leise, ertönt
der Ruf nach dem sogenannten starken Mann. Was ver-
langt man von diesem starken Mann? Er soll nichts, als
den Leuten sagen, was sie zu wollen haben; denn das
wissen sie nicht.
Jn den gewöhnlichen Aeiten ist es ja so gegangen,
daß man ohne Willen dahin lebt. Man spricht dann von
der Jrritabilität der modernen Psyche oder vom unbeirr-
baren Pflichtgefühl des deutschen Volkes; das eine Mal,
wenn man sich etwa aufreden läßt, daß eine Nackt-
tänzerin Einem Johann Sebastian Bach vortanzt, und
das andere Mal, wenn man als Beamter sittlich wartet,
bis der Vordermann den Abschied nimmt. Aber plötzlich
stellt dieser Krieg das ganze Leben der gesitteten Mensch-
heit in Frage.
Wie? muß denn nicht der Einzelne wissen, was er will?
Durch den Krieg ist den Menschen die sichere Stellun'g
des Selbstversorgers klar geworden. Der Selbstversorger
legt im Frühjahr seine Kartoffeln und hackt sie im Herbst
Gräben gezogen sind, in welche das Wasser vom Brunnen
aus geschüttet wird, so ist die unmittelbare Beziehung
zur Pflanze geschwunden; man bewässert dann eben
eine Reihe von zwanzig oder dreißig Pflanzen; man
weiß, wieviel Eimer man in jeden Graben gießen muß;
man tut das ordentlich, denn man will ja doch einen
Ertrag haben; aber ein Gefühl der Freundlichkeit zur
Pflanze, die man begießt, von Dankbarkeit der begosse-
nen kann nicht mehr entstehen. Man hat nicht mehr eine
Lebensgemeinschaft mit der Pflanze, sondern man ist
Diener einer Maschine; es ist nicht mehr ein lebendiges
Gefühl vorhanden, sondern es herrscht ein totes Ding.
Am Rande bemerkt: wie ungeheuer der Unterschied
ist, wenn der Mann nun nicht mehr Herr der Pflanzen
ist, sondern ein bezahlter Arbeiter, das kann man wohl
leicht ahnen.
Es ist natürlich, daß künstlerische Menschen als die
Ersten Verständnis für den veränderten Vorgang haben.
Man schüttelt dann wohl den Kopf über sie. Die Eng-
länder haben am meisten die Kindlichkeit und den Mangel
an Umblick, um gegen den neuen Iustand anzukämpfen;
man denke an Ruskin und seinen Haß gegen die Maschine.
Ruskins Handlungsweise ist natürlich albern; aber sein
Gefühl ist sehr wahr.
Was wird nun der durch die Maschinenarbeit ver-
änderte Iustand für Folgen haben?
Der Alte, welcher sein Gemüse einzeln begießt, fährt
fort: „Wenn einer ein Maschinenherz in der Brust hat,
dann geht die reine Einfalt verloren. Bei wem die reine
Einfalt hin ist, der wird ungewiß in den Regungen seines
Geistes. Ungewißheit in den Regungen des Geistes ist
etwas, das sich mit dem wahren Sinn nicht verträgt";
und er schließt, indem er sagt: „Jch kenne solche Schöpf-
werke wohl, aber ich schäme mich, sie anzuwenden." Er
drückt sich wörtlich aus: ich schäme mich. Die Geschichte
der Worte sagt ja sehr viel über die Entwicklung der
Menschheit. Nur nebenbei sei auf das „schämen" hin-
gewiesen. Der Ausdruck des Alten klingt im deutschen
Munde auffällig; nach hundert Jahren, wenn die Dinge
so weitergehen, wird er altfränkisch sein; wir werden
dann auch das griechische «wck>5 nicht mehr übersetzen
können. Die Scham, die zarteste Äußerung des sittlichen
Menschen, verschwindet, wie alles Aarte, immer mehr,
und das übrigbleibende Wort wird dann für etwas ganz
anderes gebraucht. Der Übersetzer hat in diesem Fall
das Wort noch in seiner richtigen Bedeutung verwendet.
Die „reine Einfalt" geht verloren durch das Maschinen-
herz; wir haben hier an der Geschichte des Wortes gleich
den Beweis dafür, denn heute gilt „einfältig" als etwa
gleichbedeutend mit „dumm"; das Wort, welches den,
von einem bestimmten Standpunkt aus gesehen, höchsten
Austand der Seele ausdrückt, hat seine Bedeutung ver-
loren, weil dieser Austand sich nicht mehr findet; und die
Gemeinheit hat heute eine solche Macht, daß sie dieses
Wort hat zum Gebrauch für etwas Verächtliches ab-
stempeln können. Einsältig ist der Gegensatz von ver-
knittert; ein Stück Stoff, das nur eine Falte hat, kann
immer wieder in seine richtige Lage gelegt werden; und
natürlich wird ein Mensch eine Seele haben, welche
immer wieder in die richtige Lage kommt, wenn sein
Gefühl innig mit der Natur zusammenhängt.
Man weiß, als das Altertum auf seinem Höhepunkt
angekommen war, da fanden sich in der so hochgebildeten
Welt keine Menschen mehr, welche zu herrschen verstan-
den; man mußte die römischen Kaiser in den Kreisen
suchen, die noch nicht lesen und schreiben konnten; ein
Bauernknecht in Dalmatien verließ seinen Pflug, ließ
sich als gemeiner Soldat anwerben, stieg in die Höhe
und richtete als Kaiser Diokletian die Welt neu ein. Man
weiß, als die Aivilisation im Altertum begann, mit der
Entwicklung des Hellenismus, da war auch die selbständige
alte Gesittung abgeblüht; es folgte dann nur noch Nach-
ahmertum. Man weiß das; aber Schlüsse auf unsere
Austände zieht man aus diesem Wissen nicht. Das
Höchste von Religion, das die Menschen haben, sagte
Gottes Sohn, der nicht wußte, wohin er sein Haupt legen
sollte; er sagte es armen Fischern, die am Abend von dem
lebten, was sie am Tage gefangen hatten. Das Höchste
von metaphysischem Denken verdanken wir Männern,
die in Jndien nackt im Walde lebten und sich von Reis-
körnern nährten, die ihre Schüler für sie erbettelten.
Sokrates ging barfuß, denn er hatte nicht das Geld, um
sich Sandalen zu kaufen, und als Aschylus und Sophokles
dichteten, da galt in Athen noch eine Schüssel mit Erbsen-
brei als ein Festtagsgericht, und Lauch aß man zum
trockenen Brot mit dankbarem Herzen, wenn man es
hatte. Man weiß das alles, und noch viel mehr solcher
Beispiele weiß man; aber den Schluß zieht man nicht:
weshalb Gottes Sohn nicht heute in achtbaren bürger-
lichen Kreisen geboren wird, ein Gymnasium besucht,sein
Eramen macht und sich in eine Staatsanstellung begibt;
weshalb am Kurfürstendamm in Berlin keine Meta-
physiker wohnen, weshalb kein Sokrates in Lackschuhen
auftritt und kein Sophokles in einer Ieit, wo die Muni-
tionsarbeiter bei Kempinsky essen — Verzeihung —
speisen.
Aber was sagte der Alte doch weiter? „Bei wem die
reine Einfalt hin ist, der wird unqewiß in den Requnqen
seines Geistes."
Merkwürdig! Ungewiß in den Regungen seines
Geistes!
Bei allen gesitteten Völkern heute, die ja nun glück-
lich sämtlich in diesen Krieg verwickelt sind, beim einen
laut, beim andern leise, beim dritten ganz leise, ertönt
der Ruf nach dem sogenannten starken Mann. Was ver-
langt man von diesem starken Mann? Er soll nichts, als
den Leuten sagen, was sie zu wollen haben; denn das
wissen sie nicht.
Jn den gewöhnlichen Aeiten ist es ja so gegangen,
daß man ohne Willen dahin lebt. Man spricht dann von
der Jrritabilität der modernen Psyche oder vom unbeirr-
baren Pflichtgefühl des deutschen Volkes; das eine Mal,
wenn man sich etwa aufreden läßt, daß eine Nackt-
tänzerin Einem Johann Sebastian Bach vortanzt, und
das andere Mal, wenn man als Beamter sittlich wartet,
bis der Vordermann den Abschied nimmt. Aber plötzlich
stellt dieser Krieg das ganze Leben der gesitteten Mensch-
heit in Frage.
Wie? muß denn nicht der Einzelne wissen, was er will?
Durch den Krieg ist den Menschen die sichere Stellun'g
des Selbstversorgers klar geworden. Der Selbstversorger
legt im Frühjahr seine Kartoffeln und hackt sie im Herbst