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Beck, Paul A. [Hrsg.]
Schwäbisches Archiv: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Literatur, Kunst und Kultur Schwabens — 26.1908

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Beck, Paul A.: Schwäbische Biographien, [9]: der Schachkünstler Johann Allgaier Schussenried (1763-1823)
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https://doi.org/10.11588/diglit.20209#0194

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178

setzt hatte, weit hinausgreifend und da-
durch zur Berücksichtigung auch des an
sich noch Unfertigen oder früh wieder Erb-
lasfenden gezwungen, verzeichnet jenes
Lexikon jede Jndividualität, die nicht nur
durch irgend eine bemerkenswerte Leistung
auf irgend einem Gebiet, die auch nnr
durch ein eigentümliches Streben, ja selbst
nur durch ein sonderbares Leben in Oster-
reich Aufmerksamkeit erregt hat. Und dem
ins Minutiöseste eindringenden Forscher
ist doch der Mann entgangen, von dem
hier die Rede sein soll, der Osterreicher
von universalem Namen, dessen Anfangs-
buchstabe schon die Aufnahme in den ersten
Band des alphabetisch geordneten Werkes
erheischt hätte. Erst im 22. Bde. seines
Werkes, unter den „Nachträgen" zu Bd.
1—2l s1870j, S. 4V1 bringt Wurzbach
nachträglich den Mann mit kurzen An-
gaben bezw. Daten4)

Dieser Name lautet: Johann All-
gaier.

Es wird wenige geben, die nicht wüßten,
daß damit ein allgemein anerkannter Be-
gründer einer Theorie des Schachspiels
und eines Erweiterers und Bereicherers
der praktischen Übung dieses Spiels ge-
nannt ist; es wird aber leider auch viele
geben, welche aus dem verhältuismäßig
Untergeordneten dieses Faches geistiger
Tätigkeit die Berechtiguug ableiten wollen,
den Mann, der das trotzdem so schwierige
Fach seit Menschengedenken am glänzendsten
vertrat und der nur auf Grundlage seiner
eigenen Entdeckungen und Regeln heute
übertroffen werden kann, aus der Reihe
menschlicher Größen auszuschließen.

Es ist nicht überflüssig, diese Ansicht
zu berichtigen, nicht wegen des speziellen
Falles, wohl aber, weil sie im Allgemeinen
der Ausfluß einer verkommenen Auffassung
ist, welche dem Fortschritt der Zivilisation
schreiend widerspricht. Man braucht den
Wert des Schachspiels für die Knltnr
nicht erst ungebührlich zu erhöhen, um
einem Meister auf diesem Feld der vier-
undsechzig Felder dauernde Anerkennung
zollen zu dürfen; man muß vielmehr zu-
geben, daß es dem heutigen Bildungs-
standpunkt überhaupt entsprechend ist, die
Größe des menschlichen Geistes nicht nach
dem Nutzen zu bemessen, den er schafft,
sondern nach dem Umfang der Kraft, die

er entwickelt. Man wird durch dieses
Prinzip eine Unbill endlich sühnen, die
dem Geiste oft widerfährt, wenn er zu-
fällig nicht durch ein künstlerisches Talent
Ausdruck findet, aber auch nicht danach
beschaffen ist, sich unter das Joch prak-
tischer Dienstbarkeit zu begeben.

Jndessen muß es noch dahingestellt
bleiben, ob das Schach in der Tat zu
den Gegenständen gehört, welche keinen
Nutzen schaffen. Tieferblickende wollten
das königliche Spiel längst als ein furcht-
bares Element auf zwei wichtigen Gebieten
erkennen, auf dem der Erziehung und auf
dem der Lebenskunst. Pädagogische Be-
deutung ist ihm dadurch zuerkannt worden,
daß man es als ein Turnen des Geistes
begriff, welches, wenn auch die ur-
sprüngliche Organisation keine zu großer
Anstrengung berufene Stärke zeigt, diese
einigermaßen ersetzen kann, Sicherheit uud
Unbefangenheit in schwierigen Lagen ver-
leiht, also vollkommen die moralische Pa-
rallele zum leiblichen Turnen bildet. Als
kalobiotisches Hilfsmittel, aber ist das
Schach anzusehen, weil seine llbung Ruhe
und Selbstbeherrschung bedingt, folglich
Mäßigung der Leidenschaften, wodurch jene
Beschaulichkeit angeregt wird, welche den
widerwürligstenErscheinungendiesesLebens
ein trotziges Behagen enlgegensetzt.

Jn beiden Richtungen mag Johann All-
gaier Tausenden ein Wohltäter gewesen
sein. Daß aber die Vergessenheit und
Verschollenheit, in welche sein Name in
seiner Heimat und in Österreich verfiel,
nicht das Schicksal desselben in der Welt
überhaupt sein sollte, dafür fand sich ein
glänzender Beweis. Ein in mancher,
namentlich wissenschaftlicher Beziehung
ausgezeichneter Bürger der Vereinigten
Staaten von Nordamerika, Herr Daniel
W. Fiske, kam Ende des Jahres 1862
nach Wien und verweilte hier mehrere
Monate, um Daten zu einer Biographie
Allgaier's zu finden. Seine Bemühungen
blieben gänzlich ohne Erfolg, er konnte
nicht einmal den Geburts- und Todestag
des Meisters ermitteln.

Allein einem Matador des Wiener
Schachklubs, dem Mitgründer der Wiener
Schachgesellschaft, dem pensionierten Ober-

') Jn der „Allgemeinen deutschen Biographie"
fehlt Allgaier auch in den Nachträgen.
 
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