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Beck, Paul A. [Hrsg.]
Schwäbisches Archiv: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Literatur, Kunst und Kultur Schwabens — 26.1908

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Beck, Paul A.: Schwäbische Biographien, [9]: der Schachkünstler Johann Allgaier Schussenried (1763-1823)
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https://doi.org/10.11588/diglit.20209#0195

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179

sten Anton Baron Reisner, ging es zu
Herzen, dast ein Ausländer sich bemühte,
einer vaterländischen Berühmtheit endlich
gerecht zu werdein Derselbe unternahm
es, das Ziel zu erreichen, welches dem
Fremden ganz unzugänglich geblieben war,
und es ist interessant, zu erfahren, wie
unser Landsmann bei dem völligen Mangel
jedes noch so geringfügigen Anhaltspunktes
und selbst ohne Kenntnis der sozialen
Stellung des Schachmeisters zu Werke
ging, Der Forscher spielte hier gleichsam
eine Schachpartie, bei der das Unbekannte
sein Gegner war, seine beste Kombination
zu vereiteln suchte und in feindliche Ver-
wicklungen entgegen setzte, deren Auflösung
unendliche Geduld erforderte.

Die Geduld eines Schachspielers gehört
aber auch nebst dem Eifer eines Patrioten
dazu, im Todenbeschreibungs-Amte des
Magistrates die Protokolle vieler Jahr-
gängedurchzuforschen, von einer gewonuenen
Spur geleitet, die Archive des Kriegs-
ministeriums zu Rate zu ziehen, von dem
Ergebnis veranlaßt, mit dem Gemeinde-
rat des weitentfernten Ortes, der sich
endlich als Heimat des Verschollenen ent-
hüllt hatte, in Korrespondenz zu treten
und gleichzeitig in Wien selbst die ver-
schiedenen Ämter zu konsultieren, gleich-
namige Personen und etwa noch lebende
Zeitgenossen des Meisters aufzufinden.

Das Resultat all dieser Bemühungen
läßt sich nun in Folgendem znsammen-
fassen:

Johann Bapt. Allgayer (auch Allgaier,
Allgäuer, Allgeyer rc.), wurde am 19. Juni
1763 in dem damals reichsunmittelbaren
Pfarrdorf Schussenried, dem Sitze
eines (1803 aufgehobenen) Prämon-
stratenser-Reichsstifts, geboren, das heute
zu Württemberg (Oberamt Waldsee) ge-
hört; seine Eltern waren Joh. Gg. All-
gayer, Klosterhofmeister und Anna Maria,
geb. Dobler(in) in Schussenried; seine
Paten hießen: Roman Schmid und
Maria Anna Trunk(in). Zum Studium
der Theologie bestimmt, wahrscheinlich weil
sein Vater in dem dortigen großen Kloster
angestellt war, in welchem der Prälat als
souveräner Herr alle Hoheitsrechte eines
regierenden Fürsten ausznüben berechtigt
war und woselbst eine höhere in gutem
Rufe stehende Klosterschule sich befand,

die Allgaier besuchte, scheint die Neigung
des jungen Allgaier dem geistlichen Stande
Schach geboten zu haben. Zur Zeit seiner
Geburt und Jugend führten in Schussen-
ried den Krummstab die Äbte Nic. Cloos
von Biberach (1756—75) und Jos. Krapf
(1775—92), zwei beliebte, gebildete und
humane Prälaten. Es ist mindestens ge-
wiß, daß der junge Theologe heimlich ent-
wich, und ohne daß man erfahren hätte,
welche Mittel ihm zu Gebote standen, und
welche Abenteuer ihn von Land zu Land
getrieben hätten, weiß man doch, daß er
nach Pola (Polen?) gelangte. Dort fand
er die Grundlage sür seinen künstigen
Ruhm; er lernte von einem polnischen
Juden, der ein gar feiner Kopf gewesen
sein mag (Eisen, wie es im Jargon der
Juden heißt), das Schachspiel kennen und
üben. Nur sprungweise schließt sich das
Weitere an. Er kam nach Wien, der
„alten Kaiserstadt", dem damaligen El-
dorado aller (daselbst aber auch sehr ge-
schätzter) Vorderösterreicher, wo er bei
einem Schachkampfe, über welchen jede
nähere Angabe fehlt, 1500 Gulden gewann.
Der Ruf, den er sich dadurch errang, ver-
schaffte ihm die Ehre, die Prinzen des
kaiserlichen Hauses, Söhne und Brüder
des Kaisers Franz, im Schachspielen unter-
richten zu dürfen. Reisner entnimmt diese
Tatsache den Mitteilungen von zwei noch
lebenden Zeitgenossen Allgaier's. Was
war aber damals seine soziale Stellung
oder, besser gesagt, sein Erwerbszweig?
Konnte er sich ausschließlich vom Unter-
richt in Schach, oder von dem Gewinne
seiner Partien ernähren? Denn daß er
lange vor seinem Eintritt in österreichische
Militärdienste, welcher 1798 erfolgte, in
Wien gelebt, beweist die erste Ausgabe
seiues Werkes: „Neue theoretisch praktische
Anweisung zum Schachspiele", das erste
halbwegs selbständige Schachbuch in
deutscher Sprache, welche bcreits 1795
bei Joseph Rötzl in Wien und eben-
daselbst 1802 in 2., 1811 in 3. Auflage
erschienen war. Dieses merkwürdige, den
Erzherzogen Anton Rainer und Ludwig
Rudolf von Österreich gewidmete Buch,
welches 1819 in 4. Auflage bei Christian
Gottfried Kaulfuß Buchhandlung, Planken-
gasse Nr. 1125, in Wien und 1823 in
5. letzter Auflage herauskam, bildete fast
 
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