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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Zweites Heft
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Knoblauch, Adolf: Gereut, [1]: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0032

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Gereut war im Januar als Erster eingezogen und verbrachte
den strengen, schneereichen Winter in einer zementierten
Kellerstube. Er atmete die eisigen Hauche von Wald und See,
wusch heimlich den Leib unter der Holpumpe, liel nacktfüssig
durch den Irischen Schnee und des Nachts nackten Leibes durch
den Wald.
Frost brannte herrlich, Härte des Nordwinds glühte sein
Blut. Er stand stundenlang auf dem Dach, um den Winter-
wolken zuzuschauen. Die dicken, majestätischen, in Woll-
mäntel eingehüllten Könige schwebten droben, blickten gut-
mütig hernieder und zogen weiter. Nachts stürzten Stürme
ans Kellerfenster, rüttelten am Gitter und warfen Sand an die
klirrenden Scheiben. Dann freute sich der Knabe beim Lampen-
licht, sein großes wildes Herz nährte die Härte des Aeschylos,
Er hatte Niemanden, brauchte Niemanden, Eltern waren fern,
Verwandte, Freunde hatte er nicht. Die zu seiner schaffenden
Arbeit nötigen Studien zog er vor, in der den Lehrern uner-
reichbaren Kellerstube zu vollbringen. Eine gütige Mutter hatte
dem Sohn ein mächtiges Federbett und seine Bücher samt Re-
galen geschickt. Nun konnte der Junge von den väterlichen
Monatsspenden ein liebe- und berufloses glückliches Leben
leben, dem leider das Salz löblichen Strebens nach Amt und
Verdienst völlig fehlte. Trotz den Warnungen von Hause hatte
er sich in der großen Stadt gleich den Mündigen verschrieben,
das Schlimmste, was geschehen konnte, setzte der nackensteife
Junge durch.
Gereut hatte sich in seiner Heimat gelobt, Dichter zu wer-
den. Lind er ging ans Werk!
Urweltliche Schauer, dicht elektrische Fluten strömten
über seine Nerven, er bebte in Empfindungen, Spannungen des
unmittelbaren, aber noch stummen Genies. Die Gefühle sah er
droben schreiten,, den Zug der Götter in Asgards geheimnis-
vollem Licht.
Gereut war keusch. Neugierig wie alle jungen Leute,
kannte er die Liebe genügend, um sich nicht sonderlich für sie
zu interessieren. Er wußte eigentlich nicht, warum er inbrün-
stig vor dem Bild der weißen Afrodite über seinem Bette kniete.
Gereut war ungestalt im elementaren Branden, kosmischen Auf-
und Abfluten, badend in ungeheuren Dünsten. Sein Ich war
noch nicht von der Finsternis geschieden! Gott der Herr hatte
das Wort noch nicht gesprochen! Der harte Eisenstab stand
noch nicht, an dem die Gewitter Funken niederschlugen. Kos-
mische Mächte weideten seinen Schlaf, nährten den Leib, tränk-
ten seine blutreiche Seele. Rings um sie wandelte Hochwild,
das silbernes Mondlicht im See lockte. Der Riegel wurde noch
nicht weggestossen! Der das Hochwild scheuchte, trat noch
nicht hervor: das siedende Ich!
Gereut wanderte, verlor sich in Wäldern, sonnte sich nackt
am Fluß, im entlegenen Waldwinkel, saß im sonnigen Moos, auf
das die grimmige Eiche ihren ehrwürdigen Fuß setzte, sang
seine lieben alten Hymnen aus der Vorwelt. Der Wald war sein
Heim, er ging barhäuptig zwischen seinen Säulen, in seinen un-
zählbaren Kammern hin und her zwischen Morgen und Abend,
nacktfüssig, barhäuptig geschmückt mit Waldblumen und Laub.
Oft begegnete er in seinem Walde einem großen Herrn, dem
riesigen finsteren Sturm! Der nahm den liebsten Jungen um den
steifen Nacken und trieb sich mit ihm herum, stundenlang, welt-
vergessen, triefend, jauchzend, im Donner, in angstgepeitschter
Finsternis, unter Bögen der kreißenden Blitze. Gereut sah
furchtlos das Drama! Sein Gesetz lag sichtbar aufgeschlagen
auf den Stufen der Wolken, über ihm stand ernst, gewiß, treu
der siebenfache Bogen.
Der Frühling kam sonnenweit, jugendzart, und Gereut ging
in herber, zager Knabenfreundschaft mit ihm. Innig Saumselig-
sein, überlichte Träume teilte traulich der Freund mit Gereut,
Der Frühling liebte den geringen Knaben im armen Winkel
und zeigte ihm sein niewelkes, wunderschaffendes Herz, und
Gereut hatte Zutrauen!
Das Haus wimmelte, alle Stuben waren frisch hergerichtet,
bunt gestrichen und sauber. Der Hausrat wurde aufgestellt,
und die Männer hämmerten, werkelten, strichen an. Denn jeder

Großstädter ist vergnügt beim Bau seiner Eierkistenhütte im
Grün der Laubenkolonie und dem Ausschmücken seines win-
zigsten Eigens. Rastlos werkelten und bastelten die Mündigen
in Keller, Küche, Stuben, Garten! Dieser Erdenfleck sollte
vor Allen lachen!
Die Mündigen rüsteten zum ersten Fest, zur Frühlingsfeier.
Am ersten Maisonntag sollte das Heim geweiht werden, beide
Banner sollten zur stolzen Höhe gehißt werden: das Banner
vom aschfarbenen Lila, das Banner in Wiesengrün! In den
beiden wiedertäuferischen Farben vom alten und neuen Men-
schen. In der Fahnen Mitte stickten die Frauen mit Goldfäden
das riesige Ei, das geheimnisvolle Schwarmzeichen. Sie färbten
grün Ballen von Sackleinen, mit dem sie die Hallenwände be-
spannten, die Fenster bekamen Lila-Tüll. An der Westwand
zogen die Mündigen auf Rollen eine ungeheure Kreiderepro-
duktion von Böklins Heiliger Hain im grünen Kolossalrahmen
hoch. Sie errichteten unter der schrägen Treppenbahn eine
Bühne mit grauen dorischen Säulen aus Sackleinen und gaben
ihr veilchenfarbenen Hintergrund. Die Nischen und Ecken unter
der Hallentreppe verklebten sie mit Kiefern zu Liebesstübchem
Sie hingen hölzerne Wandleuchter auf Kerzen an die Wände,
zogen Girlanden mit unzähligen Lampions und warfen bunte
Papierbanderolen in die Luft. Alles war bunt, grün und lila,
glänzte und heimelte an, die Tannen dufteten und der Heilige
Hain rauschte.
Der Ordenssaal, geistiger Hauptraum, war orange gestri-
chen. Drin stand der feierliche Sitzungstisch mit breiten Bän-
ken für die massigen Körper des Rates. Ueber dem Tisch
schwebte die spargelkrautbekränzte, ausrangierte Gaskrone,
denn es gab nur Petroleumbeleuchtung.
Die Gemeinde rüstete das Fest mit unzähmbarem Eifer,
bedürfnisloser Energie, schlafloser Betriebsamkeit! Skepsis,
Zweifel erloschen. Nerven, Hirne badeten im religiösen Mor-
genrot, Begeisterung ist Erbeben an den menschlichen Grenzen!
Die Mormonen gründeten am Salzsee ihre riesige Kirche, Zu-
fluchtstätte aller Gebete künftiger Geschlechter. Feierlicher
Ruf erklang, heldische Sehnsucht, übermächtige Liebeskraft
verjüngte die geschlechtlichen Paare. Gott hatte die geballte
Faust geöffnet und ließ seine liebsten Kinder zu neuen Ge-
lübden hervorgehen!
Im Ordenssaal hingen in gotischer Schrift gezeichnet die
Leitsätze der Mündigen:
Neue Menschen, seht das liebende Paar,
Heiliges Vorbild, die Zeuger der Vereinigung, euer Gesetz!
Ihr werdet die Oberen lieben, denn sie sind euere Väter!
Ihr werdet die Linteigebenen lieben, denn sie sind Eure
Söhne!
Ihr werdet Euresgleichen lieben, denn Alle sind Brüder!
Ihr begründet die menschliche Familie,
die allgemeine, endliche Vereinigung Aller!
Dann sollt ihr in den verschiedenen Geschlechtern der
zwiefachen Familie ewig wachsen in Liebe, Weisheit, Schön-
heit,
Euer Leben soll keine Grenzen haben.
Immer neu in jeder Phase soll es eine Reise der Weihung
durch Jahrhunderte und in den Welten sein,
individuell doch zugleich gesammelt!
Zweihundert Jahre waren diese Leitsätze alt, von Enfantin
ebenso gemißbraucht wie von den Mündigen.
Sie ordneten in Satzungen nach dem Alphabet das äußere
und innere Leben, Wirtschaften und Taten! Sie verordneten,
daß jedes mündige Mitglied im Betriebe ein Amt übernähme,
soweit es Kräfte und Zeit gestatteten.
Gereut war nie im Heim zu fassen und blieb tagsüber dem
Hause fern. Aber auch ihm wurde eines der hundert Aemtchen
verordnet, eine nützliche, segenbringende Aufgabe. Eines
Abends erhielt Gereut mit kühlem Bedeuten den Auftrag, sich
bereit zu stellen, sofern er noch der Gemeinde angehören wolle.
Am anderen Morgen mußte Gereut bei Tagesgrauen auf-
stehen und hob gehorsam am Ring den eisernen Deckel von der
Senkgrube, in der sämtliche Abtritte der Mündigen durch einen

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