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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Zweites Heft
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Knoblauch, Adolf: Gereut, [1]: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0034

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gemeinsamen Schacht endeten. Gereut lupfte mit zweiräderigem
Hebekarren den riesigen Kasten aus seinem Verließ und schob
den schwer schaukelnden Abgang zur Dunggrube. Das Ge-
schäft besorgte er einmal jede Woche in verborgener Frühe.
Die Mündigen wußten nie genau, ob der faule Dichter seine
Pflicht-Abfuhr schob, denn sie gingen üblem Geruch gern aus
dem Weg.
! . ! < in
Der erste Maisonntag war kalt, grau bewölkt, windig.
Zum Weihfest im Heim der Mündigen drängte eine dichte
Menge und füllte murmelnd Halle, Treppen, Säle bis ans Dach.
Die Geladenen wandelten in und um das Haus, begutachteten
die ländlichen Einzelheiten des verwahrlosten Gartens und
vertieften sich in die Handhabung der Pumpe, die noch winter-
verpackt war. Altane, Vorplatz, die verwilderte Auffahrt wa-
ren voll Neugieriger, die in Gruppen zusammenstanden und
Neukömmlinge vorbeiziehen ließen. Es strömte wie zu einem
Sportfest.
Aus der kerzenstrahlenden Halle tönte Harmonium, die
Erstaufführung begann. Die Menge flutete aus Garten, Hof,
Vorplatz, Altane und Galerie, Sälen und Wohnungen in die
Halle. Erhöht über der Menge in der Halle leuchtete die Gips-
büste Nietzsches von Kruse. Feierliches Auf und Ab der mur-
melnden Menge, Neuzuströmen, die Treppen Auf- und Abstei-
gen, Scharren auf dem Pflaster von Halle und Galerie, Andrang
vor den Sälen, in denen mündige Frauen Erfrischungen ver-
kauften, die neugierige Menge besetzte jeden Fleck des Hauses.
Die Dollinge sonnten sich im Ruhm. Zu ihren Füssen bran-
dete die glückliche Woge, die sie berauschte, sie kannten das
geheimnisvolle Bannwort, das Unruhe und Erregung unter-
werfen wird. Sie waren die Lenker im edlen, düster bestrahlten
Schiff der mündigen Kathedrale, in der die Menge der magne-
tischen Vereinigung bis auf das winzigste Teilchen harrte.
Wer sich ohnmächtig aufbäumte, den Kopf höher trug, als die
Umgebung befahl, wer sich gar stolz und schweigsam gebartc:
Dolling setzte das Zauberhorn an die Lippen und sandte den
dräuenden Klang aus, auf den tausend Gewappnete, tausend
Erweckte harrten, der jedes mündige Ich zur grünen Fahne
sammelte. Bei Aufgang der nackten Sonne sank der Nebel, so
glitt der alte Mensch zu Boden und der Neue stieg selig grün
empor!
Gereut schaute die Menge zum ersten Mal: das dynamische
Massen-Ich, den Riesenheiland des Durchschnittsmenschen, das
demokratische Kollektiv, für das es die sittlichen Hemmungen
des Einzelnen nicht gab. Gereut schaute strahlenden Auges
das feurige Herz des Menschen in der Dämmerung der Menge,
aus der Abgeschiedenheit entflammte es in der tierischen
Wärme gemeinsamen Lebens zu urweltlichen Schauern, drang
vor zu ursprünglichen Regungen: Wildheit, Rache, Fanatismus,
Zerstörung, Aufruhr, Mord kamen aus der gemeinsamen Wur-
zel, dem ewigen Trieb gottschaffenden Herzens, und wurden in
der demantharten Kristallwölbung des Absoluten verklärt. Das
Herz pochte, frohlockte, überwältigte in stürmender Leiden-
schaft. Ehrfürchtig vor dem Herzen des Menschen in seiner
Leidenschaft beugte sich Gereut. Er rief das mächtige Ich her-
auf, das kommen soll, um die in Leidenschaft glühende Menge
zu hämmern, das Stirnen sprengen soll, um Herzen zu höhen.
Grimm das Herz, Trotz der Mund, Gereut war bereit, den
feurigen Adamsschrei in die wuchernden Hirne zu stoßen, zu
brennen.
Der Gong wurde geschlagen. Gereut trieb im Gedränge,
Seine rechteckige Stirn des geistig Werktätigen stand streng
im unsichren, fratzenhaften Schwarm. Er hielt die Hand einer
Frau mit kastanienbraunem Llaar. Der scheue Knabe hielt die
liebe Hand, unachtsam der schrägen Blicke ringsum. Er liebte
die Frau und die stolzen Brauen. Sie hatte Gereut ihre Hand
als Gefährtin auf einsamen Morgenspaziergängen gegeben, und
sie waren immer zwei schlanke, braune Jungens selbander.
Gereut schenkte ihr zum Fest eine gelbe Rose, sie tat sie
achtlos in den Gürtel. Ihre verwegenen Blicke suchten ruhlos

über der Menge, sie war nervös, der Knabe war jetzt lästig, aber
sie scheute sich, ihn fortzujagen. Ihre Hand lag feucht und heiß
in Gereutens, und er war glücklich, er hielt die Hand des
treuen Gefährten, sein Herz flüsterte „treu!" Mit der Gefähr-
tin ruhte er in tönender Muschel und sang fern im blauen
Meer, in blauer Luft „treu!" Seine Augen schauten lächelnd
den edlen, braunen Frauen-Nacken.
Mit einem Mal sang die Menge oder tönte fernes Waldhorn?
Harmoniumspiel, dann Schweigen! Als alles still war, erhob sich,
eine einzelne Stimme auf der Galerie. Tief verträumt lauschte
Gereut auf das Blut, das in seinem Leibe wundersam glühte
und zur lieben Hand drängte. Er vernahm kein Wort von Del-
lings hastiger Frühlings-Rede. Dann glitten blanke Stahlschie-
nen in Gereuts Traum, der D-Zug sprang auf, „Einsteigen!!'
und Gereut erwachte plötzlich, als Dolling droben einen großen
Zinnhumpen an die Lippen setzte und trank unter allgemeinem
verlegenem Schweigen. Keine Hand rührte sich zum Beifall
Neben sich hörte Gereut einen starken, bartbuschigen Herrn
hingerissen murmeln: „Er trinkt wahrhaftig, ist Der mutig!" Dol-
ling leerte den Humpen auf Orden, Frühling, Liebe . . .!
Die Ueberraschung war gelungen, nervöser Beifall umtobte
den Redner, die Mündigen des inneren Kreises drängten ihre
geröteten Gesichter an Dolling seines, umarmten ihn und küß-
ten seine Backen. Die Menge bewegte sich, im Gedränge
schwand die Frauenhand aus Gereutens. Er stand allein und
mißte niemanden. Achtlos schritt er durch die Menge, ohne
anzustoßen, und stieg zum Dach auf.
Droben wehten die Banner Lila und Grün im strammen
Maiwind, graue Wolken wanderten nach der Stadt. Ein eisernes
Gitter umfriedete den Platz bei den Fahnen, daran lehnte die
Kastanienbraune, ließ das Haar vom Winde zausen und bog sielt,
hingegeben im Gespräch mit zwei jungen feinen Herren. Ge-
reut trat ungesehen auf die Bodentreppe zurück.
In Halle und Sälen wurde Kaffee gereicht. Die Menge
gruppierte sich, ästhetisierte, kokettierte. Das Geschwätz klap-
perte betäubend. Kruses einsamer Nietzsche maß mit Rätsel-
äugen das winzige Glück der Mündigen, die mit klingendes
Punschgläsern anstießen auf Ordensgründung und schöne
Frauen. Alles trank, lachte, küßte . . . Das Harmonium dröhnte
das Ordenslied: „Wir sind mit Schwur und Küssen gesellt!" Die
Versammlung wurde erotisch trunken. In den Liebesstübchen
der Halle, in halbdunklen Fluren, Winkeln und Zimmern neben
den Sälen tummelten sich Liebespaare und der zappelige Dol-
ling flatterte um die Damen, nippte, küßte, kniete neckend vor
verliebten Paaren und feuerte die sanfte Musik der Küsse an
Die Halle wurde zum Tanz geräumt und die Kastanien-
braune führte den Reigen mit klappernden Kastagnetten. Sie
ritt die lärmende Männerherde im Kreise mit harten, blanken
Augen und blassen Wangen. Aus dem Tanze zerstreuten sich
die Paare in die finstere, kalte Mainacht, aufs Dach, in den
Wald, in unverschlossene Wohnzimmer. Als ein Mündiger sein
Schlafzimmer betrat, ruhte ein Paar auf dem Bett und blieb
liegen. Mitternacht schieden die Gäste bis auf Liebespaare, die
durchschwärmten. Der zappelige Dolling und die Kastanien-
braune wurden von den beiderseitigen Ehehälften ins Bett
geholt.
Gereut stieg bei Beginn des Tanzes in den Keller hinab
In der quälenden Festnacht schlief er seinen gesunden Jungens-
schlaf. Am frühen Morgen stand er mit dem ersten schönen
Maientag auf, ging unter die Pumpe und wusch sich die Narrheit
der Mündigen von Gesicht und Händen.
IV
Die Pforten des Heims schlossen sich nach der Frühlings-
feier vor dem Draußen. Die Männer fuhren zur werktägigen.
Arbeit, die Frauen blieben in den einsamen Stuben.
Da kam der duftende, warme Maimond durch die Wälder
gezogen und spähte listig nach einer Gelegenheit für seinen

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