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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Drittes Heft
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Schreyer, Lothar: Das Bühnenkunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0044

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nicht stumm sind. Geist spricht zu Geist. Das Menschenhaus ist
Machtgestalt des lebendigen Geistes.
Das Menschenhaus ist aus den Grundgestalten der Farb-
form geschallen. Die Kunstgestalt wird nach der Notwendigkeit
des Schöplers geschallen.
Das Menschenhaus ist das Haus der Ekstase. Tielste Ver-
senkung im Menschen ist letzte Entäußerung des Menschlichen.
Der Entmenschte schaut. Die Gemeinschalt der Sehnenden
vereint sich zur Schau. Die Schauenden erkennen. Die Sehn-
sucht ist allgemein. Die Sehnsucht ist nicht im einzelnen be-
grenzt. Sie kennt keine Persönlichkeit. Sie ist allen gemein.
Die Allgemeinschalt versenkt sich in ihre Sehnsucht. Keiner ist
allein. Alle und einer sind die Alleinheit. Der Eine versenkt
sich im AH. Alle bilden sich ein in das All. Der Eine bildet das
Bild des AH. Alle schauen das Bild. Alle sind Bild. Die Schau
bildet den Geist.
Der Schau des Geistes dient das Menschenhaus. Das Men-
schenhaus ist der Versammlungsraum derer, die zu schauen
sehnen und schauen. Die äußere Versammlung ist innere Samm-
lung. Die Menschen sind keine Zuschauer. Der Zuschauer er-
lebt nicht. Er schaut zu, wie andere erleben. Der Schauende
erlebt.
Die Menschen sind im Kreis versammelt. Umkreist von der
Wirklichkeit der Natur schließen sie den Kreis um die Wirklich-
keit des Geistes. Die kreisende Menschheit gebiert das Werk
des Geistes. Inmitten der Versammlung wirkt der Geist.
Der Raum der Schauenden ist ein Rundbau. Um den Kreis
ordnen sich die Räume, die den Zutritt zur Schau regeln. In-
mitten des Menschenhauses, inmitten der Schauenden ist der
Raum, in dem das Gebilde des Geistes gebildet ist. Die Schau-
enden sehen das Werk des Geistes und erleben die Wirklich-
keit des Geistes.
Aul der Bühne inmitten des Menschenhauses ist das Büh-
nenkunstwerk gestaltet.

Das Bühnenkunstwerk ist Kunstwerk.
Es ist von einem Seher des Geistes geschaut. Es ist ein
Werk geistiger Wirklichkeit. Es ist gewirkt mit Mitteln der
Natur. Es ist keine Natur und keine Naturgestalt. Es ist ge-
kündete Schau der Erkenntnis. Der Künstler kündet das Ge-
sicht. Der Schöpfer schafft die Gestalt.
Das Bühnenkunstwerk ist selbständiges Kunstwerk.
Es ist kein Bauwerk, kein Malerwerk, kein Bildhauerwerk,
kein Musikwerk, kein Wortkunstwerk. Es ist kein Gemisch,
keine Häufung verschiedener Kunstwerke. Es ist ein Kunst-
werk, mit den Kunstmitteln Form und Farbe und Bewegung und
Ton gestaltet.
Der Machtwille der Gegenwart bemächtigt sich aller Kunst-
mittel für das Kunstwerk. Die Kunstmittel sind dem Künstler
wieder gegenwärtig geworden. Sie haben sich gegen die Kunst
der Vergangenheit gekehrt und die erwartete Kunst gebracht.
Wir haben die Kunstmittel wieder in unserem Werk ent-
deckt. Wir wissen, daß es Grundgestalten der Form, der Farbe,
der Bewegung, des Tones gibt, aus denen die Kunstgestalten ge-
schaffen sind. Wir wissen, daß der Künstler ein Handwerk hat.
Das Handwerk lehrt den Künstler die Kunstmittel. Aber es
gibt keine Lehre der Kunst.
Die Lehre der Kunstmittel lehrt die Grundformen, Grund-
farben, Grundbewegungen und Grundtöne. Die Kenntnis der
Kunstmittel lehrt die Wirkung der Kunstmittel.
Die Grundgestalten stehen in innigem Zusammenhang. Es
gibt keine Form ohne Farbe. Es gibt keine Farbe ohne Form.
Die Farbe bewegt die Form. Die Form bewegt die Farbe. Die
Bewegung färbt die Form. Die Bewegung formt die Farbe. Der
Ton bewegt die Farbform. Die bewegte Farbform tönt.
Es gibt nicht nur musikalische Tonleitern. Es gibt Farb-
formleitern, Bewegungsleitern und Grundtonleitern. Die Hand-
werksmittel der Kunst- kennen wir wieder. Sie müssen gelehrt
werden und gelernt werden.

Aus den Farbformen ist die Körpergestalt des Bühnenkunst-
werkes gebildet. Die Körper schaffen den Raum und sein:
GHederung.
Mit den Bewegungen ist das Farbformspiel gebildet.
Mit dem Ton ist das Farbformtonspiel gebildet.
Farbformverbindungen wirken Gefühlsentwicklungen.
Bewegungen wirken Gefühlsentwicklungen.
Der Einzelton wirkt einen Gefühlszustand.
Tonverbindungen wirken Gefühlsentwicklungen.
Die Grundfarbformen, die Grundbewegungen, die Grund-
töne lösen Gefühlskomplexe aus. Die gleichen Stufen der Grund -
leitern lösen die gleichen Gefühlskomplexe aus. Die einzelnen
Farbformgestalten, Bewegungsgestalten und Tongestalten lösen
die einzelnen Gefühle aus. Das einzelne Gefühl kann nur durch
eine Kunstgestalt und nicht durch einen Begriff bezeichnet
werden.
Die Wirkung der Kunstmittel ist sinnlich. Die Kunstmittei
und ihre Gestalt werden wahrgenommen. Sie sind Gegenstände
der Wahrnehmung.
Die Kunstmittel wirken assoziativ. Die Assoziationen wir
ken die endlose innere Bewegtheit des Kunstwerkes.
Das Kunstwerk hat keine Teile. Es ist eine unteilbare Ein-
heit. Es ist Organismus.
Die Organe des Kunstwerkes sind harmonisch. Der Orga
nismus des Kunstwerkes ist rhythmisch.
Die Lehre der Kunstmittel gibt Erfahrungssätze. Erfah-
rungssätze sind keine Gesetze. Die Kunst hat kein Gesetz. Dax
ist ihr einziges Gesetz. Das Gesetz des Kunstwerkes ist seine
Notwendigkeit. Kein Handwerk schafft Kunstwerk. Handwerk
ist nicht Geistwerk.
Der Künstler weiß, um nicht zu wissen.
Das Unbewußte ist dem Künstler bewußt.
Der Künstler kündet nicht sich.
Der Künstler ist Organ des All. Das AH kündet aus ihm,
durch ihn, aber nicht von ihm, sondern von sich.

Die Gestalt ist Schöpfung. Die Schöpfung schöpft aus dem
Unbewußten. Sie schafft das Unbewußte. Die Schöpfung des
Unbewußten schafft die bewußte Gestalt. Die bewußte Gestalt
ist das gestaltete Unbewußte.
Die bewußte Gestalt ist die äußere Gestalt des Kunstwer-
kes. Das gestaltete Unbewußte ist die innere Gestalt des
Kunstwerkes, Das Bewußtsein wirkt das Unbewußtsein.
Die Notwendigkeit der Schöpfung ist das imfassbare Ge-
heimnis des Seins. Das Geheimnis des Seins bleibt dem Be-
wußtsein verschlossen. Bewußt werden nur die Formen den
Werdens. Im Leben werden wir. Im Schöpfen sind wir. Wir
sind nicht mehr Schein, nicht mehr Erscheinung des Seins. Wh
sind selbst der Grund des Werdens. Wir sind Sein.
Der Künstler ist im Werk. Wir sind in seinem Werk.
Voraussetzung der Werkwirkung ist, daß es andere als
der Werkschöpfer genießen und erleben. Die Werkgestalt
hat außerhalb des Künstlers eine feste Gestalt. Das Farbform-
tonspiel kann gespielt werden.
Das Bühnenkunstwerk ist in Raum und Zeit fest bestimmt
Das Bühnenkunstwerk ist ebenso fest bestimmt wie ein Werk
der Musik in der Partitur und ein Bauwerk im Bauplan.
Der Bühnenkünstler bewahrt seine Schöpfung im Buch.
Seine Schöpfung ist nicht zeitlich abhängig von einem Spiel
Aber jedes Spiel ist abhängig und bestimmt durch das Buch
Das Spiel wird geleitet von einem Spielführer. Das Spie!
ist Ausführung der gegebenen Schöpfung. Die Art der Aus-
führung ist abhängig von der Auffassung des Spielführers. Bei
der Ausführung unterstützen ihn seine Organe: Techniker.
Schauspieler und Musiker.
Der Schauspieler des Bühnenkunstwerkes ist ein anderer
als der des Theaters. Er gestaltet keine Menschen. Er spielt dis
Schau. Er ist bewegte und tönende Farbform.

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