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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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dem Cafe nachhause, hält die Jünglingsfigur für ein Werk seiner
Hand, er kann sich offenbar die Fruchtbarkeit von Gipsabgüssen
nicht denken, stürzt wie ein Besessener ins Cafe zurück und
ruft, er habe den neuen Stil geschaffen, man stürmt ins Atelier,
der Künstler wurde beglückwünscht, die Figur wurde als das
Werk seines Genies hochgepriesen, und allgemein war die An-
sicht, nun sei die neue Kunst da." Die Novelle ist aus und der
Leser kann sich etwas dabei denken. Man nehme einen Glie-
derman und einen Gipsabguß, klebe sie zusammen und die neue
Kunst ist da. Das ist das Wissen des Herrn Scheffler um die
Kunst. Welch ein Geist. Welch ein Gemüt. Fr soll uns Ro-
mane schreiben. Die Novelle sei ihm hiermit verleidet. Wir
fordern es von ihm. Wir wollen seine Romane kennen und
lieben lernen.

Abgestäubt
Herr Fritz Stahl, der große Unbekannte des Berliner Tage-
blattes, ist nach Düsseldorf gefahren, um dort die Berliner Kunst
zu besprechen. Die Große Berliner Kunstausstellung imponiert
selbst ihm in Düsseldorf nicht mehr. „Die Secessionen hatten
es etwas leichter. Die tödlich schwere Masse des ganz Gleich-
gültigen fällt bei ihnen fort. . . und ist der Gesamtton ziemlich
gut wahrnehmbar, so stellen sich doch die Persönlichkeiten
nicht recht dar." Es sind nämlich keine Persönlichkeiten da,
Persönlichkeiten sind noch keine Künstler, und Herr Stahl sieht
höchstens einen Gesamtton. Einen Ton kann er nicht hö-
ren. Die freie Secession rückt, wie es bei der Ueberzeugung
dieser beiden Maler begreiflich, wenn auch sachlich nicht ganz
einwandsfrei ist, die modernste Gruppe in den Vordergrund."
Herr Stahl hält nämlich Ausstellungen dann nicht für sachlich
einwandsfrei, wenn auf ihnen der Versuch gemacht wird, sich
der Kunst zu nähern. Nun kann die Freie Secession aber nicht
das in den Vordergrund rücken, was Herr Fritz Stahl die mo-
dernste Gruppe nennt. Denn die Gruppe, die Herr Stahl meint,
stellt nur in der Kunstausstellung Der Sturm aus, die Herr Stahl
zu meiner Freude nicht besucht. Aber auch dann könnte Herr
Stahl nur vom Hörensagen darüber schreiben. Er ist nun ein-
mal kunstblind. Kunst wirkt auf ihn, wie das bekannte rote
Tuch, vor dem aber im Gegensatz zu den vierbeinigen Gottes-
geschöpfen die zweibeinigen zurückschrecken. Wie blind muß
aber erst ein Blinder werden, wenn ihm etwas ins Auge fällt:
„Die allerneuesten Exzentrizitäten. . . . fallen mit ihren nun
schon so verstaubt wirkenden Neuheiten von gestern ins Auge."
Herr Stahl hat zwar noch nicht einmal die Neuheiten von gestern
gesehen, sodaß e r wenigstens niemandem Staub vor die Augen
machen kann. Er wirbelt Staub auf und bestaubt sich selber.
Die Anlagen werden dem Schutze des Publikums empfohlen.
Deshalb wundern sich die Leser des Berliner Tageblattes auch
weniger über Kunst als über Herrn Fritz Stahl, dem hiermit
wieder eine Abfuhr gegeben sei.

Echteste und innigste Lyrik
Herr Ernst Lissauer, der anerkannte Lyriker des Berliner
Tageblattes, hat nunmehr auch Bach mit seinen Versehen be-
dichtet. Das Berliner Tageblatt läßt ihm die Tatsache durch
Herrn Meyer bestätigen. Das Berliner Tageblatt will etwas für
Bach tun. Herr Lissauer auch. Herr Meyer auch. Bach, ein
älterer Komponist, hat sich ja schon einen gewissen Namen ge-
macht. Er hat eine kleine Gemeinde und ist erst vor einhun-
dertsiebenundsechzig Jahren gestorben. Jetzt könnte man
etwas für ihn tun, denkt das Berliner Tageblatt. Man soll sich
für die Kunst einsetzen und deshalb darf Herr Meyer un ge-
strichen schreiben: „Lissauers Dichtung wird gewiß Bach
neue Freunde werben und seine Kunst weiter bei uns einbür-
gern helfen." Wenn der Bürger Lissauer sich für Bach verwen-
det, werden die guten Familien ein offenes Ohr für ihn haben,
eine Empfehlung von Lissauer macht den Mann vielleicht markt-

fähig. Herr Meyer hat aber Bedenken, daß Bach vielleicht
tauben Ohren predigt und daß vielleicht der Zwischenhändler
dadurch zu geringen Umsatz hat. Deshalb trompetet Herr
Meyer: „Sie ist aber nicht nur für Bachverehrer und solche,
die es werden wollen, geschaffen, sie verlangt nicht einmal, daß
man eigentlich musikalisch ist: das Werk ist vielmehr für sich
selbst eine künstlerische Schöpfung von starkem Eigenwert und
hohem Range." Man wird neugierig. Eine Dichtung, die ein
Werk für sich selbst ist und für die vielleicht der ältere Kom-
ponist nur ein Vorwand ist, die vielmehr ob ihres starken Ei-
genwertes vom Berliner Tageblatt gerühmt wird, eine solche
Dichtung kann ich mir nicht vorstellen: „Eine Probe dieser Ge-
dichte wird am ehesten eine Vorstellung von dem eigenwertigen
Werke geben." Herr Lissauer probt:
Arbeit
Im Oberstock übt Christian am Klavier,
Hans Christophs Geigenspiel dringt durch die Tür, —
Bach hört sie nicht.
Er sitzt am Tisch, die Hände vorm Gesicht,
Er hört fern innen
Von rings ein selig summend Rinnen,
Er sitzt tief in sich selber eingesenkt, ! J
Gesammelt Kraft bei Kraft zu voller Macht;
Aus seinem Haupte und Geblüt
Goldstill ein Glanz atmet und glüht,
Der sanft die dumpfe Stube scheinend tränkt.
Ich glaube, es liegt eine Personenverwechselung vor. Ich
möchte vermuten, daß Herr Lissauer selbst sein Schaffen uns
menschlich näher bringen will. Er sitzt am Tisch, die Hände
vorm Gesicht, den Mann kenn ich doch, das muß der Dichter
Lissauer sein. Glanz, der atmet, glüht und tränkt, gibt eine
Vorstellung von Lissauers Geblüt. Bach brauchte nicht soviel
Vorbereitungen.
„Die Rechte löst sich sacht und liegt bereit,"
Man sieht, wie der Dichter Lissauer den Federhalter ergreift
„Gesang haucht ausgegossen,"
Was die eigenwertige Umschreibung von Tinte ist
„Weitaufgeschlossen"
Das Dichten macht ihm heiß
„Sitzt er in seiner Seligkeit"
Weil nämlich Herr Meyer hinter diesem Satz bemerken wird:
„Das ist echteste und innigste Lyrik."
Weil nämlich jemand im Oberstübchen übt und zwar am
Klavier, damit das Geigenspiel durch die Tür dringt. Die
Tür will sich zwar auch noch nicht ganz so recht auf Klavier
reimen, aber schließlich war Schiller Schwabe und der hat es
auch schon so gemacht Warum soll es der Herr Lissauer aus
Berlin sich nicht auch leisten können. Das alles ist so hoch-
rangig gedichtet, daß man eigentlich nicht einmal musikalisch
zu sein braucht. Deshalb bemerkt auch Herr Meyer ser richtig:
„Nicht viele Lyriker werden sich einer so frisch und reich quel-
lenden Erfindungsgabe rühmen können wie Lissauer." Gewiß
kann sich Herr Lissauer rühmen, die Hände vorm Gesicht. Hört
er doch fern innen von Meyer ein selig summend Rinnen. Aber
nicht damit genug: „Es ist nicht sein geringster Ruhm, daß seine
Eingebungen fast immer so einfach, so natürlich und unmittel-
bar einleuchtend sind." Wie einfach ist die Eingebung, daß
Christian Klavier übt, wie natürlich, daß Lissauer die Hände
vorm Gesicht hält, wie unmittelbar einleuchtend, daß ein Glanz
die dunkle Stube tränkt. Das ist echteste und innigste Lyrik,
nicht nur für Bachverehrer und solche, die es werden wollen,
es ist die Lyrik, die sich bei dem Berliner Tageblatt ganz
schlicht und ohne Kunst einbürgert.

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