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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Viertes Heft
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Behrens, Franz Richard: Gedichte
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Däubler, Theodor: Albatros
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0060

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Rudei trotzen
Trubel trotzen
Klotz kneift Knacken
Sichelt
Tigertatze.
Mai 1917

Mutter
Braut blüht bleicher Toter
Menschen kameraden Kämpfen
Kämpfen kameraden Leben
Leben kameraden Gott.
An der Aisne Mai 1917

Munition
Maiblumenstrang
Sternblütenrund
Rieseln
Seiden Sieden
Brausen horsten
Blei
Narren stürzen
Riesen
Schlitzschlag
Schwört
Kanonenkuß
Trinke Sand
Trete Licht
Wiese Sand
Beblättßrn
Entsamen
Schmettern armen
Länder fahnen Brüder
Galgen küssen
Purpurbruder Toter
Locken locken
Sonne nüstern
Gott sieht Sand
Sehen flanken
Sehen rehen
Sehen sehnen
Sehen stürzen
Augen beben
Stürzen Strang
Honighitze hetzt Herzhang
Beben bäumt
Beben blitzt
Sternfall bebt
Beben betet blanken Kuß
Beben schlägt Strahlen
Beben frieren Rohrgekicher
Früh zerspringen Frühgelächter
Beben flammt mairoten Gott
Bäume die Schlacht
Erstürme Feuerfällen
Kanonenlichter peitschen Leben
Granatentrichter lüsten Himmel
Blutschweiß blüht Menschen
Lodern geladen zerspalten
Wurzel
Stiebt
Stern
Stumm klafft Klirre
Himmel weinen erwürgt
Entrostet erschossen
Himmel weinen erbrochen
Heimat knospen mohnen Mund
Heimat schwingen Fetzen Hirn
Heimat träumt ein einzig Bein
Leiche Himmel Heimat
Fleisch mein Fleisch
Du
Schwester
Bruder
Vater

a

Albatros
Vogel, du spannst deine siegreichen Flügel aus; zwei sicher-
gereimte Sicheln. Des Mondes erstes Erscheinen im Abendhim-
mel trägst du, und des Mondes Abschiednehmen im grauen Ge-
heimwerden des Morgens erhebst du, Albatros, wiegend und
gewiß, verspielt in deinen Ernst, wolkenhoch durch dßn wolken-
losen Azur überm tropischen Ozean. Dazwischen, Vogel, ist
das Wissen der Welt; du witterst kaum deine Fahrt und den
Flug; doch im Leib bleibt und verweilt es, das Wissen der Welt:
eingedichtet in des Blutes warmem Auf und Ab gibt es dich kund.
Du selbst, Albatros, bist die Verleiblichung der urgewußten Ge-
burt eines feingesichelten Flügelpaares. Die Weisheit der Welt
aber heißt: alles Geschaffene hat seinen Rücklauf; der Mond
wahrt und offenbart zugleich diesen aller Welt kundgegebneu
und dennoch geheimnisvollen Kern der Schöpfung. Wenn wir
zum Monde emporblicken, so werden wir getäuscht: aber wo
du, Mensch, dich dem Monde hingibst und enthüllst, da fühlst
du den Menschen als das Wesen, das von allen Sicheln anwachs-
ender und dahinsterbender Monde, urhaft, in sich selbst, als
seine eigenste vorgebend, zerwühlt wird. Denn wir haben
Mondungen für die Erde mitgebracht. Wer zur Welt kommt,
sammelt Abfälle seiner fehlgeschlagenen Schaffung des Mondes.
Darum stirbt der Leib so schnell ab. Ist doch der Mond selbst
eine Totgeburt. Sichtbar uns allen sichelt und siecht er dahin,
sichelt und siecht er immer wieder empor zu sich selbst und
dann abermals aus sich selber herab: unser Mond! Aber dein
Schicksal, Mensch, bleibt festgeschmiedet und dennoch ein
Lied: blos wenn du singst, Dichter, wird es ersinnbar: wir bauen
es auf in der Strophe! Und die Katastrophe kommt immer von
selbst, unweigerlich ergießt, ereignet sie sich in den demutvoll
dichterisch Schauenden. Die Gerechtigkeit, nicht du, Sänger,
befügt sich zum Reim.
Der Mond auf seinen Rundgang verdinglicht die Symmetrien
im Kosmos: der Mensch entsteht, um sie geistig zu vertreten.
Der Beweis, daß ein Wissen die Welt verwaltet, in dem grund-
bestimmt fcstbleibt, daß auf das erste Erscheinen der Sichel
nach Neumond ein Verschwinden der Sichel vor Neumond folgt
und zu ihm gehört, findet vor uns Anschauenden seinen Aus-
druck durch das Vorhandensein von Vögeln. Sang, Reim, Flü-
gelpaar werden zum Gegebnen: die erste Sichel ist zugleich
die letzte Sichel: weil und wo ein Vogel ist. Jeder Augenblick
„Sichel" beim Aufgehen in den Mond hat auch seinen Gegen-
augenblick „Sichel" beim Dahinbleichen aus dem Vollmond.
Daher die vielen verschiedenen Vögel. Der Albatros erfüllt die
größte Spannweite: in ihm verkörpert sich die erste und die
letzte Sichel: daher kann er einen Monat lang kreisen ohne zu
erlahmen. In seiner Wesenheit wiegt sich das furchtbar sicher-
ste Wissen über die Dinge: sein ganzes Unterunssein ist das
Entzücken im AH, daß auf ein erstes Versprechen eine ganz
ebenbürtige Antwort erwartet werden muß, Vögel, die den bei-
den Halbmonden, dem aufsteigenden und dem abnehmenden,
näher flughaft werden, flattern mehr als sie fliegen; sie versinn-
bildlichen daher auch mit weniger Sicherheit das Vertrauen in
die entlegendsten Symmetrien im Kosmos. Der Albatros jedoch
verwaltet heiliges Glauben über den Meeren. Er ist die ver-
körperte Unermüdlichkeit. Ueberdies gebietet sein Wesen
über die Besternung des Leichtbeschwingten, die den übrigen
fliegenden und flatternden Vögeln nach rhytmischer Abstufung
mangelt.
Du, Albatros, und das geschmeidig gereimte Lied, ihr be-
herbergt in der Seele alle Mondmöglichkeiten bis zum Vollmond
 
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