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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Sechstes Heft
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Walden, Herwarth: Kritiker: Tragikkomödie in drei Personen
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0096

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sich ein bloß durch Kommando zusammengehaltener Haufen
völlig belangloser Mitläufer. Vor allem sieht man nicht, daß
wirklich neues hinzuwächst." Herr Franz Servaes ist nicht ein-
mal zum Buchhater zu gebrauchen, was ich zahlenmäßig beweise.
Von den fünfundfünfzig Sturmausstellungen hat Herr Franz
Servaes in zehn Ausstellungen sich je eine halbe Stunde vorbei-
gesehen. Er hat sich also im ganzen fünf Stunden mit der
Kunst der Gegenwart beschäftigt. Die Scharen des Sturm be-
stehen aus dreißig Künstlern. Sie sind durch das Kommando
zur Kunst zusammengehalten. Der Haufen völlig belangloser
Mitläufer verteilt sich auf alle übrigen Kunstgenossenschaften.
Die unausgegorenen Erscheinungen dort finden das Sauerbier
der Anerkennung des Herrn Franz Servaes. Er hält sich für
einen Maßstab, wo er doch mit einer Elle zu messen ist. Von
den dreißig Künstlern des Sturms hat Herr Servaes in seinen
fünf Stunden nun endlich sich acht Namen gemerkt. Er kann
sie zwar noch immer nicht orthographisch schreiben,
aber das wird schon werden. Es ist das einzige, was noch
werden wird. Diese acht Künstler hält Herr Servaes für ori-
ginal. Er hat aber nichts zu halten, weil er selbst haltlos ist.
Weil er sich an Begriffe klammert, die nie Kunst sind. Und
weil er sich an Kunst klammert, die für ihn Begriff ist. Dieser
Mensch wagt über die anderen Künstler des Sturm wie Campen-
donk, Feininger, Paul Klee, Fernand Leger, Alexander Archi-
penko, um nur einige Namen zu nennen, wie folgt zu schreiben:
„Der sehr erhebliche Rest fällt lediglich unter die Kategorie
von Nachäfferei und Humbug und ist oft genug von kläglicher
Talentlosigkeit und Gespreitztheit. Arbeiten, die zu schlecht
sind, um selbst in der bescheidensten Kunsthandlung Aufnahme
zu finden, werden durch einige kabbalistische Abzeichen stil-
gerecht gemacht und dürfen sich futuristisch, das heißt in die
Zukunft weisend nennen." Herr Servaes weiß nicht einmal im
Kunstgeschichtlichen Bescheid. Auf dieser Ausstellung waren
nur zwei Futuristen mit Gemälden vertreten, die Herr Servaes
zu den Originalen rechnet, während alle übrigen Bilder expres-
sionistisch sind. Es fällt lediglich unter die Kategorie von Hum-
bug, wenn ein Mensch, wie Herr Servaes wagt, Kunstkritik zu
schreiben. Es fällt aber unter die Kategorie von Unanständig-
keit, wenn dieser Herr Servaes zu schreiben wagt: „Die Zu-
kunft wird sich bedanken. Sie wird in ruhiger ernster Arbeit ihre
Ziele verfolgen und auf diesen orgienhaften Schwindel nicht hin-
einfallen." Ich will Herrn Servaes gern der Zukunft überlassen,
mit der schon manches alte Weib sein Brot als Wahrsagerin ver-
dient hat. Ich werde ihn aber zwingen, in der Gegenwart die
Wahrheit zu sagen, nämlich, daß er sie nicht kennt. Er soll
mir nicht mit dem Gesicht der Ehrlichkeit schwindeln. Was
weiß Herr Servaes von der ruhigen ernsten Arbeit dieser
Künstler. Kennt er sie. Kennt er ihre Entwicklung, die solchen
Herren ja so viel bedeutet. Hat er je die Bilder der Vergangen-
heit dieser Künstler gesehen. Kennt er ihren Studiengang, ihr
Leben, ihre Ethik. Zwar bedeutet das alles nichts für die
Kunst. Es bedeutet aber viel, wenn man sich ein Urteil über
die Ehrlichkeit der künstlerischen Gesinnung erlauben will.
Das ist bürgerliches Gebiet, auf dem die bürgerlichen Gesetze
gelten. Auch für Künstler, die über Ihren Horizont malen,
Herr Servaes. Ich warne Sie. Noch immer gibt es ein Kammer-
gericht in Berlin. Hüten Sie sich, die bürgerliche Ehre von
Künstlern zu beleidigen. Der Künstler hat sie auch, und dar-
über hinaus das, was Sie nie begreifen werden, die Ehre zur
Kunst, die Ehrfurcht vor der Ewigkeit.
Sie schimpfen. Aber ich lächle. Von der Straße höre ich
es noch heraufwimmern in die neuen guten und lichten Räume:
„Vor diesem mit Posaunen und Geschmetter unternommenen
Sturmangriff in der Potsdamer Straße wird die deutsche Kunst-
front nicht erschüttert werden, sondern alle diese Exaltiert-
heiten gelassen von sich abschütteln." Die Stellung ist genom-
men, Herr Servaes, Sie geben es selbst zu. Durch den Sturm
gibt es die deutsche Kunstfront. Sie wird von Ihrem mit Klap-
pern und Geschnatter unternommenen Angriff nicht erschüttert.
Die Kunst schüttelt Sie gelassen von sich ab. Aber die Kunst
ist Ihnen nicht böse, alter Herr. Sie lächelt über Sie. l^lit ihrem
schönsten Lächeln aus dem Glück heraus ihrer ewigen Jugend.

Der Charakterspieler
Ein Herr Robert Breuer hat sich zum unabhängigen Kunst-
kritiker und mich zum abhängigen Kunsthändler ernannt.
Daß Herr Breuer kein Kunstkritiker ist, habe ich schon wieder-
holt bewiesen und werde es wieder beweisen. Prüfen wir zu-
vor aber einmal den Kunsthändler Herwarth Waiden, der auf
den Kunstkritiker Robert Breuer so aufreizend wirkt. Herr
Breuer hat sich über ihn auf drei Seiten in der Schaubühne des
Herrn Siegfried Jacobsohn ausgelassen. Folgende Schauer-
geschichte hat sich nach Herrn Robert Breuer zugetragen:
„Herr Herwarth Waiden, der geschäftliche Leiter des Sturm, hat
zu einer Gesamt-Schau eingeladen. Im Katalog steht auch
O&kar Kokoschka verzeichnet. In der Ausstellung aber ist das
genannte Bild dieses Malers nicht ohne Weiteres zu finden; nur
mühsam entdeckt man es schießlich in einem völlig verlorenen
Winkel an einem dem Licht abgekehrten Pfeiler. Solche Tat-
sache wirkt außerordentlich aufreizend." Nun bin ich zwar der
geschäftliche Leiter des Sturms insofern, wie zum Beispiel
Herr Max Reinhardt der geschäftliche Leiter des Deutschen
Theaters ist. Herr Robert Breuer will also offenbar den Lesern
der Schaubühne vormachen, daß es außer mir noch einen
künstlerischen Leiter gibt. Ich beehre mich daher, ein Kunst-
händler muß sich beehren, mich den Lesern der Schaubühne
und Herrn Breuer auch als künstlerischen Leiter des Sturms
vorzustellen. Mit vorzüglicher Hochachtung. Herr Robert
Breuer konnte nun das Bild von Kokoschka nicht ohne wei-
teres finden. Das will ich gern glauben. Ohne Katalog kann
Herr Breuer überhaupt kein Bild finden. Er suchte und suchte
nach dem Katalog und entdeckte die Nummer mühsam und
schließlich an einem dem Lichte abgekehrten Pfeiler. Man
denke, an einem Pfeiler. Und dieser Pfeiler befindet sich in
einem völlig verlorenen Winkel. Dieser böse Pfeiler, über den
Herr Robert Breuer nicht gestolpert ist, aber gleich stolpern
wird, befindet sich in der Mitte eines rechteckigen langen
Saales. Die Herren Kunstkritiker haben die Gewohnheit, ein-
mal durch die Mitte eines Saales hin- und zurückzugehen. Da-
mit ist ihre vorbereitende Tätigkeit zur Kunstkritik erledigt.
Da Herr Robert Breuer aber nun den Kokoschka suchte, oder
vielmehr die Nummer dieses Bildes, mußte er sich in der Mitte
umwenden, was ihn aus der Richtung brachte. Herr Robert
Brauer ist nicht Kunsthändler, er ist auch nicht Künstler, er ist
schlicht Kunstkritiker. Vom Hängen der Bilder hat er also keine
Ahnung. Er ist nicht so gehängt, um zu wissen, daß manche
Bilder dem Lichte abgekehrt werden müssen. Er würde die
Bilder nach den Namen hängen, die ihn interessieren. Was zu
begreifen ist, da ihm für seine Interessen nur wenige Minuten
Zeit zur Verfügung stehen. Weil er diese einfachste Regel
nicht einmal kennt, mußte er sich die folgende psychologische
Schauermär kraft seiner kritikstrotzenden Phantasie erfinden,
die ihm für seinen Kram und meinen Kunsthandel sehr gelegen
kam. Ich will Herrn Robert Breuer nicht nach einer Methode
hängen, die er nicht kennt, ich will ihn so in die Sonne hängen,
daß er sich nach dem völlig verlorenen Winkel sehnt, den er
'nicht finden konnte. Herr Robert Breuer wird also reizend
aufgereizt: „Man weiß, daß Kokoschka zu den stärksten Künst-
lern gehört, die seit Bestehen des Walden'schen Unternehmens
bisher hier gezeigt worden sind. Herr Waiden hat niemand,
den er diesem psychologisierendem Dämon und erotischem
Mystiker der Farbe zur Seite stellen könnte." Zu deutsch: Der
Name Kokoschka ist Herrn Breuer so eingebläut, daß er ihn
jetzt für den stärksten Künstler hält. Ich gestatte mir, ihm
noch Marc Chagall, Kandinsky, Franz Marc, JacobavanHeems-
kerck, Fernand Leger zur Seite zu stellen, ohne daß Kokoschka
etwas dagegen einwenden wird. Aber Herr Robert Breuer weiß
es besser. Herr Robert Breuer weiß sogar mehr als Kokoschka
und ich: „Man weiß aber auch, daß die Beziehungen Kokosch-
kas zu Herrn Waiden getrübt sind. Kokoschka wird jetzt von
Paul Cassirer auf den Markt gebracht." Die Kunstausstellung
Der Sturm ist kein Markt, auch wenn Herr Robert Breuer ge-
legentlich hier herumlungert. Daß Herr Cassirer Kokoschka
auf den Markt bringt, erfahre ich authentisch erst durch Herrn
Robert Breuer. Die Beziehungen Kokoschkas zum Sturm sind

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