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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Achtes Heft
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Walden, Herwarth: Kenner
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0121

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für Alännerköpfe (o Sonnenschein): ,,Auch mit dem Frauen-
kopf und seinen blauen Haaren wußte ich zuerst nicht, was ich
anfangen sollte." Der Kopf packte eben nicht. ,.Dieser Frauen-
kopf gemahnte mich an Menschen, die beim Anfassen sich fast
wie erdrückt zusammenziehen, aber doch von durchdringender
Zähigkeit und fester Innerlichkeit sind." Das kann man sich an
den blauen Haaren heranziehen. 0 Form der Seele.
Aber Herr Traub hat nicht nur eine Seele. Aber Herr
Traub hat nicht nur ein Gemüt. Aber Herr Traub hat nicht nur
einen Geist. Herr Traub hat einen Briefkasten. Scherz bei
Seite. Er hat einen ernsten Briefkasten. Der Briefkasten
hängt an der christlichen Freiheit, die Herr Traub wöchentlich
für deutschen Glauben und deutsche Zukunft herausgibt. Herr
Traub stiehlt dem deutschen Glauben und der deutschen Zu-
kunft gelegentlich einige Minuten, um sich mit der Dichtung
zu befassen. Herr Traub denkt, er kann sich aber nicht denken,
daß Gott lenkt. Herr Traub ist sehr gebildet. Er kennt Ge-
dichte von Heinrich Heine und Elisabeth Gocrcke. Durch
eine unglückliche Fügung Gottes bekommt er die Zeitschrift
Der Sturm in die Hand, er liest ein Liebesgedicht von A.
Schamm und er druckt es unberechtigt in christlicher Freiheit
nach. Wjorauf er über „A. Schamm" bemerkt: „So etwas
wird geschrieben — im Krieg! Man möchte sich ja vor Lachen
schütteln, aber ich bringe das nicht fertig, denn es ist eine sehr
ernste Sache, wenn hinter solchen Erbärmlichkeiten Geld steht.
Daß sich heute wirklich Geldgeber finden, welche solche Erzeug-
nisse nicht nur kaufen, sondern von vornherein ermuntern und
kapitalistisch tragen, das ist tieftraurig." Herr Traub kann
nicht lachen. Geld steht dahinter. Geld ist nicht lächerlich.
Das deutsche Volk wird in seinem Nationalvermögen ge-
schädigt. Liebesgedichte werden kapitalistisch getragen. Das
macht Herrn Traub tieftraurig. Nun will ich nicht bestreiten,
daß ein freisinnig gebildeter Mann wie Herr Traub alles ver-
steht, was ein Gehirn verstehen kann. Herr Traub und die
übrigen freisinnig Gebildeten verstehen aber nicht, daß die
Kunst da anfängt, wo ihr Verständnis aufhört. Kunst ist ihnen
Stimmung nach dem Abendessen. Ein ehemaliger Pfarrer sollte
wenigstens Stimmung nach dem Abendmahl kennen. Herr
Traub ist aber Denker. Ihm ist Brot Brot und Wein Wein.
Alles übrige list Wahnsinn. Es wäre auch zu entsetzlich, um-
sonst gelernt zu haben, wo doch Geld dahinter steht. Man
hat doch nun einmal gelernt, was Brot ist. Da läßt man sich
eben nichts vormachen. Man hat seine Erfahrung. Und wenn
man sich gemächlich dem biblischen Alter nähert, ist es Lebens-
erfahrung und sehr schön geworden. Herr Traub ist eben ein
Denker. Wenn ihm einer sagt: ich weiß nicht, was soll es be-
deuten, so weiß er sofort, was es bedeuten soll. Er ist eben
ein Denker. Und wenn ihm einer sagt, er weiß es nicht, so
Jst das eben die Kunst der christlichen Freiheit, die er meint.
Er kann es verstehen, der Denker, daß der andere es nicht weiß.
Das kann er begreifen. Das kann er fühlen, in seinem ver-
lorenen Zimmereck unter Schweinegrunzen, daß er so traurig
ist. Und außerdem besitzt er einen Briefkasten. In ihn steckt
er die Antworten auf Fragen, die an ihn nicht gestellt wurden.
Einer weiß ja immer nicht, was es bedeuten soll: „Ich habe die
Gedichte von A. Stramm als entsetzliche Verirrung in einer der
letzten Nummern gebrandmarkt und es sind mir aus diesem
Anlaß freundliche dankende Stimmen zu Gehör gekommen."
Er hat ein feines Gehör, der Herr Traub. Freisinnige empfin-
den Brandmarkung stets freundlich. Nur irrt sich Herr Traub
darin, daß er gebrandmarkt hat. Sich hat er gebrandmarkt.
Wenn ich tausend Finger hätte, ich könnte sie nicht in alle
die Wunden legen, die er sich geschlagen hat. Die Kunst,
Herr Traub, ist kein sitzendes Mädchen, das man packen kann.
Die Kunst ist eine Fackel, die Gehirne auf brennt. Sie können
nicht brennen, weil Sie sich in die Kunst hineinstehlen. Sie
haben keinen Mut, zu bekennen, sie haben nur das Gehirn, zu
erkennen. Nämlich das, was sie erfahren haben. Kunst haben
Sie nie erfahren, Sie Erfahrener, Sie haben aber nicht einmal
den Mut, Tatsachen zu bekennen, Unwissenheit zu bekennen.

Am vierten Juni 1917 wußten Sie etwas von einem Herrn A.
Schamm. Am 24. Juni 1917 steht in Ihrem Briefkasten: „Der
Verfasser jener Gedichte ist aber einstweilen auf dem Feld
der Ehre gestorben und hat außerordentliches geleistet. Am 1.
September 1915 fiel er als letzter Ueberlebender seiner Kom-
pagnie bei einem Sturm in den Rokitnosümpfen, nachdem er
über siebzig Schlachten mitgemacht hatte." Einstweilen. Also
zwischen dem 4. und 24. luli 1917. Sie haben nicht den Mut,
den freundlichen dankenden Stimmen zu bekennen, daß Sie
von August Stramm nichts wußten. Sie lassen den Künstler
sterben, einstweilen sterben, weil es Ihnen besser für Ihren
Briefkasten paßt. Mit freisinniger Geberde schreiben Sie
stolz: „An jenem Urteil kann ich freilich nichts ändern." Wo-
her nehmen sie den Glauben an Ihr Urteil. Ihr Urteil ist
Ihr Gefühl, werden Sie sagen. Haben Sie Ihr Gefühl gebildet.
Abgesehen von dem Besuch der Sommerausstellung in Dres-
den. Sie haben Ihren Heinrich Heine gelesen, von dem Sie
lernten, daß er ein Dichter sei. Sie können nicht beweisen,
daß er ein Dichter ist. Ich habe Ihnen bewiesen, daß er es
nicht ist. Aber Sie sind nicht fähig, sich etwas beweisen zti
lassen und haben als Antwort nur den Satz: „Der Sturm in
Berlin pöbelt das Lied: ich weiß nicht was soll es bedeuten
als den Tiefstand der Lyrik an." Einstweilen halte ich es für
eine Anpöbelung, zu unterstellen, daß August Stramm durch
Veröffentlichung ewiger Dichtungen kapitalistisch ermuntert
wurde. Soviel deutschen Glauben und deutsche Zukunft
werden Sie nie fassen können. Sie halten diese Veröffentlichung
für öffentlichen Unfug. Ich aber sage Ihnen: Es ist öffentlicher
Unfug, wenn ein Mann wie Sie Urteile über Bilder und Dich-
tungen abgibt, der nicht mehr weiß, was er gelernt hat und nur
weiß, was es bedeuten soll.
Das deutsche Volk soll aber wissen, was für Sie ein Ge-
dicht bedeutet. Vor Ihrem Briefkasten steht es:
Vom Morgen bis zum Abendrot
Und in die dunkle Nacht
wohl hundert heiße Tage schon
währt nun die große Schlacht.
Nur manchmal in der heiligen Früh
nickt sie ganz leise ein
dann hört mein treuer Kanonier
im Wald die Vögelein.
Ich stelle Ihnen einen gleichwertigen Beitrag für die christ-
liche Freiheit ohne kapitalistischen Ehrgeiz zur Verfügung:
Es zog der Traub aus hoch zu Roß
Einstweilen die Kunst zu erschlagen
Auf ihn zurück prallt sein Geschoß
Deß muß er traurig klagen.
Er wundert sich
Herr Franz Servaes hat jetzt sehr viel Zeit, nachdem er sich
von seiner Verpflichtung entbunden hat, sich durch Besprechun-
gen der Kunstausstellung Der Sturm lächerlich zu machen.
Er benutzt seine freie Zeit nun dazu, Novellen zu schreiben
oder im Grunewald spazieren zu gehen. Beschäftigungen für
das Herz. Im Grunewald besucht er die Künstler. Künstler
wohnen immer im Grunewald. Herr Doktor Franz Servaes
beginnt seine Novelle: „Wo es am stillsten ist im Grunewald,
dennoch nicht weit vom schmückvollen Roseneck .. . Er ist
in Stimmung und geht auf Künstlervisite: „Es war ein kühler;
sonniger Augustnachmittag, als ich den Meister dort besuchte
und in freundlicher Weise von ihm empfangen wurde." Also,
es war im Grunewald, im Monat August, als Herr Servaes nicht
weit vom schmuckvollen Roseneck den Bildhauer August Gaul
besuchte. Und als feinsinniger Novellist wirkt Gaul als Gaul
auf ihn: „Er geleitet mich durch den Garten in seinen Arbeits-
raum, der wie ein kleines Museum Gaulscher Plastiken auf mich
Wiirkt." Ein schöner Zug von dem Künstler, daß er den Doktor
sanft an der Hand geleitet. Der Doktor blickt sich um oder
vielmehr er „streift rasch mit seinen Blicken und zwar aller-

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