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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Achtes Heft
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Walden, Herwarth: Kenner
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0122

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hand plastisches Getier." Hierauf streift der Herr Doktor den
Künstler mit seinen Blicken, der tut, was eben der Künstler tut,
er sinnt: „Er steht sinnend und prüfend vor einer in Arbeit be-
findlichen Thonbüste, aus der schon mit voller Deutlichkeit die
leidgeprüften Dichter- und Denkerzüge Gerhart Hauptmanns
sich entwickeln." Welch ein Novellist, der Doktor Servaes.
Nur er kann mit voller Deutlichkeit die Leidenszüge Gerhart
Hauptmanns sehen. Die Dichter tun sich alle gegenseitig leid.
Das ist nun einmal Künstlers Erdenwallen. Ueberhaupt der
Kopf von Hauptmann, der macht der Mitwelt und dem Doktor
Servaes zu schaffen: „Ein Kopf wie der Hauptmanns macht dem
Künstler zu schaffen, weil verborgene Widersprüche und
wunderliche Unregelmäßigkeiten mit einander ringen." Dieser
Ringkampf in Thon hat es dem Doktor Servaes angetan, dem
Denker und Novellisten. Er beglückwünscht Gaul zu der neuen
Wendung, durch Hauptmanns Fügung, „dabei bleibe ich miir be-
wußt, daß er seinen Ruhm doch vor allem seinen Tierplastiken
verdankt." Neugierig sucht der Herr Kunstkritiker Servaes
nach den Modellen. Weit und breit kein Hauptmann, kein Bär,
kein Ferkel, keine Fischotter, nicht einmal ein Ochse ist zu
sehen. Das geht dem Kunstkritiker denn doch über den Strich
und er stellt an Gaul die Frage unter dem Strich: „Als ich mich
verabschiedete, drückte ich meine Verwunderung aus, in der
Umgebung des begnadetsten Tierschöpfers so gar kein wirk-
liches lebendes Getier gefunden zu haben." Wirklich, diese
Künstler sind merkwürdige Leute. Da soll sich ein Kunst-
kritiker nun auskennen. Herr Gaul erhebt sich über sein,
Schaffen: „Der Künstler lächelt geheimnisvoll." Jetzt wird er
mir etwas sagen, denkt der Servaes, das Ringen zwischen ver-
borgenen Widersprüchen und wunderlichen Unregelmäßigkeiten
aufklären: „Das sind zweierlei Dinge, sagte er. Der Mensch
braucht dem Künstler nicht immer ins Buch zu gucken." Herr
Servaes merkt noch immer nichts. „Und was mich bei den
Tieren anzieht, das ist ganz wesentlich künstlerischer Art." Herr
Servaes merkt noch immer nichts. Er möchte zu gern ins Buch
gucken: „Er drückt mir verbindlichst die Hand und wünscht
mir angenehmen Heimweg." Herr Servaes merkt noch immer
nichts. Herr Servaes hat die Dichterweihe empfangen: „Ich
wandere allein und beglückt in den leuchtenden Abend." Ge-
leitet von dem Handdruck eines Künstlers. Es soll der Kritiker
mit dem Künstler wandern, von einem Roseneck zu einem an-
dern. Wie ich aus erster Quelle erfahre, soll Herr Servaes dem-
nächst getönt werden. Titel des Kunstwerkes: „Wo es am still-
sten ist."
Durch Licht zur Nacht
„Die Klopstockstraße lag in jugendlichem Maienglanz. An
fliederduftenden Vorgärten ging ich vorbei und an quecksilbrig
vergnügten Spielkindern." Die Persönlichkeit verrät sich am
Stil. Es muß der Dichter des Rosenecks sein. Eine fabelhafte
Gegend die Klopstockstraße. „Die ganze Gegend war wie in
Sonne ertrunken, in Sonne, die gleichwohl weder brannte noch
drückte." Sie leuchtet ihm ins Herz hinein: „Die Pflastersteine,
die Häuserfronten, die vielen Fensterscheiben leuchteten und
funkelten vor eitel Frühlingsfreude." Dieser Dichter ist ein
Verschwender. Dichter sind nun einmal Verschwender. Nicht
etwa ist die Sonne und Zutaten der Klopstockstraße der Beginn
eines Ullsteinbüches, überall vorrätig, nein, Herr Franz Servaes
macht nur einen Besuch. Ich brauche nicht zu sagen, daß er
einen Künstler besucht. Vor eitel Frühlingsfreude hat er die
Hausnummer vergessen: „Jetzt stand ich vor dem Hause, das ich
suchte. Lovis Corinth wohnte darin und seine kluge Gattin."
Herr Servaes geht nicht etwa gleich herauf, er tut, was ein
Dichter tut, er gedenkt. Und läßt uns glückliche Leser in seine
Sonnenseele blicken: „Ich gedachte eines herbstlichen Abends,
als ich diesen beiden Leuten einen Besuch machte, um mitzu-
raten und ein wenig auch zu taten über die Aufstellung der
neuen Büste, die der Bildhauer Metzner nach dem Hausherrn
soeben vollendet hatte." Wie interessant. Wie stimmungsvoll.
Der große Kunstkritiker der Vossischen Zeitung von Staats-

und gelehrten Sachen, der hervorragende Ullsteindichter wan-
dert am späten Herbstabend zum Künstlerpaare, einen Büstenrat
abzuhalten. Platz für alles hat die Erde. Aber es ist doch im-
mer gut, wenn ein Kunstkritiker und Freund, der das Herz
auf dem richtigen Platz hat, die Büste auf den richtigen Platz
stellen hilft: „Damals hatte ich in den künstlerisch geschmück-
ten Wohnräumen, die ich zum erstenmal betrat, mich gleich
sehr wohl gefühlt." Ich könnte mir keinen freudigeren Anlaß
denken, einen Freund zum erstenmal die künstlerisch ge-
schmückten Wohnräume betreten zu lassen, als Platzangst vor der
Büste. Herr Servaes steht immer noch unten, in Gedenken: „Un-
ter allerhand Scherzen hatten wir miteinander gearbeitet, schließ-
lich die Büste in einem Eckplatz am Fenster zu leidlicher Be-
friedigung postiert und zum feierlichen Abschluß in der von
gelbrotem Laub umsponnenen Straßenveranda gesessen." Ich
habe gewußt, daß die Büste auf den Eckplatz am Fenster kommt.
So ein Kunstkritiker hat stets den richtigen Blick. Ich habe ge-
wußt, daß Herr Servaes sich für den Eckplatz entscheidet. In
der Ecke sieht jede Büste plastisch aus. Dann träumten sie nach
dem Werk, das sie soeben vollendet hatten in gelbroter Straßen-
veranda. Man wird intim, gemeinsame Arbeit verbindet die
Seelen: „Dort waren wir sorglich geschützt gegen die Neugier-
blicke vorbeistreifender Müssiggänger und haben von den schon
damals zusammenschmelzenden Genüssen gekostet, die der
Krieg uns noch übrig ließ." Die quecksilbrigen Spielkinder woll-
ten auch gern einmal den Doktor Servaes von Ullstein sehen.
Die ganze Klopstockstraße sogar war leicht erregt. Servaes
bei Corinth! Große Ereignisse werfen ihren Herbstschatten
voraus. Und gelbrotes Laub schützt sorglich Arbeiter vor
Müssiggängern. Die Butter des Krieges schmilzt zusammen,
aber sie hatten das Brot des Lebens: „Genuß hin, Genuß her.
Wir plauderten, daß es eine Freude war. Und kamen gewiß der
Lösung des Welträtsels um gut ein halbes Millimeter näher." Das
waren Zeiten! Wir sehen gespannt auf den gedenkenden Dok-
tor . . . und jetzt geschieht das Wunder: „Daran also dachte ich,
als ich jetzt . . . nicht in die Parterrewohnung einbog, sondern
die vier Stiegen hinaufkletterte, die zu dem Atelier führen, in
dem der Meister — er ist inzwischen sogar zum Professor er-
nannt worden — mich empfangen wollte." Und die Leser hatten
sich nun gerade auf die Straßenveranda gefreut. Aber ehr-
furchtsvoll wie Leser nun einmal sind, klettern sie die Stiegen
hinauf zur Höhe des Meisters. „Viel Jubel und Schmerzen, viel
Arbeit und Ringkampf haben hier sich schon abgespielt, und
wenn die Wände flüstern könnten, sie hätten gar manches zu
erzählen." Die Wände können es nicht, deshalb macht sich Herr
Servaes zum Sprachrohr, der Bedichter des Ringkampfs. Jetzt
gibt es gar manches zu erzählen. Die W,ände empfangen den
Mund des Sonnenfreundes und die Ohren der geneigten Leser:
„Wie von den beiden ersten Bewohnern, so auch von dem nun
schon seiit einem Jahrzehnt hier hausenden Lovis Corinth, des-
sen Gattin — wo steckt sie nur die kluge Frau? — nebenan,
ihren Arbeitsraum besitzt, die Pilgerstätte so mancher zum Mo-
dellsitzen herbeschiedenen Bühnengrößen." Herr Servaes wan-
dert nur, die Bühnengrößen pilgern, und die kluge Frau, Ge-
dankenstrich, wo steckt sie nur, ist sie ausgewandert, ist sie aus-
gepilgert, die Frage kann der Doktor nicht lösen. „Der Neben-
raum öffnet sich nicht, es tönt auch nichts daraus hervor."
Kein Klang der Mandoline, o Künstlervölkchen, Preisrätsel für
die Zeitbilder der Vossischen Zeitung: Wo steckt die kluge Frau.
Herr Servaes faßt sich männlich: „Ich bin allein mit Meister Lovis
(Lovis sagt und spricht man heute, beileibe nicht Louis) — und
wir sitzen alsbald einander gegenüber und tasten nach den Ein-
gängen zu unserm Gespräch." Wir setzen uns. Meister Lovis
beileibe und Meister Franz beiseele tasten. Die Straßenveranda
fehlt: „Corinth ist nicht das, was man einen Plauderer nennen
kann." Ich kenne einen, aber ich nenne ihn nicht. „Seine
schwere und gerade ostpreußische Natur bewegt das Wort nur
zögernd im Munde. Zum Glück liegen ein paar Steine neben
uns auf dem Tisch." Wenn Steine reden, werden Menschen
schweigen. Doch Meister Franz tastet weiter: „Steine, deren
 
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