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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Achtes Heft
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Walden, Herwarth: Kenner
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0124

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glatt geschliffene Fläche mit lebhaft hingekritzelten Zeichnungen
bedeckt ist. Darauf blicke ich gleich pflichtschuldigst und
beuge mich über sie hin, um die mit schmissiger Hand hingefeg-
ten Kompositionen meinen kurzsichtigen Augen etwas näher zu
bringen." Das Hinkritzeln und das Hinfegen sieht der Servaes
auf den ersten Blick. Dann legt er pflichtschuldigst sein Haupt
auf die glattgeschliffene Fläche und tastet sich mit schmissiger
Hand an die Komposition heran. „Daran arbeite ich jetzt gerade,"
erläutert Corinth, „es sind die Illustrationen zu Achims Tollem
Invaliden." Der Doktor Servaes wird ganz aufpoliert: „Ich er-
innere mich mit Wohlbehagen, daß meine allgemeine Bildung erst
unlängst durch ein Ullsteinbüchlein entsprechend aufpoliefrt
worden ist, wodurch mir auch der Tolle Invalide nach schier
dreißigjähriger Vergessenheit wieder zu Gemüt geführt wurde."
Welch ein Gemüt. Welch eine Ehrlichkeit. Der Ullsteinkritiker
wird durch Ullsteinbüchlein schier wieder allgemein gebildet.
Ich empfinde Wohlbehagen, ein guter Verlag, der sich seine Kri-
tiker bildet. Was wäre aus Achim geworden, wenn Ullstein
ihn nicht den Servaes zu Gemüt geführt hätte. Die allgemeine
Ullsteinbildung hat dem Volk gefehlt. Der Verdienst ist nicht zu
unterschätzen, wenn man nur gedenkt, wie gut es jetzt dem
Servaes-Doktor geht: „Ich mache also von metinen wohlerwor-
benen Kenntnissen Gebrauch..." jeder Band eine Mark, wohl-
feil erworben, überall vorrätig ... „und sage einige ziemlich zu-
treffende Dinge teils über Arnim, teils über die Corinthschen
Steinzeichnungen," Leider verschweigt der Doktor diese teils
teils zutreffendenDinge dem Leser. Das könnte übrigens ein neues
UHsteinbuch geben voll eitel Frühlingsfreude. „Diese sollen
übrigens demnächst bei Julius Bard in Buchform erscheinen und
ich bitte den geehrten Leser, seine Ungeduld bis dahin zu
zügeln." Der geehrte Leser wird von dem tastenden Doktor
schier sorglich in Geduld geübt. Wir vertreiben uns die Unruhe,
indem wir weitertasten: „Im übrigen ist der Atelierraum an-
gefüllt" — man sollte es nicht für möglich halten — „mit Bildern.
Alle Wänden hängen voll davon, auf Staffeleien und auf dem
Boden stehen noch gar manche herum." Das hat Herr Servaes
gar nie erwartet. „Einige sind älteren und sogar ältesten Datums.
Die meisten aber sind neuerdings entstanden." Ich wette, Herr
Servaes glaubt, sich in einem kleinen Museum Corinthscher Bil-
der zu befinden. Nun hat er sich hineingetastet und muß sich
daher etwas Bewegung schaffen: „Ich bitte um Erlaubnis, ein
wenig herumspazieren zu dürfen und der Künstler geht neben
mir her und gibt auf Befragen Auskünfte und Erläuterungen."
Das Bild sollte festgehalten werden. Famos, wie sie beide in
die Weite schweifen und der Servaes sich erklären läßt. Er ist
nun eben kurzsichtig, Meister Lovis. Man wird mählich intim,
schweigt: „Auch jetzt bleibt er wortkarg und versäumt durch-
aus die herrliche Gelegenheit, sich dem Kritiker einer großen
Tageszeitung beredt anzupreisen." Wo doch der Servaes soviel
nützen kann, dieser kurzsichtige Kunstkritiker. Er hätte es
fertig gebracht. Corinth für die Ullsteinbücher zu entdecken.
Und das läßt sich ein Künstler entgehen. Ein Gemüt, denken
die geehrten Leser der Vossischen Zeitung, sie haben schon lange
gemerkt, daß man sich an Herrn Servaes herantasten kann. Der
fühlt sich durch diese Wortkargheit schier gar nicht mehr als
öffentliche Meinung: „Ich selbst aber freue mich, daß ich endlich
einmal nicht als kritischer Beschnüffler und vereidigter Besser-
wisser zwischen Kunstwerken einherzuwandeln brauche, son-
dern daß ich mich als harmloser Besucher und Genießer fühlen
darf, der wie ein Kind die Eindrücke auf stich wirken läßt."
Das ist aber ein Erfolg, wo der Doktor doch die allgemeine Ull-
steinbildung hat. Zwar weiß er nicht viel, doch weiß er alles
besser, da er sich selbst vereidigt hat. Für Ullstein brauchte er
nicht zu beschnüffeln, weil Meister Lovis die herrliche Gelegen-
heit durchaus versäumt, sich beredt anzupreisen. Und nun wir-
ken die Eindrücke auf dieses Kind los: „Also was steht da alles
herum." Herr Servaes fühlt sich schon so als Kind, daß er an
seinen Instinkt glaubt, nach schier dreißigjähriger Vergessen-
heit: „Und ich begebe mich, instinktiv hingezogen, vor ein gro-
ßes Bild, das einen alten Ritter mit eiserner Faust, also so eine

Art Götz, darstellt, wie er am Tisch sitzt und sinnend vor sich
hinbrütet." Da Bild hat eine verzweifelnde Aehnlichkeit mit
dem verzweifelten Servaes an jenem Tisch des Tastens. Nur
die eiserne Faust ist von mir. „Des weiteren einen Kain (zu dem
ein junger Theologe Modell gestanden) zu Füßen die Leiche des
Abel und das Haupt furchtsam-trotzig aufgereckt zu einer
Schar von Raben, die ihn umflattern." Wer mag zu der Leiche
mit dem aufgereckten Haupt Modell gelegen haben. „Endlich,
die Figur einer Abundantia, in Gestalt eines keineswegs zu ma-
ger geratenen Weibes", die Abundantia fließt in Erwartung der
kommenden Genüsse über, „Weibes, das sich in einem Haufen
ersehenswerter Dinge, darunter eines zart rötlich lockenden
Kriegsschinkens (der flugs noch einmal besonders gemalt wurde)
Schulter- und hüftenbreit erhebt." Hoffentlich trampelt die
dicke Dame nicht die ganzen Lebensmittel zusammen in diesen
schweren Kriegszeiten. Den flugs noch einmal besonders ge-
malten Kriegsschinken wird sich hoffentlich Herr Servaes ge-
rettet haben. Ich könnte schier sonst nicht dem Hymnus des
sonnigen Kritikers greifen: „Ja freilich, Frau Abundantia, in die-
sem Atelier habt ihr Euch wohlbehaglich niedergelassen." Ein
lebendes Bild, soeben erhob sie sich noch Schulter- und hüften-
breit. Und ihr habt dem Pinsel saftige Fülle gegeben, auf daß er
die Leinewand üppig anfülle mit neu gewonnener Gestalt." Der
Meister Lovis wird doch in diesen schweren Zeiten nicht seinen
Schinken mit echtem Schinken malen. Dieser Naturalismus
scheint mir zu übertrieben. „Habt Dank, meine Dame! Ihr
habt Euer Geschäft hier trefflich verstanden." Sie hat den Schin-
ken ohne Fleischkarte hintenrum erstanden. So etwas tut man,
Herr Doktor, aber man sagt es nicht. „Beim weiteren Umher-
schweifen erwische ich noch mancherlei," zwar keine Lebens-
mittel, immerhin „noch mancherlei Köpfe von Gerhart Haupt-
mann." Und damit noch nicht genug: „Italienische Strand- und
Badeszenen, die noch kurz vorm Kriegsausbruch entstanden
sind, ein sich balgendes Liebespaar im Adamskostüm," was der
Eva besonds gut stehen muß, natürlich entstanden lange nach
Kriegsausbruch und nach Beginn der Kleiderbezugsscheine.
„Skizzen zu einem Joseph und Potiphar, Bilder in zumeist recht
drastischer Wiedergabe, niicht zu vergessen," der Servaes kommt
nicht über den Schinken hinweg, „nicht zu vergessen ein ge-
schlachtetes Schwein, einen Farbenrausch in blutendem Rot."
Und, o Jammer, o Schinken: „Corinths erstes selbständiges Ge-
mälde, einen schummrigen Kuhstall mit zwei schwarz-weißen
Kühen — als Andenken an eine dahingeschwundene Zeit natür-
lich unverkäuflich." Er ist unersättlich, der Doktor. O Gelegen-
heit ohne Fleischkarten. O beredtes Schweigen. Herr Servaes ist
nun gefüllt: „Dies alles sah ich und hätte bei neugierigem
Schnüffeln noch mehr sehen können." Zu jedem Ullsteinbuch
gehört ein Schuß Erotik: „Denn da stand in einem Nebenzim-
mer, in dem eine nackte Gliederpuppe sich auf einem alten
Diwan breit machte, noch ein sehr geheimnisvoller Kasten, der
mit Zeichnungen, Radierungen und Lithographien bis oben hin
angefüllt ist. Einige davon bekam ich auch zu sehen. Doch
darf man schließlich nicht alles ausplaudern." Was mag in dem
Kasten gewesen sein. O beredtes Schweigen. Jedenfalls nichts
für die Leser der Vossischen Zeitung. O Gliederpuppe. Doch
darf man schließlich nicht alles ausplaudern: „Jedenfalls, als ich
mich nach ein, zwei Stunden dankend empfahl, fühlte ich mich
mit neu gewonnenen Eindrücken überreich beschenkt." Wort-
karg geht er hinaus in den jugendlichen Maienglanz der Klop-
stockstraße. An fliederduftenden Vorgärten vorbei. Die ganze
Gegend ist jetzt bereits in Sonne ersoffen. Einsam wandert der
Dichter einer großen Tageszeitung an den vielen leuchtenden
Fensterscheiben vorbei. Vorbei in eitel Frühlingsfreude. Ein
schnüffelndes Kind. Fest in der nicht mehr geleiteten Hand ein
Ullsteinbüchlein. Er pilgert nach Hause. Richtung Roseneck.
Die schönere Kunst
Diesmal soll in Leipzig die deutsche Kunst gerettet werden.
Und zwar von einem Herrn Dobsky. Herr Dobsky hat eine
Zeitschrift, die sich Deutsche Volkskunst nennt. Herr Dobsky
 
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