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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Neuntes Heft
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Friedlaender, Salomo: Das Prisma und Goethes Farbenlehre
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0148

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Die physiologischen Farben sind nun allerdings viel leichter,
hat man sie erst einmal entdeckt, in der Theorie Goethes unter-
zubringen als die physikalischen; und Raehlmann hat seinem Ar-
tikel recht instruktive Bildertafeln beigegeben. Die dem Auge,
als solchem, angehörigen ,.subjektiven" Farbenphänomene sehen
wir denn auch deutlich vom Gesetz des Kontrastes beherrscht:
wie Licht gegen Finsternis, so kontrastiert und balanciert hier
Gelb gegen Violett; Orange gegen Blau; Rot gegen Grün. Um
dieses Gesetz aber sollte sich objektiv die physikalische Farbe
keineswegs kümmern? Hier, außerhalb des Auges im engeren,
physiologischen Sinn sei Newton gegen Goethe ims Recht, wenn
er die Farbe allein aus dem Licht als dessen Bewegung in be-
stimmter Wellenlänge erkläre? — Wir werden jedoch ein Licht,
welches wellt, also irgendwie pendelt, hin und her schwingt,
vibriert, auf und ab ebbt und flutet, in der Tat merkwürdig
Goethisch finden müssen. Es ist ein Licht, welches sich selber
Opposition macht, ein Licht, welches den uranfänglichen Gegen-
satz zwischen Goethes Plus- und Minuslicht unter der Maske
seiner anscheinenden Einartigkeit verbirgt. Und wer mit diesem
Lichte, mit den Wellen dieses Lichtes rechnet, müßte mit ent-
gegengesetzten, nicht mit gleichartigen Größen rechnen lernen;
ein Erfordernis, gegen welches die modernen Farbenlehren ver-
stoßen. Die Rechnung mit gleichartigen Größen ist freilich ein-
facher und bequemer, langt aber in der Farbentheorie nicht zu.
Goethes Polemik richtet sich deshalb so erbittert gegen den
„Unitarier" des Lichtes, Newton. Goethe konzipierte das Licht,
analog der Elektrizität und dem Magnetismus, nicht einartig,
sondern polar; und es gehört zur Tragikomik der Wissenschafts-
geschichte, daß seine Lehre von Forschern zuerst verlacht, dann
antiquiert und ignoriert worden ist, welche doch allen Grund
haben sollten, gerade wellenartiges Licht nicht simpel unitarisch
aufzufassen.
Raehlmanns schöner Aufsatz geht aber stillschweigend über
den tödlichen Stoß hinweg, welchen Goethe, vermittelst
des Prismas, der Newtonschen Farbenlehre versetzt. Von
vorn herein ist es schon amüsant, daß ein Lichtstrahl, der in eine
finstere Kammer dringt, rein aus sich selber, ohne die geringste
Mithilfe der Finsternis, Farben aus sich entbinden sollte. Durch
ein Prisma dringend, schlägt er sein Pfauenrad in der ihn gleich-
gültig und wirkungslos umgebenden Finsternis?
Aber gerade an diesem Urphänomen läßt sich der ungemeine
Unterschied zwischen flachem und tiefem Sehen drastisch auf-
zeigen; und nur, weil es so kinderleicht ist, flach zu sehen, sieht
das gelehrte wie das ungelehrte Publikum noch immer nicht, was
Goethe mit Erstaunen wahrgenommen hat: daß das Prisma
keineswegs den einfachen Lichtstrahl in Farbenstrahlen zer-
fächert; sondern daß es die Ränder des winzigen Sonnenbild-
chens mit der umgebenden Finsternis innigst vermischt. Eine
mechanische Vermengung von Hell und Dunkel ergibt Grau; eine
gleichsam chemische Vermählung der Farbe. Indem das Prisma
eine Verrückung, Verschiebung, Verrenkung des optischen
Phänomens bewirkt, verschmelzt es die Helligkeitskontraste, die
Licht-Differenzen nicht nur grau, sondern farbig. Auch eine
Lichtwelle wäre nicht einfach Licht, sondern ein Licht-Kontrast,
eine Polarität von Stark und Schwach, Auf und Ab, Hin und
Wieder.
Nun aber das Tollste: Ein Irrtum Newtons, so bestechend
verführerisch, so mit dem frappantesten Anscheine täuschend wie
nur jemals die sonnenklarste Evidenz der Wahrheit, ist von
Goethe auf den ersten genialen Blick völlig durchschaut und be-
richtigt worden: das ist die blendende Illusion des lückenlos zu-
sammenhängenden prismatischen Sonnenfarbenspektrums, eine
Illusion, der noch heutzutage fast alle gebildeten und ungebil-
deten Augen erliegen. Wer das Glück hat, Goethes Farbentafeln
anschauen zu können (sie sind in der Ausgabe des Verlages
Georg Müller in München reproduziert], erfährt die Wonne jenes
genialen Aper$üs im Nacherlebnis und kann sein Auge daran
erziehen. Mit einem Worte, das Prisma verwandelt Lichtkon-
iraste in Farbenkontraste; es koloriert ein Gegenüber von Hell

und Dunkel in ein Gegenüber von hellen (warmen) Farben (Rot-
gelb und Gelb) und dunkeln (kalten! Farben (Violett und Blau).
Dieses sonst auffallend deutliche Gegenüber von warm- und
kaltfarbigen Rändern rückt nun sanft und sanfter an einander
in dem Maße wie die betrachteten Bilder kleiner werden. Das
Sonnenbildchen in der Dunkelkammer ist so winzig, daß der
sanfte Farbenübergang evident scheint, und nur noch ein Auge
von Goethescher Klarheit diesen Schein wegblendet.
Man nehme ein Prisma zur Hand und schaue bei Tageslicht
ein Fensterkreuz an. Die farbigen Ränder, einstweilen isoliert
und durch die Fensterscheibe (am besten Milchglas) unter-
brochen, oben etwa gelblich, unten bläulich, rinnen, wenn man
das Prisma geschickt dreht und dadurch die Ränder einander
nähert, in einer grünlichen Mitte zusammen, und man hat das
scheinbar kontinuierliche Spektrum vor sich.
Goethes Kampf gegen Newton ist der Kampf eines tieferen
Monismus, der noch mit entgegengesetzten Größen zu rechnen
versteht, gegen einen seichteren, bequemeren, der nur gleichartig
Nüanciertes zu bewältigen vermag. Daher ist die Farbenlehre
Goethes fruchtbarstes, folgenschwerstes, unermeßlich vorbe-
deutungsvolles Werk. Der Licht- oder Farbengegensatz ist so
wesentlich wie der magnetische, der elektrische, der sexuale,
der akustische —- wie die Differenz überhaupt.
Es ist ein Mangel an Unterscheidungsvermögen, der den
Newtonianer vom Goetheaner trennt. Für Jenen gibt es nur
Nüancen; dieser dagegen erkennt, daß jede Nüance einen ge-
radezu polaren Unterschied bedeutet und vertuscht, so daß .es oft
sehr schwierig ist, diesen Schleier der Nüance zu lüften und die
Zwietracht ihrer vorgetäuschten Einfalt aufzuzeigen. Es darf
sich in der Farbenlehre niemals um einfaches Licht, sondern
wesentlich nur um einen Licht - Unterschied handeln. Da-
mit aber tritt das Minus an Licht, die Finsternis, dem Plus
gegenüber in ihr ebenbürtiges Recht. Man vergeht sich an der
Logik, also am Erkennen, an der Intelligenz selber, an aller
Wahrheit und Einsicht, wenn man irgend ein Phönomen vor
allem aber, wenn man eine Gradationsskala, z. B. die der Far-
ben, nur einseitig statt gegenseitig verseht. Sie bedeutet, sei es
eine Skala der Zahlen, der Menschen, der Phänomene der ein-
zelnen Sinne, also auch der Farben, stets wesentlich einen po-
laren Konstrast von Plus gegen Minus, Stark gegen Schwach,
Mann gegen Weib, Welt gegen Welt, Licht gegen Finsternis.
Auch beim Magneten entdeckte man eher die positive als die ne-
gative, die abstoßende Anziehung. Goethe hat die negative
Größe nicht nur, wie Raehlmann glänzend erläutert, in die
Physiologie der Farbe, sondern in deren gesamte Physik einge-
führt; wie dieses einzelne berühmte Forscher, zum Beispiel Ro-
senbach, längst anerkannt haben.
Goethes Farbenlehre bedeutet eine Revolution des Wissens,
ja des Lebens — und solche Revolutionen pflegen gern qualvoll
lange verleugnet zu werden.


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Paul Klee: Zeichnung

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