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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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3. Heft (Theater - Sonderheft)
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Blümner, Rudolf: Absolute Schauspielkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0060

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form verbindet. Aber der Begriff der
reinen Musik ist enger zu verstehen. Denn
auch die sogenannte Programm-Musik ist
oft keine absolute, reine Musik, Ja sie ist
es in vielen Fällen noch weniger als das
Lied oder die Oper. Denn Lied und Oper
können — könnten, denn sie sind es
in unserer gesamten Musik-Literatur fast
niemals — ein organisches und darum reines
Kunstwerk (wenn auch nicht als N u r -
Musik) werden. Die Programm-Musik isi
aber, wenn sie wirklich bloße Programm-
Musik ist, verunreinigte Musik. Bloße
Programm-Musik ist sie dann, wenn sie ein
gegenständliches Thema hat, dessen Kennt-
nis zu ihrer Aufnahme durch den Hörer
notwendig ist. Solche Musik ist unrein,
weil sie ihr eigenes Gebiet verläßt und ein
anderes Kunstgebiet betritt. Solche Musik
bleibt nur dann rein, wenn sie auch ohne
jede Kenntnis des beabsichtigten speziellen
Inhalts aufgenommen werden kann. Darum
ist Beethovens Pastorale, darum sind Schu-
manns programmatische Klavierstücke
reine Musik, darum sind Richard Strauß’
Orchester-Kompositionen keine reine Mu-
sik, keine absolute Musik. Und das gilt
von ihnen im tadelnden Sinne.
Die neue Malerei hat uns gezeigt, daß es
trotz allen denen, die es mehr aus Hart-
näckigkeit als aus Einsicht leugnen, eine ab-
solute reine Malerei gibt. Sie ist eine Malerei,
die auf jede Darstellung im Sinne des Ge-
genständlichen verzichtet. Sie heißt darum
auch abstrakte Malerei. Neben ihr besteht
in der neueren Malerei eine Art der gegen-
ständlichen Darstellung, die man mit. einem
Schlagwort als gegenständlichen Expressio-
nismus bezeichnet. In ihr ordnet der Maler
das Gegenständliche vollkommen dem rein
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/Malerischen unter. Er tut also etwas ähn-
liches, wie Beethoven in der Pastorale,
Schumann in seinen Klavierstücken getan
haben. Die Farbformen müssen, auch ohne
daß das Gegenständliche als solches erkannt
wird, dem maßgebenden Gesetz der Fläche
gehorchen.
Und was ist demnach absolute Schauspiel-
kunst? Reine Schauspielkunst? Gibt es
denn eine Schauspielkunst, die, wie die
reine Musik auf das Wort, wie die reine
Malerei auf das Gegenständliche, auf das
Wort, die Dichtung, die Handlung verzich-
ten kann?
Die Antwort ist durch eines erschwert: da-
durch, daß die Schauspielkunst anscheinend
als koordiniert und in dieser Beziehung
gleichgestellt neben Musik und Malerei tritt.
Sie ist aber keine eigene Kunstgattung.
In einem strengen, in einem sehr strengen
Sinne gibt es nur zwei Künste: eine, die
durch das Ohr und eine, die durch das Auge
aufgenommen wird. Die erste hieße richtig
die Kunst der Töne, die andere die Kunst
der Erscheinung. Was wir heute Dichtkunst
nennen, gehört von Ur-Beginn zur Kunst der
Töne. Und was wir Bildhauerkunst nennen,
verrät schon durch seinen glücklichen Na-
men die Zugehörigkeit zur Kunst der Er-
scheinung, Die Schauspielkunst ist eine zu-
sammengesetzte Kunst: sie ist die Kunst der
Sprechtöne und der beweglichen Erschei-
nungen (zu der also auch der Tanz und die
Pantomime gehören). Dieses Wesen der Zu-
sammensetzung erschwerte von jeher die Er-
kenntnis der sogenannten Schauspielkunst.
Zwar leuqhtet jedem sofort ein, daß sie in
ihrem einen Teil, der beweglichen Erschei-
nung, also der Bewegungskunst, absolut sein
kann. Sie ist es weniger in der üblichen
 
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