Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

DOI issue:
8. Heft
DOI article:
Walden, Herwarth: Heim-Weh
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0150

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
ich alle eingemottet, es ist auch so gesünder.
Spiegel haben die jungen Damen meistens
selber. Mein Schwager hat ein solches
Geschäft, Sie können dort durch mich einen
billiger kaufen, wenn Sie keinen haben.
Und schliesslich müssen Sie an den Vorteil
denken, dass Sie nicht in einem ungemüt-
lichen Hotel wohnen, ohne Bequemlichkeit.
Sie sind hier wie zu Hause. Sie bekommen
dasselbe Frühstück was wir nehmen. Wir
trinken Malzkaffee, der ist bekömmlicher.
Da ich Diabetikerin bin, trotzdem man es
mir nicht ansieht, gebe ich Sacharin.
Brötchen bekommen wir täglich frisch.
Und die Butter beziehe ich vom Lande.
Dass meine Tochter Klavier studiert, wird
Sie weiter nicht stören. Sie spielt künst-
lerisch. Sie übt nur morgens und abends
von sechs bis zehn, weil Sie von zehn
bis sechs eine Stellung hat. Äusser
Ihnen wohnen nur noch vier ältere Damen
hier. Alle aus sehr guten Häusern. Rauchen
ist bei mir nicht gestattet. Es passiert
zu viel in Berlin. Sonst haben Sie jede
Freiheit, die Sie wollen. Nur müssen Sie
um zehn Uhr zu Hause sein. Ich gebe
keinen Hausschlüssel. Das ist mir zu
gefährlich.
Das Zimmer ist mir zu klein.
Und das sagen Sie jetzt, wo der Vertrag
perfekt ist und wir uns über alles geeinigt
haben. Ich kann Ihre Bemerkung nur als
sofortige Kündigung für den nächsten Ersten
auffassen. Aber Sie werden es bereuen.
Ausländerinnen machen viel mehr Arbeit.
Ich habe nicht gemietet.
Unser deutsches Recht ist berühmt. Die
Folgen haben Sie sich selber zuzuschreiben.
Wir lassen uns nicht ausbeuten.
❖ *

Nun steht es draussen auf der grossen
Strasse. Die wenigen Laternen verdunkeln
das Dunkel. Die wenigen müden Bäume
stützen sich auf eiserne Stangen. Die
wenigen Autos treiben das Wasser auf die
einsamen Steige. Es steht zitternd vor
der Haustür aus Schmiedeeisen. Es hält
den kleinen Koffer vor die Brust. Unbe-
kümmert fällt der Regen auf den Kummer.
Unentschlossen geht es in den Abend.
Der dünne Mund verschliesst ein Seufzen.
Die tiefen Augen blicken auf die schmalen
Füsse ohne zu sehen.
Fräulein sehen Sie doch hin, wo Sie gehen.
Das Blut schiesst hinunter. In den Augen
Tränen.
Die Strasse dehnt sich über den Abend
in die Unendlichkeit.
Dahinten weit liegt die Heimat, die keine
Heimat mehr ist.
Und hier ist das Familienheim, zittern zwei
Falten über den Mund.
Wo wollen Sie hin, Fräulein.
Lassen Sie mich.
Sie haben schmale Füsse und es regnet.
Gehen wir in dieses Kaffee.
Was wollen Sie von mir.
Einen Kaffee mit Ihnen trinken.
Über den Kuchen liegen graue Papierbogen
über den fünf Tischen hängen Hindenburg
und Herr Müller, der Gründer des Unter-
nehmens in Eichenrahmen. Ein Plakat
preist das Berliner Pilsner, das schäumt.
Der Pianist lässt das Meer weit hinaus
erglänzen. Der Kellner bestimmt Feierabend.
Ich möchte noch zwei Kaffee.
Die warme Küche ist geschlossen.
Also zwei Bier.
Die Herrschaften müssen aber in fünf
Minuten gehen.
Gehen wir gleich.
Sie müssen etwas ruhen.

116
 
Annotationen