der Kunst oder ein Kunstfehler vorliegen. Das
sind eben die Kunstprobleme. Das ist Sach-
lichkeit. Die alte und die neue Sachlichkeit.
Die Demokratie wünscht Fortschritt. Die Un-
ordnung der Revolution muss beseitigt werden.
Die gute bürgerliche Unterordnung muss wieder
hergestellt werden, damit man die Freiheit be-
singen, bedichten, bemalen und behauen kann.
Die Freiheit kann nur als Abstraktion geduldet
werden. Bei der Freiheit muss man sich etwas
denken können. Das ist eben die Kunst. Die
Freiheit darf nur Kniestück sein. Auf zwei
Beinen stört sie die Ordnung. Freiheit und
Kunst sind Entschuldigungsbegriffe der bürger-
lichen Sachlichkeit. Man muss erst lernen,
sich die Freiheit zu verdienen. Stundenweise
zu halbem Tarif. Man muss sich um die Kunst
verdient machen, indem man unverkäufliche
Gegenstände wenigstens in der Abbildung ver-
käuflich macht.
Der Versuch zur Reaktion unter dem Namen
neue Sachlichkeit ist kläglich. Man versucht,
wie in der Politik, die Wiederherstellung der
überwundenen Macht durch neue Namen mit
Hilfe der stets ängstlichen Demokratie der
Mitte. Abbilder lassen sich besser beschreiben
als Bilder. Und das Beschreiben ist die Exi-
stenz der Kunstwissenschaft und der Kunst-
kritik. Also ihre Sachlichkeit.
Aber morgen ist auch ein Tag und die Sonne
scheint. Kinder machen Striche und Herr Fritz
Stahl, der Rokokokritiker der Gegenwart, feiert
seinen siebzigsten Geburtstag und entdeckt in
Dresden, der Kitschstadt von Sachsen, den
toten Expressionismus, dessen Geburt ihm bei-
nahe das Leben gekostet hat. Herr Stahl hat
jedenfalls die Leiche nach alter Weiber Sitte
besprochen und sie schön gefunden. Da die
fortschrittlichen ebenso belanglosen Kollegen
schon über die neue Sachlichkeit stolpern,
kann Herr Stahl jetzt vor der Kunstgemeinde An-
erkanntes anerkennen. Lieber Edward Munch,
das haben Sie auch nicht geahnt, für so alt
haben Sie sich nicht gehalten, daß Herr Stahl
sie zum Enkel des Expressionismus macht.
Es ist gut, dass Kunstkritiker manchmal Reisen
tun. Denn wenn einer eine Reise tut, dann
kann er was erzählen, sagt das deutsche Volk.
Stellen Sie sich vor, lieber Edward Munch,
dass dieser Herr Stahl und andere Leute ein-
mal nach Berlin reisen würden. Womöglich
von Wilmersdorf nach Berlin. Dann könnten
sie was erleben.
Die neue Sachlichkeit wohnt in München.
Aber es gibt auch anderswo genügend Idioten.
Ich bin für Kopfstücke.
146
sind eben die Kunstprobleme. Das ist Sach-
lichkeit. Die alte und die neue Sachlichkeit.
Die Demokratie wünscht Fortschritt. Die Un-
ordnung der Revolution muss beseitigt werden.
Die gute bürgerliche Unterordnung muss wieder
hergestellt werden, damit man die Freiheit be-
singen, bedichten, bemalen und behauen kann.
Die Freiheit kann nur als Abstraktion geduldet
werden. Bei der Freiheit muss man sich etwas
denken können. Das ist eben die Kunst. Die
Freiheit darf nur Kniestück sein. Auf zwei
Beinen stört sie die Ordnung. Freiheit und
Kunst sind Entschuldigungsbegriffe der bürger-
lichen Sachlichkeit. Man muss erst lernen,
sich die Freiheit zu verdienen. Stundenweise
zu halbem Tarif. Man muss sich um die Kunst
verdient machen, indem man unverkäufliche
Gegenstände wenigstens in der Abbildung ver-
käuflich macht.
Der Versuch zur Reaktion unter dem Namen
neue Sachlichkeit ist kläglich. Man versucht,
wie in der Politik, die Wiederherstellung der
überwundenen Macht durch neue Namen mit
Hilfe der stets ängstlichen Demokratie der
Mitte. Abbilder lassen sich besser beschreiben
als Bilder. Und das Beschreiben ist die Exi-
stenz der Kunstwissenschaft und der Kunst-
kritik. Also ihre Sachlichkeit.
Aber morgen ist auch ein Tag und die Sonne
scheint. Kinder machen Striche und Herr Fritz
Stahl, der Rokokokritiker der Gegenwart, feiert
seinen siebzigsten Geburtstag und entdeckt in
Dresden, der Kitschstadt von Sachsen, den
toten Expressionismus, dessen Geburt ihm bei-
nahe das Leben gekostet hat. Herr Stahl hat
jedenfalls die Leiche nach alter Weiber Sitte
besprochen und sie schön gefunden. Da die
fortschrittlichen ebenso belanglosen Kollegen
schon über die neue Sachlichkeit stolpern,
kann Herr Stahl jetzt vor der Kunstgemeinde An-
erkanntes anerkennen. Lieber Edward Munch,
das haben Sie auch nicht geahnt, für so alt
haben Sie sich nicht gehalten, daß Herr Stahl
sie zum Enkel des Expressionismus macht.
Es ist gut, dass Kunstkritiker manchmal Reisen
tun. Denn wenn einer eine Reise tut, dann
kann er was erzählen, sagt das deutsche Volk.
Stellen Sie sich vor, lieber Edward Munch,
dass dieser Herr Stahl und andere Leute ein-
mal nach Berlin reisen würden. Womöglich
von Wilmersdorf nach Berlin. Dann könnten
sie was erleben.
Die neue Sachlichkeit wohnt in München.
Aber es gibt auch anderswo genügend Idioten.
Ich bin für Kopfstücke.
146