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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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11. Heft (Sonderheft Architektur)
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Loos, Adolf: Die moderne Siedlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0208

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Volksausbrüche, die es gab: Die Luft war er-
füllt von dem Geschrei der Millionen Pariser,
die da riefen: „Nieder mit dem Krieg!"
Aber es waren Bergarbeiter, und keine
Schneider und Schuhmacher,
Der Bauer, aus dem sich der Adel rekrutiert,
fügt der Erde Wunden zu mit seinem Spaten
oder mit seinem Pflug; er sät, indem er
verschleudert, und er erntet mit Hilfe der
ewigen Natur, ohne als Aufbauer etwas
dabei zu tun mit Sichel und Sense. Wer
von Ihnen hätte noch nicht zugesehen, wie
einer mäht, und es hätte ihn nicht die Lust
ergriffen, auch eine Sense in die Hand zu
nehmen und für gar kein Entgelt mähen zu
helfen. Wer hätte nicht die Lust empfunden,
einen Spaten in die Hand zu nehmen und
hineinzustechen, oder einem Straßenkehrer
den Besen aus der Hand zu nehmen und
selbst wegzukehren? Wen hätte nicht die
Lust ergriffen, irgend etwas zu demolieren?
Der Maurer — ein Beruf, dem auch ich
ordnungsmäßig durch Freibrief angehöre -
hat nur dann schöne Tage, wenn er die
Spitzhacke einhaken und mit voller Kraft
zutreten darf, um zu zerstören. Wenn es
12 Uhr pfeift oder geläutet wird, dann legt
der Maurer den Ziegel, den er in der Hand
hat, wieder zurück, aber der Mann, der die
Spitzhacke eingehauen hat, kann von keinem
Zuruf seiner Kameraden davon abgehalten
werden. Die andern sind schon in der
Kantine beim Essen, aber er muß noch
dort bleiben, bis das Stück Mauer seiner
Kraft gewichen ist. Der Schneider nimmt
die Schere und schneidet zu. Das ist der
edle Teil seiner Arbeit, der menschliche Teil
seiner Arbeit. Nach dem Zuschneiden des
Stoffes kommt die unangenehme, mühevolle,
antimenschliche Arbeit, das Aufbauen, das
Nähen. Wir wissen, daß es heute Zuschneider
und Näher gibt. Der Zuschneider hat dank

seiner zerstörenden Arbeit eine gesellschaft-
liche Position, der Mann, der mit gekreuzten
Beinen auf dem Schneidertisch sitzt und nur
näht, hat sie nicht. Was habe ich beschrieben?
Den Anfang der Arbeitsteilung. Durch diese
werden ganze Klassen von Menschen ver-
urteilt, nur aufbauende Arbeit zu leisten.
Diese Menschen werden geistig und seelisch
zugrunde gehen müssen.
Der Vater, der den Kindern ihren Spielplatz
zerstörte, war von dem Drang erfüllt, den
Menschen in sich zu retten.
Nun ist es wohl natürlich, daß man dem
Schrebergärtner die Möglichkeit gibt, in
möglichster Nähe des Gartens zu wohnen,
d. h. daß man ihm die Möglichkeit gibt,
dort sein Wohnhaus zu bauen. Ich komme
dadurch zu einer merkwürdigen Forderung.
Nicht jeder Arbeiter hat das Recht, Haus
und Garten zu besitzen, sondern nur der-
jenige, der den Drang dazu hat, diesen
Garten zu bebauen. Sie werden vielleicht
einwenden, warum ich so streng bin und
meine, daß ein Arbeiter nicht auch einen
kleinen Luxusgarten besitzen soll, in dem
Rosen stehen und Rasenflächen. Ich würde
mich gegen den modernen Geist versündi-
gen, wenn ich nicht dagegen auftreten
würde. Rousseau, der modernste Mensch
des 18. Jahrhunderts, beschreibt in seinem
Erziehungsroman „Emilie", wie die Jugend
von heute - also vor 150 Jahren — er-
zogen werden soll. Dieser Knabe Emil be-
kommt einen Lehrer, der ihn erzieht auf
die modernste Art und Weise. Uns mutet
eine solche Erziehungsweise lächerlich an,
weil es nach modernen Begriffen unmöglich
ist, jedem Knaben einen Hofmeister zu geben.
Kinder sollen in einer Schule unterrichtet
werden, und wer seine Kinder außerhalb
der Schule unterrichten läßt durch eine Einzel-
person oder vielleicht 2, 3 oder 4 Personen

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