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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (3) — 1921

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Nr. 211 - Nr. 220 (10. September - 21. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44130#0084

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Was die ausländischen Delea-etten zu sagen hatten!
Äeöer -die diesen der ausländischen Delegierten auf dem Ver-
bandstag in Jena schreibt Genosse B ö ch e l, der Ha-uptschristlefter
der Chemnitzer „Volksstimme":
„Wer-Ohren hat, zu hören, der höre! Die ausländischen De-
legierten sprechen. Das war etwas anderes als radikales
Phrasengeklingel über die bevorstehende Weltrevolution,
mit dem man in den Hirnen gläubiger Arbeiter ein Weltbild er-
zeugte, das mit der harten Wirklichkeit in schroffstem Widerspruch
steht; das waren nicht die üblichen Begrüßungsreden als Akte bloßer
Höflichkeit der fremdländischen Bruderorganisationen — das waren
Notschreie, Warnungsrufe, das waren Gefahr-Signale von tiefster
Bedeutung!
Wer auch an das Rednerpult trat, ob aus Frankreich, Holland,
Ungarn, Tschecho-Slowakien oder der Schweiz, ob mit dem resignie-
rend-verhüllten Ton des Slawen oder mit dem leidenschastlich-glut-
vollen Temperament des Franzosen, immer und immer wieder klang
stark und warnend der eine Tenor hindurch: Deutsche Arbeiter, er-
haltet und schasst die Einheitsfront! Echt, wir find zusammenge-
brochen, weil die verbrecherische Arbeit von Moskau uns elend und
schwach gemacht, unsere Verbände zerstört und unsere Reihen ge-
lichtet hat! Seht, wir seufzen unter der Macht der Reaktion, wir
kämpfen verzweifelt um den Achtstundentag, um das Mitbestim-
mungsrecht in den Betrieben, aber wir sind zu schwach, um noch
lange erfolgreichen Widerstand leisten zu können. Auf euch aber,
deutsche Metallarbeiter, die ihr die stärkste Armee seid in dem gro-
ßen Verband der Internationale, auf euch schauen wir mit Hoff-
nung — aus euch schauen unsere Kapitalisten mit Haß! Und wir
beschwören euch: laßt euch nicht auseinandertreiben, haltet die Hände
über eure Organisation, das letzte starke Bollwerk im Kampf gegen
»inen übermächtigen Gegner!
Was der Vertreter Frankreichs, Kollege Merrheim, mit
vibrierender Leidenschaft vortrug, was er an Zahlenmaterial vor-
legte, wie die französischen Gewerkschaftler innerhalb zweier Jahrs
durch die Spaltungsarbeit der Moskauer von drei Millionen Mit-
glieder zurückgingen aus 600 000 — die Zahlen waren so ungeheuer-
lich, daß die übersetzende Genossin an einen Hörfehler zu glauben
geneigt war — was dann der ungarische Delegierte schilderte, wie
man dort die Arbeiter massenweise interniert, wie die Drahtzieher der
proletarischen Diktatur, dis früher kein Mensch in der Arbeiterbe-
wegung gekannt hatte, beim Zusammenbruch schleunigst das Weite
suchten, während die armen Arbeiter an ihre Scholle gefesselt wa-
ren und nun die ganze Rache der weißen Bestien Horthys ertragen
müssen; was dann selbst' der Vertreter der Schweiz berichtete, wie
infolge der kommunistischen Hetze jedes Versammlungsledsn vergif-
tet worden und die Massen so indifferent geworden seien, daß die
Reaktion jetzt ein schlimmeres Sozialistengesetz als selbst Bismarck
geschaffen habe, da ging ein ernstes Besinnen durch dis Reihen der
Delegierten. Wohl versuchten die Kommunisten erst noch bei den
Worten des ungarischen Kollegen Radau zu machen, nicht einmal
so viel Anstand aufbringend, das Gastrecht zu wahren. Und es
bedurfte der Autorität des gesamten Verbandstages, der, in dems r-
ftratiser Weise Beifall spendend, dem Redner zur Seite trat, um die
Kommunisten in -die Schranken zurückzuweisen.
Mancher von uns mag wohl aus menschlichen, allzu mensch-
lichen Gründen heraus oftmals den Kommunisten etwäs nachge-
sehen haben: mag vor der Gefahr, des ewigen Streites müde, ab-
sichtlich die Augen geschlossen haben. Hier an den Scherben der
zerschlagenen Bruderverbände des Auslandes aber sehen wir, in
welch fürchterlicher Gefahr unsere Gewerkschaften geschwebt haben.
Moskau ist der Tod der Arbeiterverbände, ist der Ruin der inter-
nationalen Arbeiterbewegung. Die Spuren der Moskauer im
Ausland lehren uns hart und bitter: Lernt, ihr seid ge-
warn i!"

Soziale RuudschaN.
Invalidenversicherung.
Mit einer Entscheidung des ReiHsversich-erungsamts vom 18.
März 1921 ist der Grundsatz ausgesprochen worden, daß nach Vol-
lendung des 40. Lebensjahres die Wiederaufnahme der freiwil-
l-igen Beitragsleistung für die Invaliden- und H-interbliebenen-
Versicherung auch beim Fehlen der Voraussetzung des 8 1283 Abs.
3 der R.V.O. zulässig ist, wenn die zwischen dem erstmaligen Ein-
tritt in die Versicherung und dem Bersicherungsfalle liegende Zeit
zu mindestens drei Vierteln durch Beittagsmarken belegt ist.
Für die aus der Invaliden- und Hinterbliebenen-Versicherung,
sei es durch Ausgabe der Beschäftigung oder durch -Unterlassung der
freiwilligen Weiterversicherung, ausgeschi-ed-enen Versicherten, die
bis zum 40. Lebensjahre keine 500 Beitragsmarken verwendet hat-
ten und deren Anwartschaft erloschen ist, ist heute die Möglichkeit
gegeben, die Versicherung durch freiwillige Beittagsleistung wieder
Mr Auflebung zu bringen und sich die Anwartschaft auf Erlangung
der Rente zu sichern.
Die Besitzer von Ouittungskarten für die Invaliden- und Hin-
terbliebenen-Versicherung und insbesondere diejenige, die noch beim
Bestehen der alten Bestimmungen über die Zwecklosigkeit -der frei-
willigen Weiterversicherung schon darauf hingewiesen worden sind,
werden aufmerksam gemacht, sich wegen Wiederauflebung der schon
längst verfallenen Versicherung unter Vorlage der noch im Besitz
befindlichen Ouittungskarte und Ausrechnungsbescheinigungen bei
dem Städt. Sekretariat sür Invaliden- und Hinterbliebenen-Ver-
stcherung Bienenstraße 8. 2. Stock, zu melden.

Unternehmer in der Steuerabwehr.
Aus einem kleinen Beispiel sei einmal gezeigt, wie die Unter-
nehmer arbeiten, um ihrer Industrie drohende -Steuerlasten fern-
zuhaltsn. Am 3. September wurde durch WTB. eine Nachricht
verbreitet, deren erste Satze lauten:
„Wie der Steuerausschutz des Deutschen Tabakg-ewerbes
mitteilt, befindet sich die deutsche -T a bakindu st r i e ge-
genwärtig in einer K r i s e, die wirtschaftlich von schwerer Be-
deutung ist. Das typische Zeichen dafür ist die Arbeitslosig-
keit. Da es bei dem großen Risiko heute unmöglich ist, auf
Lager zu produzieren, müssen bei einem Abnehmer des Auftrags-
bestandes Betriebseinstellüngen oder Arbeiterentlastungen vor-
genommen werden."
Diese Sätze besagen zunächst, daß die Unternehmer im Tabak-
gewerbe einen besonderen Steueraus schuh laus ihren Reihen
gebildet haben zur möglichsten Abwehr neuer Steuern, mit denen
der Tabak allerdings recht stark belastet ist. Die Unternehmer wäl-
zen diese Laste» natürlich auf alle Fälle von sich ab. Zum Teil
gedrückt, in der Hauptsache aber müssen sie als indirekte Steuern
gedrückt, in der Hauptsache aber müsse sie als indirfekte Steuern
von dem konsumierenden Publikum getragen werden, das ebenso die
enormen Spesen des unwirtschaftlichen Kleinhandels und die
Unsummen der R e k l a m e u n k o st e n zu tragen hat, die insbeson-
dere von den Zigarettenfabrikanten gemacht -werden.
Als typisches Zeichen für die Kreise der Ta'bakindustrie —
setzt, wo die am 1. Oktober in Kraft tretenden neuen Steuersätze
noch nicht -wirksam sind — wird die Arbeitslosigkeit be-
zeichnet. Dabei wird zugegeben, daß diese Arbeitslosigkeit des-
halb entstanden ist, weil die Unternehmer jetzt nicht auf
Lager arbeiten lasten wollen, sondern ihre Produktion einschränken,
die Arbeiter und Arbeiterinnen verkürzt arbeiten lasten oder aber sie
zeitweilig entlasse.». Sie suchen diese von ihnen selber b e-
w i rkte Arbeitslosigkeit mit dem Hinweis darauf zu ent-

schuldigen oder doch W erklären, daß es eingro ß e sRisi k o sei,
auf Lager arbeiten zu lassen, weshalb es ihnen unmöglich sei, die
gewöhnliche Produktion ihren Gang gehen zu lassen. Sie wälzen
also das Risiko als ganz selbstverständlich von sich auf die Arbeit-
nehmer ab. Um ihnen eventuell erwachsende Verluste zu vermei-
den — die sie bei gehöriger Organisation leicht vermeiden könnten
—, müssen die Arbeiter und Arbeiterinnen kurzarbeiten oder feiern,
also mehr oder weniger hungern.
Es wird Hann angegeben, daß die Zahl der von völliger Ar-
beitslosigkeit oder Kurzarbeit „betroffenen" Arbeiter von 11 Proz.
-am 1. April, wo die letzte Erhöhung der Tabaffteuersätze in Kraft
trat (!), auf 23 Proz. der insgesamt Beschäftigten -am 1. Juli ge-
stiegen ist. „Am 1. Suli waren also gegen 30 OVO deutsche Tabak-
arbeiter ganz oder teilweise erwerbslos." Diese summarische An-
gabe ist wohl von größerer Wirkung als Beweis für die — Krise
der Tabakindustrie, doch zur richtigen Beurteilung müssen die Zah-
len der Arbeitslosen und die der Kurracketter schon getrennt aufge-
führt werden.
Bei näherer Betrachtung der Dinge kann man sich aber des
Verdachts nicht erwehren, daß die Unternehmer zur Ver-
stärkung ihrer Beweisführung für die Schädlichkeit der neuen
Steuersätze dis Kurzarbeit und -dis Arbeitslosigkeit west über das
zur Abwälzung des Risikos nach' ihren Begriffen - notwendige Maß'
hinaus künstlich erhöhen. Bestand diese Absicht in ihren
Reihen, könnten sie sie ohne jeden Nachteil für sich aussührea, indem
sie vorher ihre Läger anfüllten. Das wäre Sachs der Tabakarbeiter-
vrgamsation, diesem Verdacht einmal nachzugehen.
Die Alarmnotiz verweist dann uns den Arbeitsmarktbericht im
„N ei chs arb sitsb latt", gewissermaßen als der amtlichen
Quelle für die Tatsache der Betriebseinschränkungen und -stittegun-
gen Die zitierte Berichtsstelle mündet in den Satz:
„Die Industrie befürchtet -einen stärkeren Rückgang nach dem
1. Oktober, wo bekanntlich noch eine weiters Erhöhung der Tabak-
steuersätze -in Kraft treten soll. Dis durch die Rye-nzollgrenze
den Betrieben des unbesetzten Gebietes zugesügtsn Schädigungen
haben sich im allgemeinen weiter ausgsvlrft und zugencmmen."
Damit liegt klar auf -der Hand, daß der Bericht im „Reichs-
arbeitsblatt", hinter den 'sich die Unternehmer hier verstecken möch-
ten. aus ihren eigenen Reihen berührt. Nach alledem läßt sich aus
diesem kleinen Beispiel ungefähr ersehen, wie es gemacht
w i r d. Für die Arbeiterschaft ist es recht nützlich, gelegentlich ein-
mal hinter die Kulissen zu sehen.

KÄMWUNSleS.
Aus dem Gemeinderat Rohrbach b. H. Die Beschaffung von zwei
Ackerwalzen wird genehmigt. Ebenso der Berkaus eines Trieurs. —
Genehmigt wird das Baugesu ch -der Baugenossenschaft Bezirk Heidel-
berg um Errichtung eines Doppelhauses. — Der Gemeilcherat ist mit
der 'Verstärkung der Feldhut zur Zeit der Traubenreife einverstanden.
— Die neue Frie-dh-of- und BegrSbnisor-dnung wird genehmigt. — Kennt-
nis genommen wird -von dem Stand der hiesigen Fleisch verso r-
gung un-d Preisregulierung. — -Die Beschaffung von zwei Gummipele-
rinen für die Polizei findet Zustimmung. — Die Beschaffung einer Sig-
nalglocke für die Friedhofkapelle Wird genehmigt. — Gegen -die Errich-
tung einer freien Friseu-rinnung des -Amtsbezirks Heidelberg mit dem
Sitz in Rohrbach bestehen keine Bedenken. — Bon dem Stand der Mehl-
und Brot-versorgüng des G-emeindeverbandes Heidelberg-Land -wird
Kenntnis genommen. — Einer Aenderung des Ortsbauplanes betr. Vor-
gärten der Leopoldstraße wird zugeftimmi. — Genehmigt wird die Aus-
führung einer neuen Rinnenanlage -Marktplatz). — Es werden Ab-
schlagszahlungen auf genehmigte -Pau-kostenz-uschiisie bewilligt. — Ge-
nehmigt wird das Rücktrittsgesuch des Herrn Prof. Walleser und Jakob
Stoll als Gemeindeveror-dnete. An deren Stelle treten: Johann -Schort,
Schlosser, und 8ohs. Grimminger, -Maurermeister. — lieber die Aus-
führung einerWasserleitung an der Leopold- und Mktoriastraß-e mit einem
Kostenaufwand von L4 000 Mk. soll der -Bürgerausschuß gehört werben.
— Polizeidiener Sandmaier wird zum Pvlizeiwachtmeister in Vorgesetz-
ten-BerhAtnis ernannt. — Dis von dem Ortsverein der Eemem-debeam-
ten und -Angestellten erbetene Neuregelung der Gehalts-
bezüge wird vom Besoldungsausschutz mit -mehreren Abänderungen
angenommen.

Das WohrmngsaSgahsgLfetz.
Die Bildung von Bezirkswohnungsverbänden.
Um das dem Landtag -vorliegende und von ihm noch
in feiner außerordentlichen Herbsttagung zu verabschiedende
Wohnungsabgabegssetz ist ein ziemlich heftiger -Meinungs-
streit entbrannt. Besonders sind es Bürgermeister mitt-
lerer Städte, die mit aller Energie gegen die im Gesetz
vorgesehenen Bezirkswohmmgsverbände Sturm laufen.
Umsomehr freuen wir uns, nachstehend einem Genossen
-das Wort zu dieser Frage erteilen zu können, -der als
Bürgermeister einer mittleren Gemeinde praktische Erfah-
rungen auf dem Gebiete des Wohnungswesens gesammelt
hat und gerade aus dieser Erfahrung heraus -dem «Gesetze
seine Zustimmung erteilt.
Genosse B o lls ch weiler, Bürgermeister in Ziegelhausen,
schreibt uns:
Nach der Regierungsvorlage vom 21. Juli 1921 an den badi-
schen Landtag ist 'die Bildung von Wohnungsverbänden in der
Weise vorgesehen, daß die Gemeinden und Städte bis zu 10 OVO
Einwohnern zu einem BezirkswshnungsveckanL zusammengeschlosseN
werden, der die Wohnungsabgaben -zu verwalten, Kapitalien auf-
zunehmen und die Baudarlehen sestzusetzen hat. Die Städte über
10 000 Einwohner regeln ihre Bauangeleg-enheiten selbst. Dieser
Entwurf hat die verschiedensten Kritiker auf den Plan gerufen, wie
aus den Zuschriften an -die Zeitungen ersichtlich äst. In der Haupt-
sache geht die Kritik von Städten aus, die in der Bevölkerungszahl
bis zu 10 000 zu suchen sind. Als hauptsächlicher Mangel gilt dis
Bestimmung, daß für die 'Gemeinden unter 10 OOO Einwohnern ein
Amtsbezirkswohnungsverband vorgesehen ist, und hier -eine Maß-
nahme erblickt -wird, die Selbstverwaltung der Gemeinden ganz
-wesentlich einzuschränken.
Ich habe den Gesetzentwurf durchgegangen und kann mich
vollständig damit einverstanden erklären und selbst damit, daß etwa
die Selbstverwaltung der oder jener rückständigen Gemeinde ge-
schmälert werden sollte.
Die Wohnungsnot tritt sehr ungleich zutage und ist am stärk-
sten an den Orten, wo starke oder bessere Arbeitsgelegenheit vor-
handen ist, und das ist der Fall in allen 'Orten in nächster Nähe
von Städten. Diese Orte werden natürlich sehr stark belastet, -baß
es nur recht und billig erscheint, daß die andere Gemeinden, die an
Wohnungsmangel nicht leiden, zur Tragung der -Kosten mit heran-
gezogen werden. Der Vorschlag, so wie wir ihn im Gesetz finden,
stützt sich gewiß auf -Erfahrungen, die bisher mit der Verteilung der
Landesdarlehen gemacht wurden und sicher hat man erwogen, aus
welche Art die natürlichste Organisation zu schaffen ist, ohne der so
sonderbar in den Vorgergrund geschobenen Selbstverwaltung der Ge-
meinden zu nahe zu treten. Wer die Verhältnisse in den Ge-
meinden kennt u. die Auffassungen in Punkto Wohnungsnot, der fin-
det schon ein Aussichtsrecht und ein Korrigieren der Bezirksämter
für nötig. Das bisherige Verfahren bei Gewährung von Daudar-
lehen sowie die ganze Erledigung der Gesuche Hal sich durchaus
bewährt und säst keinen Widerspruch gefunden-
Ich glaube, es kommen sehr wenig Gemeinden in Frage, die
mit einer selbständigen Verwaltung der Wohnungsabgaben etwas

anfangsn könnten und möchte es auch bezweifeln bei kleineren
Städten.
Die Behauptung, -daß die Wvhnun-gsverbände unter die Fuch-
tel der Oberamtmänner kommen, trifft nicht zu, denn dieser hat in
-der Verhandlung ebenfalls nur eine Stimme. Dis Bezirksv-er-
sammlung wählt ihren geschäftsführenden Ausschuß selbst, dessen
Tätigkeitsfeld in einem Statut fe'ftg-elegt wird. Wir haben es hier
mit einer Organisation zu tun, die das große Problem der Woh-.
mmgsnot lösen soll und nach menschlichem Ermessen scheint es det
richtige Weg zu sein, denn die Gemeinden sind z-u schwach. Es
mag kommen, daß sich im Anfang 'Kinderkrankheiten einstellen, die
aber überwunden werden. Die Bezirkswohnungsverbände als
Nachfolger der Kommunalverbände zu bezeichnen, geschieht in der
Hauptsache zu dem Zwecke, gewisse Schichten der Bevölkerung mit
neuem Mißtrauen zu erfüllen. Mit den Kömmu-nalverbänden
haben die neu z-u bildenden Wohnungsverbänds nichts Zu tun. Ts
handelt sich hier lediglich um den Zusammenschluß leistungsschwacher
Gemeinden, um die sinanziellen -Schwierigkeiten überwinden zu
können.
Diese Gemeindeverbände (SeWvevwaltungskörper) werden
neuerdings aus den gleichen Gründen auch reichsg-esetzlich gebildet,
so z. B. auf dem Gebiete des Armenwesens und der Ju-
gendfürsorge. Die Bildung von WohnungsverbLndcn ist
daher nicht nur gerechtfertigt, sondern ein 'Ding der Notwendigkeit
und es ist zu hoffen, daß der Landtag den vorliegenden Entwurf
zum Gesetz erhebt.
Z-u derselben Frage schreibt uns Genosse E ngle r, Arbeits-
m-im-ster:
Der Entwurf über das Wvhnungsabgabegesetz, -wie er dem
Landtag -vorliegt, ist in Besprechungen, die mit interessierten Ver-
bänden abgehalten wurden, im allgemeinen -gut-geheiß-en worden.
Nur von einer Anzahl Bürgermeister mittlerer Städte wird in den
letzten Tagen Opposition gegen die Bestimmung über die Be-
zirk s w r> h n u n g s v e r b ä n d e gemacht. Wie uns von ver-
schiedenen Seiten mitgeteilt wird, ist an die Gemein-deverw-aktungett
der mittleren Städte eine Resolution versandt worden, die den
Bürgerausschüssen zur Annahme empfohlen wird. Gegen diese
Art von Opposition muß entschieden Stellung genommen -werden.
Den Bürgerausschüssen wird natürlich nicht das ganze Gesetz vor-
gelegt, sondern nur einige Bestimmungen äus den; Zusammenhang
h-erausgerissen und daran dann die Behauptung -geknüpft, die In-
teressen der mittleren Städte würden dadurch geschädigt. Wer das
Wohnungsabgabegesetz und seine Begründung liest, Wick von einer
Schädigung der mittleren Städte nichts bemerken können. Jeder
Eingeweihte weiß auch, daß eine Bewegung gegen diese Bestim-
mung nur künstlich entfacht wird von einer Anzahl Bürgermeister,
welche glauben, sie müßten in der Wahrung ihrer -Selbständigkeit
soweit gehen, daß sie nicht notwendig -hätten, mit anderen Bürger-
meistern ober mit einem Ausschuß gemeinsam an einem Tisch zu
fitzen. Die Genossen in den Biirgerausschüssen sotten deshalb die
vsrgelegte Resolution genau besehen und sie wecken dann wohl zu
einer Ablehnung kommen. Wenn unsere Landtagssraktion an dem
Wohnungsabgabegesetz Aenderungen beantragen will, dann sollte
sie viel eher prüfen, ob nicht' auch die Gemeinden mit mehr als
10 000 Einwohnern in die "Wohnungsveckärche einzubeziehen wären,
und zwar mit Rücksicht auf dis Gemeinden, die man als Vororte
von Industriestädten «»sprechen kann. '(Das entspricht ganz den
Ausführungen und Forderungen des Gen. Bollfchw-eiler. D. Red.)
In diesen Gemeinden herrscht eine Wohnungsnot, die -von ihnen
allein nicht beseitigt werden kann. Auch die Gemeindeverbände
werden ihnen nicht ausreichend Hilfe bringen können, und -es wirb
notwendig sein, daß von den dem Staut zur Verfügung stehenden
Mitteln solchen Arbeiterdörfern namhafte Beträge gewährt -werden.
Wenn aus den Gemeindeverbänden auch noch alle Gemeinden mit
über 4000 Einwohnern ausscheiden, so würde von den verbleiben-
den Gemeindeverbänden nicht viel für die Lösung der Wohnungs-
frage zu erwarten sein.

VMSWirLschafL.
Für ix: Millarden russische Aufträge in Deutschland.
(Priv. Meldungen des B. T.)
Der russische Handelsverkehr beginnt reger zu werden. Die
-Sowjetregierung hat kürzlich schon in Deut s ch land 700 S i s e n-
b ah n l o -k o m o t iv e n bestellt, die vertragsmäßig binnen 6—7
-Monaten zu liefern sind. Die Aufträge wurde auf eine ganze Reihe
führender deutscher Industriefirmen, u. a. Henschel, Bsrsig, Krupp,
Wolff (Köln), verteilt, und man hat auch schon mit ihrer Ausfüh-
rung begonnen. Wie wir erfahren sind dieser Tags im Hamburger
Hafen die ersten sechs 'Lokomotiven durch die Deutsch-vuMch'-e Trans-
portgesellschaft verladen worden, um nach Petersburg befördert zu
werden. In den nächsten 'Wochen sollen in regelmäßigen Abstän-
den weitere Lieferungen folgen. In S chweden sind gleichartige
Aufträge vergeben worden; dort wurden 1000 Lokomotiven bestellt,
die im Zeitraum von vier Jahren zu liefern sind.
Weiter sind, wie wir hören, durch die russische Regierung Auf-
träge zur Lieferung von Chemikalien, landwirtschaftlichen u. anderen
Maschinen, Eisenbahnschienen usw. im Gesamtwerte von etwa 1^
Milliarden Mark in Deutschland erteilt worden.
!Inzw-ischen sind auch die ersten Warensendungen aus Rußland
in Deutschland eingetroffen. 12 Waggons Rauchwaren
werden binnen wenigen Wochen in Leipzig zur Auktion gestellt
werden. Drei Dampfer B auholz sind bereits zum Ver-
kauf gebracht, desgleichen größere Mengen Hanf und Flachs.
Ein Dampfer mir einer Ladung von etwa 1000 Tonnen Asbest
-wird erwartet. Endlich sind noch kleinere Sendungen von Där -
m e n eingetroffen und verkauft -worden.
Die russische Regierung legt, wie uns an zuständiger Stelle er-
klärt wurde, aus die Handelsbeziehungen zu Deutschland besonderes
Gewicht und hat bisher nach keinem anderen -Lande in gleichem
Umfange exportiert.
In letzter Zeit ist den maßgebenden russischen Stellen eine
Reihe von Vorschlägen bezüglich der Vergebung von Konzes-
sionen und Kreditübereinkünsten von deutschen Mr*
men und Interessengruppen 'zugegangen.
Der russische Volkskommissar für Außenhandel, Krassin,
wird wie wir weiter hören, noch im Laufe dieses Monats in B er-
lin eintreffen, und zwar auf dem Wege von Riga, wo er an der
Ra-ndstaatenkonferenz teilzunehmen gedenkt. Es sollen in Deutsch-
land weitere große Aufträge zur -Lieferung von industriellen Fertig-
produkten vergeben werden, deren die russische Regierung zum Ein*
tausch gegen Naturalien aus dem platten Lande in erheblichen Men-
gen bedarf. Vor allem kommen I a n d w i r tf ch a f t li ch e Ma-
schinen und Geräte und weitere Massenartikel des Bauern-
bedarfs in Betracht, an denen großer Mangel herrscht. Bekanntlich
leistet die russische Regierung ihre Zahlungen in Deutschland in
'deutscher Reichsmark. Von Berlin wird Herr Krassin nach Lon-
d o n Weiterreisen.
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