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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (3) — 1921

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Nr. 271 - Nr. 280 (19. November - 30. November)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boscberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.

Bezugsvreis: Monatlich einlchl. Trägerlohn 6.— Mk. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (86 mm breit) 1.5V Mk-, Neklame-Anzeigen
(93 mm breit) 2H0 Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Eeheimnnttelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäftsstunden: 8—'/z6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karis'uhe Nr. 22577. Tel.-Adr : Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Donnerstag, 24. November 1921
Nr. 275 * 3. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u.äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton:
Tr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O. Weibel; für die Anzeigen: H.Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlags« statt G. m. b.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröoerstraße 39,
_Fernsprecher: Auzeigen-Annahme 2373, Redaktion 2648._

Politische Ueberficht.
Ein Sorgenwinter.
Berlin, den 21. November 1921.
Unser Berliner Mitarbeiter schreibt uns:
Millionen sehen dem einsetzenden Winter mit tiefster Sorge
entgegen. Zwar läßt der Beschäftigungsgrad der Industrie hoffen,
daß uns die Massenarbeitslosigkeit, wie sie in England und Ame-
rika verhehrcnd austritt, einstweilen noch erspart bleiben wird.
Der Sturz unserer Mark hat aber neue Teuerungen wichtiger Ge-
irauchsgegenstäude hervorgerusen, berechtigte und unberechtigte.
Als berechtigt werden im allgemeinen diejenigen Preissteigerungen
gelten müssen, die sich auf neu importierte Waren beziehen, als un-
berechtigt diejenigen, die die allgemeine Teuerung, wie sie sich aus
der Verteuerung der importierten Waren allmählich ergeben mutz,
spekulativ vorwegnehmen. Die Grenze zwischen übervorsichtiger
Kalkulation und offenbarem Wucher wird nicht überall leicht zu
ziehen sein. Gegen alles, was zweifellos jenseits der Grenze des
kaufmännisch Anständigen liegt, mutzte man mit den allerschärfsten
Strafen vorgehen.
Die Teuerung und die Angst vor der wetteren Steigerung al-
ler Preise hat natürlich überall Lohn- und Gchaltsbewegungen
ausgelöst. Für die Beamten und Sozialrentner ist rasch eine neue
Regelung getroffen worden, von der man freilich nicht wissen kann,
wie lange sie vorhält. Unter Angestellten und Arbeitern herrscht
lebhafte Unruhe. Das Tarifsystem reicht offenbar nicht mehr aus,
um Löhne und Gehälter mit der nötigen Schnelligkeit der verän-
derten Marktlage anzupaffen. Wilde Lohnbewegungen sind davon
die Folge. Ihnen kann nur dadurch begegnet werden, datz die Ge-
werkschaften sich durch ein rasches und tatkräftiges Vorgehen die
Führung sichern. Schließlich gibt es Schichten, die durch die Mark-
entwertung widerstandslos in noch tieferes Elend Herabgestetzen
werden. Unter ihnen herrscht dumpfe Verzweiflung; hier können
sich Elemente entwickeln, die zu jedem Aeutzerstm bereit sind.
Wie wird dieser Sorgenwinter Politisch verlaufen? Es wird
mitunrcr prophezeit, datz die Kommun istc n die vorhandene
soziale Unruhe zu neuen Machtstötzen gegen die Ncpubllk aus-
nützen wollen, und manche sehen in den parlamentarischen Vorgän-
gen vom letzten Sonnabend den Anfang einer großen ltnks-radi-
kalen Aktion. Diese Auffassung ist jedoch kaum richtig. Die Ver-
hältnisse haben sich in den letzten Jahren gründlich gewandelt.
Eine Gefahr für die Republik entsteht aus liuks-radikalen Aktio-
nen direkt nicht mehr, sondern höchstens indirekt durch die Stär-
kung der Reaktion, die sie in ihrem Rückschlag bewirken. Testen
ist man sich auch in linksradikalen Kreisen ziemlich klar bewußt.
Eine linls-radikale Aktion gegen die demokratische Republik
mit einigermaßen klar umriffenen politischen Zielen ist heute über-
haupt nicht mehr möglich. Wer etwas beseitigen will, der mutz doch
immerhin eine gewisse Vorstellung von dem haben, was an seine
Stelle gesetzt werden soll. Diese Vorstellung fehlt aber vollständig.
Vor drei Jahren gab es in Deutschland wirklich Leute, wenn auch
nur eine kleine Minderheit, die in der Aufrichtung einer deutschen
Sowjet-Republik nach russischem Vorbild ihr politisches Ziel er-
blickten. Damals regierte der Bolschewismus erst ein Jahr, und
Wenn auch die Sozialdemokraten aus ihrer klareren Erfassung der
Dinge heraus schon damals seinen totalen Mißerfolg prophezeiten,
so ist es doch begreiflich, datz andere in dem düsteren Brandrot des
russischen Himmels das Morgenrot eines sozialen Sonnenaufgan-
ges zu erblicken glaubten. Diese Illusionen, deren sich schließlich
keiner zu schämen braucht, der sie einmal gehegt hat, sind durch die
Erfahrung der letzten drei Jahre so grausam zerstört worden, datz
man heute in deutschen kommunistischen Versammlungen den Rus
nach der politischen Räteherrschaft kaum noch hört. Und wo er er-
hoben wird, ergibt sich die Antwort von selbst, datz diese Räte-
herrschast ein wehenloser Schatten ist, datz sie in Rußland niemals
bestanden hat, sondern datz sie nur eine rasch wiederabgetragene
staatliche Scheinform war, um die mit rücksichtslosesten Gewalt-
mitteln behauptete Herrschaft einer Minderheit zu ermöglichen.
Wer sollte in Deutschland diese Minderheit sein? Etwa die
K.P.D.? Das ist eine Vorstellung, über die sich vermutlich die
Kommunisten selbst, wenn sie unter sich sind, lustig machen. Die
russische Bolschewiken-Partei hat bisher nicht zum Vorteil ihres
Landes regiert. Und doch ist sie eine Gesellschaft von hervorragen-
den Persönlichkeiten und politischen Genies im Vergleich zur deut-
schen kommunistischen Partei. Dieses ist nichts anderes als die ge-
borene Unfähigkeit, die sich in ewig neuen, den Außenstehenden
unverständlichen und gleichgültigen Händeln immer wieder selber
zerstört.
Damit ist nicht bewiesen, daß es in diesem Winter nicht zu kehr
bösen Ereignissen kommen kann. Es geht aber daraus unwiderleg-
lich hervor, datz diese Ereignisse zu keinem politischen Ziel führen
können. Man hat auch in anderen Industrieländern solche Ereig-
nisse in weitestem Umfange erlebt, ohne datz durch sie an den Herr-
schaftsformen und den politischen Verhältnissen etwas wesentliches
geändert worden wäre. Sinnlos und verbrecherisch wäre es daher,
solche Ereignisse mit Absicht Hervorrufen. Sie können nur Opfer
kosten, nur viele Menschen unglücklich machen, aber aus dieser Un-
glückssaat wächst«, keine Ernte zukünftigen Glücks.
Für dse sozialdemokratische Partei, die ehrlich und aufrichtig
den Interessen der arbeitenden Bevölkerung dienen will, ergibt sich
daher ihre Stellung zu derartigen möglichen Vorgängen von selbst.
Die Partei verkennt nicht die tiefen Ursachen der in den notleiden-
den Massen vorhandenen Unruhe und wird alles tun. uni durch
ihre gewerkschaftliche und politische Arbeit jede mögliche Besserung
hcrbeizuführen. Gegen eine Ausnützung der Not zu linlS-radikalcn
Partcimrmövern, gegen alle Versuche, die Massen in kopflose, opfer-
reiche und unfruchtbare Aktionen hineinzureitzcü, die nur von der
Leidenschaft, nicht von der Vernunft geleitet werden, wird sie sich
aus das aller Entschiedenste zur Wehr setzen. Die Massen haben
ein Recht auf Wahrheit. Man darf sie in ihrer Not nicht auch noch
belügen. Denn es ist für sie besser, den ganzen Ernst der Lage zu

Dsr deutsche Wiederaufbau im SommegeLiet
Paris, 24. Nov. Loucheur hat gestern morgen eine
Delegation des Aktionskomitees der zerstörten Gebiete empfangen.
Im Verlaufe der Unterredung wurde das deutsche Projekt der
Wiederherstellung von 11 Dörfern mit Hilfe deutscher Arbeiter
besprochen. Der Minister erklärte, datz keine Entscheiduni
getroffen werden könnte, solange nicht der offizielle Entschluß be-
kannt sei, welchen die Verwaltung des Bezirkes von Chaulnes
treffen wird. Dieser Entschluß wird zeigen, ob die geschädigten
Bewohner im Prinzip der Verwendung deutscher Arbeiter und
den übrigen Bedingungen des Projektes zustimmen.
Stkunes kauft Kohlengruben!
Berlin, 22. Nov. (Eig. Drahtbcr.) Stinnes hat seine Reife
nach England, die angeblich der Vorbereitung von Krediten gelten
sollte, zu privatwtrtsch östlichen Zwecken ausgcnutzt.
Seine englischen KohlcnkLufe für die deutsche Montanindustrie sind
außerordentlich bezeichnend. Frankreich hat von Deutschland im-
mer große Kohlenmcngcn auf Grund des Friedensvertrags abge-
sordcrt. Dadurch hat es die deutsche Großindustrie, besonders die
verarbeitende, zeitweilig in eine äußerst schwierige Lage gebracht.
Auch in der gegenwärtigen Hochkonjunktur wird immer wieder
darüber geklagt, datz infolge des Mangels an Qualitätskohle in
Deutschland die Produktion stark gehemmt werde, und daß dadurch
die Möglichkeit, die infolge des Balutasturzes günstige Weltmarkt-
lage voll auszunutzcn, stark eingeschränkt werde. Aber die Industrie
Hilst sich selber, mögen auch dem Reiche die Devisen zur Zahlung
der Reparationen fehlen. Gewisse industrielle Kreise haben daran
keinen Mangel, und diese verbinden sich nun mit dem englischen
Kohrenmarkt, um eine erhöhte Produktion erzwingen zu können.
Den Engländern, die an Arbeitslosigkeit leiden, mutz eine solche
Verbindung sehr erwünscht sein, für die Franzosen aber ergibt sich
die Tatsache, datz die deutsche Industrie von dem natürliche» Ver-
sorgungsgebiet aus Mitteleuropa dem westdeutschen,. belgischen
und französischen Kohlenbecken abgcdrängt und nach England
hingelcitet wird. Abgesehen von der norddeutschen Industrie, die
schon vor dem Kriege von England bezogen hat, und von der fran-
zösischen Industrie, die einen Kohlenüverflutz hat, so daß die Saar-
bergwerke von Zeit zu Zeit Feierschichten einlegen müssen, gehen
dadurch viele Absatzgebiete verloren. Das ist der Erfolg der fran-
zösischen Politik, soweit sie auf die Aushöhlung der deutschen Koh-
lengrundlage gerichtet ist. Man kann sich auch ein Bild daraus
machern was aus uns würde, wenn die Franzosen ihre Drohung
mit der Besetzung des Ruhrgebietes in die Tat umsetzten. So
furchtbar die politischen und nationalen Folgen dieser Besetzung
Mären, wirtschaftlich wären sie ein Stotz ins Leere, wenn nicht gar
ein Schnitt ins eigene Fleisch. Leider gibt aber die Geschichre des
Friedensvertrags und der Reparationspolitik denen recht, die da
sagen, datz Frankreich vor eurer Schädigung seiner eigenen Wirt-
fchastsinteressen nicht zurückschreüe, wenn cs das Prestige des im-
perialistischen Militarismus fördern zu müssen glaubt. Wik ver-
sprechen uns jedoch auch von diesem Hinweis wenig Erfolg. Ver-
merkt mutz die Tatsache werden, datz die Franzosen mit ihrer Repa-
rationspolitik bereits jetzt schon ihren eigenen Wirtschaftsinieresfen
schweren Abbruch tun.
erkennen, und die Grenzen, innerhalb derer Hilfe möglich ist, als
sich in haltlose Illusionen zu verstricken und für unmögliche Ziele
aufzuopfern. Auch wir Sozialdemokraten glauben an cin besseres
Zukunftsland, aber wir verschweigen unseren Anhängern nicht, datz
der Weg dahin wett ist, und datz er jetzt durch einen harten Win-
ter hindurchführt, von dessen Sorge» uns kein Verzweislungsstreich
befreien kann.
Ausländerbesuch in den „Deutschen Werken".
Berlin, 22. Nov. Unabhängig von dem gestrigen Besuch
des Generals Nollet besichtigten gestern tn Begleitung von Herren
des Auswärtigen Amtes Vertreter der ausländischen
Presse, und zwar Amerikaner, Holländer, Schweden, Ruffen,
Italiener, Engländer, Rumänen, Dänen, Chinesen und Japaner
die Fabriken der Deutschen Werke tn Spandau und Hasel-
horst. Unter Führung leitender Herren der Werke wurde den
Pressevertretern Einblick sowohl in die verschiedenen Fabrikations-
zweige der Werke als auch in die von der Entente angeordneten
Zerstörungsmatznahmen gegeben. Die Herren konnten
sich an Ort und Stelle überzeugen, datz die Werke mit der Her-
stellung von Kriegswasfen nicht mehr das geringste zu tun haben,
daß die angeordneten Zerstörungsmatznahmen jeder sachlichen Be-
gründung entbehren und Latz die Zurücknahme der betreffenden
Entcntcnote unbedingt erforderlich sei, wenn nicht schwere Wirt-
schaftliche Schädigungen, insbesondere Entlassungen von Tausen-
den von Angestellten und Arbeitern die Folge sein soll.
Nach Abschluß der Besichtigung dankte im Namen der Besucher
der Vertreter eines maßgebenden holländischen Blat-
tes für die eingehende und lehrreiche Orientierung. Er glaubte
sagen zu können, datz die Besichtigung dazu beitragen würde, das
Ausland durch die anwesenden Pressevertreter über die friedlichen
Absichten der Deutschen Werke und die Notwendigkeit ihrer Er-
haltung im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zu unterrichten-
München, 22. Nov. Angesichts des allgemeinen Mißtrauens,
das im Verhältnis des Auslandes zu Deutschland immer wieder

zutage tritt und für beide Teile schädlich ist, haben sich die deutsche»
Gewerkschaften durch eine neue Initiative ein weiteres Verdienst
erworben. Wie schon gemeldet wurde, haben die deutschen Ar-
bcitervertreter auf der Internationalen Arbettskonferenz tn Gens
eine aus Mitgliedern dieser Konferenz und aus Vertretern der
verschiedensten Länder zusammengesetzte Reisegesellschaft zu einer
Tour durch Deutschland eingeladen; die Reisegesellschaft ist gestern
in München angelommen.
Hier wurden gestern und heute unter Führung des ehemaligen
Reichswirtschaftsministers Genossen Wissell eine Reihe von
Privatbetrieben in München und Dachau, darunter vor allem
auch die Deutschen Werke, besichtigt. Die Mitglieder der
Reisegesellschaft, unter denen sich Vertreter der Regierungen aller
Länder, darunter Vorstände von Wirtschaftsorganisationen und
Vertreter der Presse, u. a. I o u h a u x - Frankreich sowie auch
Mitglieder des Völkcrbundratcs, führende Militärs der alliierten
Länder befanden, waren sämtlich zu der Arbeitskonserenz in Genf
geladen. Sie zeigten ein lebhaftes Interesse an den wichtigen
Betrieben und den darin vorgcnommenen Umbauten und Verän-
derungen zufolge des Versailler Friedensvertrags. Während der
Besichtigung der-Werke von Dachau waren sie auch Zeugen der dort
noch täglich vorgenommetten Zerstörungen der früheren Einrich-
tungen der Pulverfabrik. Die Reise soll morgen fortgesetzt wer-
den und eine Reihe wichtiger Industriezentren Deutschlands be-
rühren, darunter insbesondere solche, die im Auslande den Rus
genießen, die Zentren des früheren deutschen Militarismus ge-
wesen zu sein und über die heute sehr beunruhigende Meldungen
durch die Presse gehen.
Der bayerische Ministerpräsident Graf Lerchenfeld hat
die Internationale Kommission, bayerische Volitiker und Vertreter
der bayerischen Gewerkschaften morgen zu sich geladen, um über
die wirtschaftlichen Verhältnisse, welche die Kommission in Deutsch-
land studieren soll, durch seine Beamtenschaft eingehend Bericht
erstatten zu lassens

Neue gefährliche Spannung Berlin—München
Die Hetze der bayerischen Presse.
München, 23. Nov. Der Haushaltsausschutz des bayerischen
Landtags hat heute zum Beschlutz des Untersuchungsausschusses
des Reichstags Stellung genommen, nach dem die bopefts-^s -«Ff-
anstalt Niederschönenfelde besichtigt werden soll. Der Ausschutz«
Vorsitzende Abg. Held erklärte, datz dieser Beschluß einen Etugtl-f
in die bayerische Zuständigkeit bedeute und die Gefahr eines Kon-
fliktes zwischen der Auffassung des Neichstagsausschuffes und des
bayerischen Landtags mit sich bringen. Dann teilte Minister-
präsident Graf Lerch en feld mit, datz im Falle der Durchfüh-
rung des Beschlusses die bayerische Regierung die Entscheidung
des Staatsgerichtshofes anrufen werde. Eine vorherige Unter-
suchung der Anstalt werde infolgedessen nicht stattfinden können.
Die Anstaltsleitung sei hiervon bereits in Kenntnis gesetzt worden.
München, 23. Nov. *Dcr .Bayerische Kurier" er-
klärt heute in einem Leitartikel, datz das bayerische Volk Verletzun-
gen der Verfassung, wie die letzte des Reichsjustizministers Rad -
bruch nicht mehr ertragen werde. Wenn das Reich die Ver-
fassung breche, so zerstöre es die Grundlagen seiner Existenz. Das
Blatt fragt dann, ob Minister Radbruch die Richtlinien seiner
Politik ohne das Vorwissen des Reichskanzlers bestimmt habe.

Die erHerr Sitzungen der deutsch-polnischen
Wirtschaftskonferenz.
Gens, 23. Nov. (Priv.-Tel. der „Frkf. Ztg.") Diedeutsch -
polnische Konferenz über Oberschlesien hat heute
bereits zwei Sitzungen abgehalten, die ohne Zwischenfall verlausen
sind und bet allen Teilnehmern die Hoffnung auf einen sachlichen
Verlaus der Verhandlungen bestärkt haben.
Nach einer kurzen Begrüßung durch den Generalsekretär des
Völkerbundes eröffnete Herr Calonderdie Verhandlungen mit
der Erklärung, er werde den beiden Parteien die Erörterung und
Verständigung über die der Konferenz unterbreiteten Fragen über-
lassen und sein Amt als Schiedsrichter nur dann ausüben, wenn
eine Einigung über einzelne Fragen nicht zustande kommen sollte.
Er hoffe jedoch, datz beide Parteien von versöhnlichem
Getste getragen, nicht dazu Anlaß geben werden. Der deut-
sche Delegierte Reichsmintster Schiffer und der polnische Be-
vollmächtigte Olszowski stimmten diesen Worten zu und die
Konferenz regeltethreGeschäftsordnung ohne Schwie-
rigkeiten. Es bleibt den Teilnehmern überlassen, sich der eigenen
oder der französischen Sprache zu bedienen. Ein Schriftführer
wurde nicht ernannt. Mehrere Beamte verschiedener Nationalität
vom Völkerbundssekretariat haben den Auftrag, die Verhandlungs-
berichte abzusassen. Es wurde beschlossen, die einzelnen Punkte
der Entscheidung des Völkerbundsrates zu besprechen und sodann
unter sich das Ergebnis der Kommissionsarbeiten. Es ist in Aus-
sicht genommen, die Kommissionen, soweit sie über die techni-
schen Fragen lokaler Natur zu verhandeln haben, nach Danzig
zu berufen, wo denn auch wabrschetnlich Bevollmächtigte beider
Parteien ihren Sitz ausschlagen werden. Die Kommissionen, denen
Fragen rein völkerrechtlicher Natur überwiesen werden,
dürften dagegen nach Genf einberusen werden. Der Vorsitzende
behielt sich vor, die Konferenz, falls cs im Lause der Verhand-
lungen notwendig werden sollte, sich an Ort und Stelle selbst cin
Urteil zu bilden, nach Oberschlesicn zu verlegen. Die deutsche
und polnische Abordnung werde sich in Ruhe unter sich über die
Organisationsfragen noch besprechen und die Konferenz werde am
Nachmittag ihre Beschlüsse fassen.
Da auf keiner Seite Neigung hervorgetreten ist, den Boden
einer sachlichen Diskussion zu verlassen, so ist es möglich, datz die
Konferenz morgen oder übermorgen die Unterkommissioncn ernennt
und daß die Konferenz erst wieder tn Genf zusammentritt, wenn
die Berichte dsr Kommission vorgelegt werden.
 
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