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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (3) — 1921

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Nr. 231 - Nr. 240 (4. Oktober - 14. Oktober)
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Heidelberg.

Heidelberg, Montag, 10. Oktober 1921
Nr. 236 * 3. Jahrgang

Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Gppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boxberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.

Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales»
O.Geibel; für die Anzeigen: H. tzorchler, sämtliche in H<' " „
Druck u. Verlag derUnterbcwischen Verlagsanstalt G.m-b.tz., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redattion 2648.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 5.— Mk. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 1.30 Mk., Reklame-Anzeigen
(93 mm breit) 2.M Mk. Bei Wiederholungen Nachlatz nach Tarif.
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, Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22 877. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

M MMkll dkl slWSMkl WM.
Briands Abrechnung mit den reaktionären Kritikern. — Vertranens-
erklärung für die deutsche Regierung.

Parts, S. Ott. Ministerpräsident Brtand hielt heute
nachmittag bei einem zu seinen Ehren veranstalteten Bankett in
St. Nazaire eine Rede. Er sagte:
Einer schönen republikanischen Tradition zufolge wolle er vor
der Wiederaufnahme der parlamentarischen Arbeiten seine Ge-
danken zum Ausdruck bringe« und die Richtlinie« mitteilen,
nach denen er die Politik zu orientieren gedenke. Er liebe die
Polemik nicht. Diejenigen, die das Land vertreten, hätten die
Pflicht, alles zu tun, damit sie vermieden werde. Eine Kritik jedoch
müsse er widerlegen, weil der Ministerpräsident Frankreichs seine
Autorität nicht vermindern lassen könnte. Alle Angelegenheiten,
die er im Namen der Nation erledige, seien Weltangelegenhetten.
Man habe gesagt, wenn er, Briand, gewisse Konzessionen verwei-
gern werde, könne Frankreich einen bessere« Nutzen aus dem Kriege
ziehen. Frankreich habe die größten Opfer gebracht. Es habe ein
Anrecht auf die volle Reparation der erlittenen Schäden. Er habe
aber gedacht, daß Frankreich nach dem Stege ein Anrecht auf de«
Frieden habe und ein Anrecht darauf, tn der Welt einen ersten
Platz einzunehmem Wäre das nicht der Fall, dann wären die
Männer, die Frankreich regieren, nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe.
Er habe die Regierung übernommen tn der Absicht, den Frieden
sicherzustellen, damit er
Frankreich sei« Recht aus dm Frieden gewährleisten
könne. Das sei vielleicht keine Politik, die die Masse« begeistere.
Aber sie führe wenigstens nicht zu Eventualttäten, aus denen die
Länder oft ruiniert herauskäme«. Während der Friedensverhand-
lungen habe Frankreich Konzessionen machen müssen.
Wenn also die guten Franzosen, die über den Frieden unterhandelt
hätten, gezwungen gewesen wären, sich damit abzufinen, dann
Müßten sie die elementare Intelligenz besitzen, um zu begreifen,
daß er, der erst zwei Jahre nach dem Waffenstillstand zur Negie-
rung gelangt sei, ohne ein vollkommenes Instrument in Händen
zu haben, kein vollkommenes Werk habe schaffen können. Wie seine
Vorgänger, habe er, um die Ausführung des Friedensvertrags
möglich zu machen, im vollen Einverständnis mit Frankreichs
Alliierten handeln müssen. Ohne diese Solidarität wäre die Aus-
führung des Vertrags unmöglich. Aber niemals könne Frankreich
alles verlangen, was man ihm schulde, weil es Dinge gäbe, die
man nicht bezahlen könne.
Briand lehnte es ab, sich auf eine Prophezeiung einzulassen.
Um den schlechten Willen des deutschen Militarismus zu besiegen,
habe seine Regierung die Besetzung von Düsseldorf, Duisburg und
Ruhrort beschlossen. Das seien Ereignisse von großer Bedeutung,
dir der Regierung nicht aus das Aktivkonto gebucht worden seien,
während man von ihrem Debet großes Aufheben mache. Wenn
man an 1871 erinnere, so vergesse man, daß der letzte Krieg alle
finanziellen und wirtschaftlichen Vorstellungen umgestotzen habe.
Man vergesse auch, daß die Forderungen Frankreichs durch das
Schwanken der Wechselkurse ungeheuer vermehrt worden seien.
Wie könne man da behaupten, die Forderungen Frankreichs feien
verstümmelt worden, die Regierung habe nicht ihre Schuldigkeit
getan? Die Mobilisierung der Jahresklasse 1919 habe die Regie-
rung nicht leichten Herzens unternommen. Das Ergebnis habe

'gezeigt, daß sie gerechtfertigt gewesen sei, denn am Jahrestags
des Friedensschlusses von Frankfurt habe der deutsche Reichstag
die Niederlage Deutschlands anerkannt. Hätte man die Jahres«
klasse 1919 noch länger draußen gelassen, dann hätte man den
Kriegszustand unnötig verlängert. Seitdem habe Deutschland ge-
wissenhafter als in der Vergangenheit seine Verpflichtungen erfüllt
und es Habs entwaffnet. Frankreich halte an seinen Allianzen fest.
Die Regierung aber vergesse nicht, daß das französische Blut aus
dem Boden Frankreichs für die Freiheit nicht allein geflossen sei.
Frankreich werde, ohne etwas von seinem Recht auf Sicherheit
aufzugeben, nicht vergessen, was es den Alliierten schulde.
Briand fuhr fort: Jetzt sei Frankreich nach Uebersee eitt-
geladen. Man werde dahingehen, um eine Dankespfltcht ab«
zutragen und um eine Pflicht gegenüber Frankreich zu erfüllen.
Frankreich müsse gerüstet bleibe«,
solange seine Sicherheit nicht stchergefteM fei. Frankreich habe et«
Anrecht aus Reparationen und auf seine Sicherheit. In diese?
Richtung werde die Regierung keinen Augenblick schwanken.
Die Regierung habe Vertraue« zu der gegenwärtigen
deutschen Regierung.
In der Kammer werde er sich auszusprechen haben. Wenn ei«
genialer Geist das Geheimnis besitze, alles besser zu machen, so
werde er ihm sofort den Platz räumen. Er klebe nicht an feinem
Poften. Mer bis zu diesem Beweis und solange er noch nicht dis
Barke im sicheren Hasen habe, wolle er die Hand am Steuer be«
halten.
Briand sprach dann von den Reformen, die durchgeführt
werden müßten, von den Ersparnissen, die man zu realisieren!
versuchen werde. Mer ein Staat könne nicht immer so handeln,
wie eine Privatperson. Man müsse Arbeit schaffen, um die Zukunft
sicherzustellen. Frankreich könne nicht zur Paralyse schreiten. DaS
Land verlange eine umfangreiche Tätigkeit. Es sei ein schönes
und schickes Land. Das sei vielleicht ein etwas vulgärer Ausdruck,
aber er gebe seine Gedanken richtig wieder. Wenn man den Jam-
mer höre, wolle man sich die Ohren verstopfen. Der Krieg, der so
viel Unheil und Trauer geschaffen habe, habe indessen den Gedanken
für Einheit und Solidarität unter den Franzosen gefördert. Der
Krieg habe manche Egoismen miteinander verbunden und Soli-
daritäten geschaffen. Davon müsse etwas zurückbleiben. Die Re-
publikaner, die regierten, könnten keine offene Parteipolttik treiben.
Sie müßten für alle Franzosen regieren. Diese Politik der Einheit
und der gewissen Stetigkeit wolle die Regierung praktizieren.
Das republikanische Regime, das Frankreich seine Ehre und seine
Allianzen geschaffen habe, habe das Recht zu sagen: Ich bleibe!
Die unerfahrenen jungen Mgeordneten hätten zu irgendwelchen
aufrührerischen Absichten benutzt werden sollen. Aber sie hätten
sich bald wieder gefunden und sie hätten jetzt alle den Willen, eine
republikanische Politik zu treiben. Die Regierung werde mit Un-
terstützung der Kammern das Regime zwischen den beiden Extre-
men ins Gleichgewicht bringen. Frankreich werde das Frankreich
des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit bleiben. (Lebhafter
Beifall.)

WMlkvMMttMMWW.
Von Hermann Wendel.
Ich verlieb die Schule wenn nicht als Republikaner,
doch mit der Ueberzeugung, daß die Republik die ver-
nünftigste Staatsform sei.
Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Band l.
Da Tag für Tag bedenkenlose Burschen schwarzwettzroter
Observanz die „Schieberrepnblik" tn Grund und Boden verdam-
men und verleumden, und die Regierung und leider auch die
Partei es an einer schlagkräftigen republikanischen Propaganda
großen Stils fehlen läßt, kommt ein Buch sehr zu Paß, das, freilich
etwas unbewußt, diese so nötige Aufgabe unternimmt. Seine
Wirkung mag um so tiefer reichen, als das Standbild seines Ver-
fassers auf jedem deutschnattonalen Hausaltar steht und für alle
Anbeter des alten Regimes kein Schwur höher gilt als der bet
seinem Namen; es handelt sich um den dritten Band vo« Bis-
marcks „Gedanken u«d Erinnerungen", zu dessen Herausgabe die
Sippe tn Haus Doorn wohl oder übel ihre Einwilligung geben
mutzte, nachdem das ganze Ausland sich längst an dem Inhalt des
Werkes ergötzt hatte. Wer allerdings tiefe staatsmännische Weis-
heiten allgemeiner Art in diesem Nachlatzband zu finden hofft, steht
sich enttäuscht; das Buch ist rein egozentrisch, wie es bei dem gro-
ßen Selbstsüchtltng und Ichmenschen Bismarck sein mutz, und stellt
' nichts anderes dar als das gallige Plädoyer des davongejagten
Kanzlers, aber, was das Ganze über ein Gezänk immerhin histori-
- scher Personen hinaushebt, ist, datz, klein und erbärmlich nicht nur
der letzte regierende H-Henzoller aus der Anklagebank sitzt, sondern
auch das System das ihn trug, nicht nur der Monarch, sonder»
auch die Monarchie.
Nicht erst von Friedrich M. brauchte Bismarck zu erfahren,
daß der Thronerbe sich in einem „sehr raschen und zur Ueberetlung
neigenden Urteil" gefiel und einem „Hang zur Ueberhebung wie
zur Ueberschätzung" nie widerstand, sondern der alte Menschenken-
ner und Menschenverächter sah selbst seinem künftigen „kaiserlichen
Herrn" durch die dicke Schminke auf die Haut und durch die bunten
Lappen ins Herz. Aber all seine Besorgnis, als ein solch unreifer,
junger Mensch unvorbereitet, nur mit den Erfahrungen des Garde-
kasinos, die Zügel der Regierung ergriff, wurde durch die schlimme
Wirklichkeit übertroffen. Ei« prahlerischer und eitler Komödiant
stieg mtt Wilhelm II. aus den Thron, oh«e Hust zu ernster Arbeit,
ohne sich einfühlenden Nerv, jedes Ding spielerisch ausfaffend, in
alles dilettantisch hineinpfuschcnd, aber vo» dem Wert der eigene»
erhabenen Persönlichkeit vis zum Platzen ««gefüllt. Die bissigsten
Seiten des bissigen Buches find es, wo der große Bismarck den
kleinen Wilhelm an der Hand durch die Ahnengalerie spazieren
führt und, vor jedem Bilde Halt machend, im einzelnen zeigt, wie
der dritte und letzte deutsche Kaiser von den Eigenschaften seiner
Vorfahren „eine große Mannigfaltigkeit" zur Mitgift erhalten hat.
Von Friedrich I. bekam er die protzige Prachtliebe, das Wohlge-
fallen an Kostümfesten und Theateret, sowie die Lust mit, byzan-
tinische Weihrauchwolken in beide Nüstern einzusttKe»; von Fried-
rich Wilhelm l. erbte er die närrische Vorliebe für „lange Kerls"
und den Hang zum unumschränkten Selbstherrschertum, von Fried-
rich dem Großen das am Ende des 19. Jahrhunderts unzeitge-
mäße Pläsier, die Akten mit mehr als drastischen Nandnoten zu
verzieren, von Friedrich Wilhelm II. eine „starke sexuelle Entwick-
lung" und eine „gewisse Empfänglichkeit für mystische Einflüsse".
Von Friedrich Wilhelm III. dagegen ging nichts auf den Urenkel
über, denn jener war schweigsam, „schüchtern, offenen Schaustel-
lungen und Popularitätsbestrebungen abgeneigt". Dafür hatte
der zweite Wilhelm mtt dem vierten Friedrich Wilhelm, der schließ-
lich in Nachr und Wahnsinn hineintaumelte, den unhemmbaren
Rededrang bet jeder Gelegenheit gemein» nur datz der Vorfahr,
arbeitsamer und wissenschaftlicher, nicht so ins Blaue hinein-
schwatzte: „Für den Großneffen ist der Stenograph nicht immer
zulässig, an den Reden Friedrich Wilhelms IV. dagegen läßt sich
selten eine sprachliche Kritik anbringen." Nicht minder ist dem
letzten tn der Reihe von Friedrich Wilhelm IV. der Wahn über-
kommen, datz er „den Willen Gottes näher kenne als andere", ein
„Instrument des Himmels" sei und auf Meinung und Willen der
„Untertanen" Pfeifen könne. Mer auch auf dreister Lüge hat der
Kanzler den Kaiser mehr als einmal ertappt und ergrimmt am
meisten über seine „Felonie", seine tückische Untreue gegen Freunde
und Vertraute; er vermißt bet ihm jedes Empfinden dafür, „daß
der Soldat den Offizier, aber auch der Offizier den Soldaten nie-
mals im Stiche läßt". Hier, ihr Herren Deutschnationalen, ist. von
eurem Heros geschnitzt, der passende Rahmen für das Bild des
Mannes, der ein Menschenalter lang mit drohend gesträubten
Schnurrbartspitzen dem eignen Volk und der Welt sein: Ich zer-
schmettere! zuries und sich in der Stunde der Entscheidung mit
hochgeschlagenem Kragen und eingezogenem Kopf über die hol-
ländische Grenze schlich!
Da Wilhelm selber darauf brannte, den unbequemen Alten
abzittchütteln und ganz allein in Lwengrinpoke im Vordergrund
der Bühne zu stehen, war es Zuträzem und Ohrenbläsern eklen
Schlags, wie dem Generalstabschef Walderlee, dem Kriegsminister
Verdy, dem Präsidenten des Staatsmintstertums v. Bötticher und
anderen nicht schwer, den Kaiser gegen dm Kanzler mit Grimm zu
laden. In diesem dritten Band erscheint Bismarck so, wie ihn die
Geschichte längst kennt: als ein schlauer Gewaltmensch, der jede
Fühlung mit den wahrhaft bewegenden Kräften der Zeit verloren
hatte. Ein Gemisch von Patriarchalischer und kapitalistischer Welt-
anschauung, sah er tn aller Sozialpolitik nur Humanitären Schwin-
del und Hatzte die Sozialdemokratie als „den schlimmsten Feind".
Da das Sozialistengesetz nur das Wachsutm der verfemten Partei
gefördert, also bittere Früchte getragen hatte, dachte der grimmige
Bunker, der an dem Platten Wort von 1848: „Gegen Demokraten
«En. nur. Soldaten!", wiean einer göttlichen Offenbarung fest-

Hielt, nach Wilhelms Thronbesteigung das soziale Problem als
militärische Frage zu lösen. Schon vierzig Jahre vorher war
Bismarck dem vierten Friedrich Wilhelm nur brauchbar erschienen,
„wenn das Bajonett schrankenlos waltet"; jetzt dachte er daran,
das Bajonett schrankenlos walten und durch einen Staatsstreich
und ein Blutbad unter der Arbeiterklasse dem deutschen Volk ge-
hörig zur Ader zu lassen. Doch mit dieser verruchten Absicht prallte
er nicht etwa gegen Wilhelms Besonnenheit oder Menschlichkeit,
sondern gegen seine Eitelkeit und fein Beisallsgelüst, denn der
Kaiser gierte nach Ruhm, durch Arveiterschutz die Sozialdemokra-
tie friedlich zu überwinden und so einen „populären Absolutis-
mus" zu errichten; zartfühlend wollte er außerdem nicht „gleich
zu Beginn seiner Regierung" bis Wer die Knöchel im Blut wa-
ten. lieber diesen Gegensatz, bet dem die zynische Skrupellosigkeit
des einen der gedunsenen Selbstgefälligkeit des anderen die Wage
hielt, kam es zum Bruch; der „Gründer des Reiches" wurde Hals
über Kopf wie ein unehrlicher Lakai vor die Tür gesetzt, und der
sich nicht gescheut hatte, eine große Partei, eine ganze Gesellschafts-
klasse jeder Art von Aechtung auszutiefern, bekam jetzt die Rute
selbst zu kosten, die er andern geflochten hatte; er klagt, „datz für
alle Beamten und Offiziere, welche an ihrer Stelle hängen, ein
Boykott nicht nur geschäftlich, sondern auch sozial mir gegenüber
besteht."
Mer ob Bismarck hier die ganze Verbitterung seiner macht-
losen Zett ausschüttel, an den Kern der Sache rührt er doch nicht.
Mehr als einmal wendet er sich auch in diesem Band mit Abscheu
von dem Gedanken der Parlamentsherrschast ab und hebt mtt
viel Stolz hervor, zu welcher Höhe und Stärke er seit 1862 die
königliche Gewalt wieder heraüfgeführt habe. Doch wenn er
schlimmen Dank für diese Verdienste geemtet zu haben glaubt, so
irrt er; Bismarck hat den Dank vom Hause Hohenzollern einge-
heimst, der ihm historisch gebührte! Denn mtt der Politik, die die
schon begonnene Parlamentartsterung Preußens vereitelte, die den
deutschen Scheinkonstituttonaltsmus schuf, die das Bürgertum von
jedWi Einfluß auf die Regierungsgeschäfte ausschlotz, die am Ende
die aufsteigende Arbeiterklasse mit Gewalt niederhtelt, Hnete er *

erst den Boden für den Cäsarenwahn Wilhelms des Letzten, und
ein Unding ist es, zuerst den König mtt schier unumschränkter
Macht zu umkleiden und nachher über Auswüchse dieser Macht
Gift und Galle zu spucken. Das eine oder das andere! Entweder
die Monarchie mit allem Drum und Dran und mit der Möglich-
kett, datz ein Tages Wieder ein hohler Komödiant an der Spitze
des Landes steht, oder als Schutzwall gegen diese Möglichkeit dft
Volksherrschast durch die bis tn die feinsten Aederchen des Staats-
lebens durchgeführte Denwkratie!
Ein Drittes gibt es nicht, und so wird -er nachträgliche Band
der „Gedanken und Erinnerungen" die Erkenntnis vertiefen, die
schon der junge Bismarck erfaßt hatte und die der alte Bismarck
auf jeder dieser Seiten ungewollt bestätigt, „daß die Republik die
Vernünftigste Staatsform" ist.

Politische Ueberficht.
Der Rückzug der U. S. P.
Eine ausweichende Arttwort.
Berlin, 9. Okt. (Triv.-Tel.) Die sozialdemokratische»
Blätter veröffentlichen den Schluß des Briefwechsels, der in der
Frage der Regierungsbildung geführt worden ist. Der Brief Les
Parleivorstandes der Mehrheitssozialdemokratte be-
zieht sich auf den bekannten Briefwechsel mtt der Parteileitung
der Demokraten und des Zentrums und fährt fort;
„Der Vorstand der S.P.D. muß es ab lehn en, Ihr?
Parte i insbesondere wegen ihrer Haltung zu den politischen
Problemen der Vergangenheit, wie in dem Schreiben des Herr»
Koch gewünscht wird, zu examinieren. Für die Wetter-
Stellung unserer Partei zur Umbildung der Regierung wäre es
für uns vor allem wertvoll zu wisse«, ob die U.S.P.D., die seit
Annahme des Londoner Ultimatums die Regierung Wirth
in der loyalen Erfüllung des Ultimatums «Ad tn der Führung
einer republikanisch,demokratischen Polittk unterstützt hat, he-
 
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