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Nr. 257 * 3. Jahrgang
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Politische Ueberstcht
Die deutschen Unterhändler mit Polen.
Berlin, 2. Nov. Zu Mitgliedern der gemischten Kommis-
non in OSerschlesien zu den deutsch-polnischen Verhandlungen
sind nun der Geh. Vergras Bunzel und der Bankdirettor
Teutzner aus Breslau ernannt worden.
Die deutsche Wiederaufbarrvelsgatisrr bei
Lorrcheur.
Baris, 2. Nov. Der französische Wiederausbaumintster
öoucheur hat heute zusammen mit einer Abordnung des fran-
zösischen Verbandes der technischen Angestellten in Handel, Ge-
werbe und Landwirtschaft die unter Führung von Silber-
schmidt und Sasfenbach nach Frankreich gekommenen Dele-
gierten der deutschen Techniker- und Architektenvervände empfangen
und deren Pläne zum Wiederaufbau des Sektors von Chaulnes
entgegengenommen. Nach einem im Einvernehmen mit der CGT.
ausgearbeiteten Projekt soll, wie bereits gemeldet, diese Zone, die
elf Dörfer umfaßt, unter Mithilfe deutscher Techniker, Architekten
und Arbeiter innerhalb eines Jahres wiederhergestellt 'werden,
und zwar sollen die Arbeiten im Rahmen des Wiesbade-
ner Abkommens ausgeführt werden. Loucheur hat die Dele-
gierten zu einer Zusammenkunft s ü r n ä ch st e n Montag
c ingeladen, in der die technischen Einzelheiten des Planes durch-
besprochen werden sollen.
Der Arbeitsplan des Reichstages.
Berlin, 2. Nov. Der Reichstag, der morgen nachmittag
wieder Zusammentritt, wird sich zunächst mit einem sozialdemo-
kratischen Antrag über die Aenderungdes Lohnbeschlag-
nah m e g e s.e tz e s und mit einem demokratischen Antrag über
die Erhebung der Einkommensteuer beschäftigen. Die
sozialdemokratische Interpellation über die Lebensmittelteuerung,
die geschäftsordnungsmäßig morgen aus die Tagesordnung der
Freitagssitzung gestellt wird, wird wahrscheinlich am Montag vom
Minister Hermes beantwortet werden. Am Freitag und Sams-
tag soll die Generaldebatte über die Steuervorlagen stattfinden,
die wahrscheinlich mit einer Rede des Ministers Hermes
eingeleitet wird, der bei der Kabinettsumbildung mit der Wahr-
nehmung der Geschäfte des Reichsfinanzministeriums betraut
wurde. Der Reichskanzler wird, wie man hört, nach den bisheri-
gen Dispositionen in der Steuerdebatte nicht das Wort nehmen.
Berlin, 2. Nov. Reichskanzler Dr. Wirth ist heute früh
von Baden nach Berlin zurüägekehrt, wo um j<!11 Uhr ein Mi-
nisterrat stattsand, in dem die oberschlesische Frage und
die preußische Kabinettskrise zur Sprache gekommen
sein dürften.
Reichstag und Sterrerm.
Aus Berlin wird uns geschrieben:
Die Reichstagsverhandlungen, die am 3. November beginnen.
Werden im Zeichen der Steuerarbeit stehen, und verschiedene Pro-
pheten sagen jetzt schon voraus, daß das Kabinett Wirth daran
zugrunde gehen werde. Möglich, daß diese Propheten recht haben,
aber wenn sie schon prophezeien können, wäre uns viel lieber,
von ihnen zu hören, wie es nach dem Sturz der gegenwärtigen
Regierung mit den Steuern werden soll, und ob dann mit einem
Mal gelingen wird, was zuvor mißlungen war. Diese Propheten
haben sich auf die „breite Koalition" versteift, aber cs ist vorläu-
fig absolut nicht zu sehen, wie man über die Steuern und den
Sturz Wirths zu der breiten Koalition gelangen kann.
Man hat uns früher immer gesagt, daß die Steuerarbeit er-
leichtert werden könnte, wenn die Deutsche Volkspariei mit in der
Regierung säße. Das konnte damals bis zu einem gewissen Grade
richtig sein. Die Deutsche Volkspartei ist neben der Deutschna-
tionalen, vielleicht noch mehr als diese, die ausgesprochene Partei
der Besitzenden. Wenn selbst die politischen Jnteressenvertreter
des Besitzes im Reichstag und in der Regierung erkennen, daß es
ohne eine gehörige neue Besitzbesteuerung nicht geht und wenn sie
daraus die entsprechenden praktischen Folgerungen ziehen, dann
existieren auch für die anderen bürgerlichen Parteien, die sonst in
der Furcht des Mammons leben, keine Schwierigkeiten mehr.
Was ist nämlich das kennzeichnende an dem gegenwärtige«
Stand der Steucrfragen, daß niemand von der erhöhten Be-
steuerung des Massenverbrauchs ernste Schwierigkeiten befürchtet
und alles nur mit höchster Spannung auf den einen Punkt starrt,
wo der Kamps zwischen dem Besitz und der Steuergewatt des
Reiches enschieden werden soll. Die Massen haben trotz ihrer Not
begriffen, daß das Reich ohne neue Steuern nicht existieren kann,
sie wissen auch, daß der Besitz allein selbst bei allerschärfster Heran-
ziehung nicht imstande wäre, alle Ausgaben des Reiches zu decken,
und darum lassen sie neue Besteuerung des Massenverbrauchs sicher
«ur sorgenvoll und grollend. aber doch in Erkenntnis ihrer un-
vermeidlichen Notwendigkeit über sich ergehen. Aktiv im Kampf
um die Gestaltung der neuen Steuern sind die Reichen viel mehr
als die Armen. Und darum ist es auch richtig, daß der wichtigste
"il der bevorstehenden Steuerentscheidungen bei den Parteien der
Z eichen, also vornehmlich bei der Deutschen Volkspartei liegt.
Allerdings gibt es links von der Volkspartei eine Mehrheit.
Uber oer Einfluß der Volkspartei wirkt weit in die Reihen der
urgerlichen Koalitionsparteien hinein. Ein nicht mW-deutender
Orgesch-EnthMrmgerr in Sachsen.
Dresden, 2. Nov. Im sächsischen Landtag machte heute
der Minister des Inner» Lipin Ski Mitteilungen über eine
reaktionäre GehetMorganisation in Sachsen. Sein«
Erklärung enthält im wesentlichen folgende Angaben: Nach der
Ermordung Erzbergers erhielt die Regierung Kenntnis von dem
Bestehen einer Geheimorganisatto« in Sachsen. Dis Ermittlungen
ergaben, daß in Bautzen eine Selbstschutzorganisation besteht,
deren Führer Militärische Leiter der Orgesch gewesen waren. Das
bei der Haussuchung in Bautzen gefundene Material lenkte aus
die Spuren der „Brüder vom Stein", eine Organisation, dis
Anfangs Juli 1921 in Leipzig anschließend an die Auflösungsver-
fammlung der Orgesch von deren Mitgliedern gegründet wurde.
Geldgeber der Orgesch und der „Brüder vom Stein" sind
die Finanzausschüsse der sächsischen Industrie,
die sich als Mitglieder der Bruderbünde bedienen. Die Liga
zum Schutze deutscher Kultur, der Verein für Volks-
aufMrung und ähnliche politische Organisationen arbeiten mit
der Organisation der „Brüder vom Stein" Hand in Hand und
erhalten ihre Mittel ebenfalls von Finanzausschüssen der sächsi-
schen Industrie. Die Gelder der „Brüder vom Stein" sind in
Leipzig und Dresden in Höhe von zirka 700 000 Mark beschlag-
nahmt worden. Die gesamte Organisation Escherich in Sachse»
ging auf die „Brüder vom Stein" über. Nach einer Anordnung
des Forstrates Escherich ist vor der Auslösung der Organisation
Escherich Anweisung gegeben worden, diese Organisation unter
Aenderung des Namens fortzusühren. Es wurden mehrere Waf-
fenlager beschlagnahmt. Der Minister schloß: Die erlangte Mit-
gliederliste und das gewonnene Material lassen erkennen, daß die
Brigade Ehrhard und die Organisation Escherich
als „Brüder vom Stein" zusammenarbeiten und daß eine geschlos-
sene Organisation der Konterrevolution in Sachse» besteht. Das
Polizeiamt Leipzig wurde angewiesen, die Auflösung, des Vereins
herbeizufüyren, sobald die Untersuchung abgeschlossen und die
Bestrafung der Beteiligten hervergesührt werden kann.
Flügel des Zentrums fühlt sich als Vertreter bürgerlicher Besitz-
interessen, und bet den Demokraten sind die Goth ein und
Dernburg in Steuerfragen noch'reaktionärer als die Deutsche
Volkspartei selbst. Treibt diese gegen eine einschneidende Besitz-
besteuerung Opposition, dann werden gewiß die Demokraten, viel-
leicht wird aber auch das Zentrum dann nicht wagen, gegen ihren
Willen zu handeln. Das war ja der tiefere Sinn des Geichreis
nach der breiten Koalition, daß Zentrum und Demokraten sich
nicht getrauen, gegen die Deutsche Volkspartei oder auch nur ohne
sie Besitzsteuern zu machen.
Nun ist aber die breite Koalition eben nicht zustande gekom-
men, und der Reichstag wird ohne sie an die Arbeit herantreten
müssen. Was werden die Folgen sein? Werden etwa die Par-
teien, die nicht in der Regierung sind, die Deutsche Volkspartei
und die Demokraten — bei den Letzter» weiß man freilich nicht
ganz genau, ob sie eigentlich drin sind oder draußen — werden
Liese Parteien nun sagen: „Wir sind ja nicht in der Regierung,
also gehen uns die Steuern nichts mehr an und können wir als
Opposition der Regierung Sei ihrer Steuersuche alle möglichen
Schwierigkeiten bereiten"? Eine solche Politik könnte diesen Par-
teien doch etwas teuer zu stehen kommen, wenn es die Regierung
nur versteht mit dem nötigen Nachdruck "inzwischen zu fahren, denn
das wäre gegenüber dem Volk die reine Verbrecherpolitik. Jeder-
mann weiß, daß wir die neuen Steuern brauchen, und daß wir sie
schnell brauchen, wenn uns nicht der ausländische Gerichtsvollzie-
her über den Hals kommen soll. Eine Politik, die darauf hinaus-
liefe, die Steusrarbeit im Interesse der Besitzenden zu sabotieren,
würde unter solchen Umständen an Landesverrat nahe heran-
reichen. Daraus schließen wir: Wenn die Regierung den bürger-
lichen Parteien den^Stand der Dinge mit der nötigen Deutlichkeit
klar zu machen versteht, dann werden ihr auch die Parteien des
Besitzes geben, was sie von ihnen verlangt.
Der Plan der Erfassung der Goldwerte hat durch die projek-
tierte Kredithilse der Privatwirtschaft eine Verwicklung erfahren»
die feine Ausführung verzögert. So sehr grundsätzlich eine Gel-
tendmachung der staatlichen Rechte gegenüber dem Besitz einer halb
freiwilligen Abmachung vorzuzishen ist, so hat die Letztere doch
den Vorzug, daß sie viel rascher die flüssigen Mittel verspricht,
deren das Reich ehestens bedarf. Es wird aber Zeit, Latz man
Gelegenheit bekommt, in diesem Punkt klarer zu sehen, als bisher.
Dann erst wird entschieden werden können, ob in der Ausführung
des Plans, einen prozentualen Anteil der sachlichen Privätvermö-
gen in dauerndes Reichseigentum zu überführen, einen Aufschub
verträgt oder nicht.
Auf andern Gebieten sind aber Rewungsflächen zwischen der
Regierung und den Parteien oder zwischen den Parteien selbst
kaum vorhanden, oder wenigstens noch nicht sichtbar. Wenn die
Regierung nur selbst genau Weiß, was sie will, dann wird es ihr
auch gelingen, das Schaff durch das Klippenmeer der Steuervor-
lagen hindurchzubringsn. Daß eine andere Regierung bessere
Aussichten dafür hätte, ist nicht wahrscheinlich. Der Deutschen
auch gelingen, das Schiff durch das Klippenmeer der Steuervor-
die eine Partei mitbeschließt, nicht mit Ministerporteseuille abge-
gotten werden können. Dem Reich zu geben, Was das Reich
braucht und vor allem dort zu nehmen, wo der Eingriff am we-
nigste» gespürt wird, ist aller Volksvertreter gemeinsame Pflicht. '
Bismark und der konservative Antisemitismus.
Aus Berlin wird uns geschrieben:
Der E. F.-Mitarveiter des „B. T." bespricht eine soeben er-
schienene Schrift des Ministerialrats Dr. Jöhlinger „Bis«
marck und die Juden", die zu folgendem Ergebnis kommt:
„Weder haben dis Antisemiten Grund sich Bismarcks Bundes-
genossenschaft zu freuen, noch haben die Juden Anlaß, wegen an-
geblicher Gegnerschaft ihn zu hassen." Neues Material veröffent-
licht Jöhlinger beispielsweise über den „Fall Stöcker", so das Fak-
similie eines Briesentwurfs an den Kaiser, aus dem wir alten-
mäßig ersehen, wie die schroffe Warnung, die dem Herrn Hof-
prediger von allerhöchster Stelle erteilt werden sollte, durch Bis-
marcks eigenhändige Korrektur noch erheblich verschärft wird. Von
besonders aktuellem Interesse ist das Kapitel, das Bismarck im
Kampfe mit der antisemitisch-konservativen Fronde zeigt, und
das, ohne daß der Verfasser dies beabsichtigt, eine inter-
essante Parallele zu den politischen Auseinandersetzungen
der Gegenwart ergibt. ES zeigt sich nämlich, daß die Deutsch-
nationalen und die Deutschvölkischen heute den Kamps gegen die
leitenden Staatsmänner der Republik genau in der gleichen Weise
führen, wie damals die konservativ-antisemitische Opposition den
kaiserlichen Kanzler befehdet hat. Im Jahre 1875 veröffentlichte
die „Kreuzzeitung" jene bekannten Aeraartikel, in denen auf die
Beziehungen zwischen der Regierung und gewissen Bankhäusern
hingewiesen und im Zusammenhang damit die Geld- und Wirt-
schaftspolitik des Deutschen Reiches als „Judenpolitik" gekenn-
zeichnet wurde, für die Bismarcks Bankier Bleichröder ver-
antwortlich sei. Gegen Bismarck selbst richtet sich folgender An-
griff, der seinen Inhalt ganz ähnlich wie das auch heute geschieht,
in eine juristisch schwer faßbare Form kleidet:
„Auch mit dem Fürsten Bismarck sollen, schon ehe ek
Minister in Preußen wurde, hochsinanzielle Kreise in nähere
Berührung getreten sein. Die intimen Beziehungen des Herrn
v. Bleichröder zum Fürsten dürften, mindestens indirekt, schon
an die vorministerielle Zeit des Fürsten anknüpsen, als derselbe,
um mit spärlichem preußischen Gesandtengehalt und ohne erheb-
liches Vermögen seine Souverän in Petersburg, Paris und
Frankfurt repräsentieren zu können, allerdings guten Rat in fi-
nanziellen Dingen haben mutzte."
Deutlicher noch, ähnlicher noch unseren Tagen, werden diese
Angriffe in einer Flut von Broschüren, deren Verfasser sämtlich
den konservativ-antisemitischen Kreisen angehören. Einige Bei-
spiele mögen genügen:
Bismarck soll sich unter Mißbrauch seiner dienstlichen Stel-
lung an Aktiengesellschaften beteiligt haben. „Bis-
marck ist an der Gesellschaft beteiligt und hat 150 00 bis 300 OOS
Taler bares Geld eingesteckt." „Es gibt fast keinen Fehler, des-
sen die gegenwärtige deutsche Reichs- und Preußische Staats-
regierung sich nicht schon schuldig gemacht hätte, bloß um ihre
skandalösen Beziehungen zu Berliner Finanziers zu verschleiern.
Aber das wollen wir sagen und dafür wollen wir einstehen, daß
die Korruption unerhörte Dimensionen angenommen hat, seit
das System Bismarcks daselbst herrscht ... Es ist ein arges
Regiment, unter dem wir leben, sein Name aber ist Bis-
marck." „Politische Knechtschaft, wirtschaftliches Elend, mora-
lische Schmach, heilige Dreieinigkeit, dein Name ist Bismarck."
„Der Jude Bleichröder", schreibt der Freiherr von Loe, „frukti-
siziert Bismarcks Vermögen, und die Beziehungen zwischen der
reichskanzlerischen Familie und derjenigen des gerichtlich notori-
schen Wucherers sind die intimsten." Alle diese Zitate stamme«
aus dem Jahre 1877. In einer späteren Broschüre von 1892
heißt es: „Mit Bismarck kam Bleichröder, mit Bleichröder
Bismarck, ein paar würdige Zeitgenossen, zu Macht und An-
sehen." „Als Bismarck die enormen Summen zur Verfügung
hatte, legte der Freund Bleichröders, der Kösliner Jude Weh-
rend, in Varzin eine Holzstoffabrik an, die eine höchst vorteil-
hafte Verwertung der Varziner Wälder ermöglichte. Es war
selbstverständlich der reine Zufall, daß in der Kösliner Papier-
fabrik Wehrend alles Papier für die Deutsche R eichspost,
Telegraphie und für die Staatseisenbalmen gemacht wurde."
Wir kennen die Weise, wir kennen den Text, und die Verfasser
sind sich in den verflossenen Jahrzehnten gleichgeblieben. Es sind
dieselben Vorwürfe der „Korruption", der „Judenherrschaft", der
„unzulässigen Verquickung persönlicher und öffentlicher Inter-
essen", die die „Kreuzzeitung" und ihre deutschnationalen und
deutschvölkischen Bundesgenossssen damals wie heute als vergiftete
Waffen im politischen Kampf verwenden. Die gröbsten Beschim-
pfungen der Reichsleitung kamen damals wie heute aus gewissen
Kreisen Bayerns. Der „Miesbacher Anzeiger" hieß damals
„Bayerisches Vaterland" und schrieb zu dem 8V. Geburtstag des
Kanzlers: „Der Fürst Bismarck ist für das deutsche Vaterland
das, was die Reblaus für den Weinberg bedeutet." Man kann
aus dieser historischen Betrachtung wenigstens den Trost schöpfen,
daß der beschämende politische Tiefstand der heutigen politischen
Diskussion nicht blotz das Produkt unserer Zeit ist, sondern Latz
die „Bekämpfer der Korruption" in unseren Tagen, nur nach einer
bewährten Tradition handeln. Freilich, ein Kompliment wird
man ihnen zollen müssen: in dieser Kunst der persönlichen und
gehässigen Polemik haben sie erhebliche Fortschritte gemacht.
ANLlSNh.
Lloyd Georges Reise nach Washington ausgegeben.
London, 1. Nov. Die Abendblätter melden, die irischen
Verhandlungen hätten eine ernste Wendung genom-
men. Ein Abbruch sei jedoch bisher nicht erfolgt. Heute vor-
mittag wurde eine Sitzung des Ausschusses der irischen Konferenz
abgehalten, an der Lloyd George, Chamberlain und Lord Birken-
head sowie aus irischer Seite Griffith und Collins teilnahmen.
Eine weitere Sitzung des Ausschusses werde wahrscheinlich beute
ülnnd stalLsiyden, Aach Wr Znsansmenk'.mst am Vorml'u - wnrde
Lin Kabinettsrat abgehalten. In Regierungskreisen werde erklärt-