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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (3) — 1921

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Nr. 271 - Nr. 280 (19. November - 30. November)
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Nr. 277 * 3. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Polüik, Volkswirtschaft u. Feuilleton
Dr.E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokale;:
O.Geib ' ,
Druck».!
t , , , ,
Fernsprecher: Anzeigen-Anna!

Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach,
Adelsheim, Voßberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.

Mosbach, Buchen,

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>el; für die Anzeigen: H.Lorchler, sämtliche in Heidelberg.
Verlag der Unterbädischen Verlagsa istalt G.m.b.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schrooerstraße 39.
" r: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648._

Zur Lage.
Kr. Heidelberg, den 26. November.
Immer wieder ist von den nationalistisch-reaktionären Rechts-
hruppen in Deutschland der Sozialdemokratie die Schuld am gegen-
wärtigen Elend, an der Valutakatastrophe, der Teuerung und
sozialen Verelendung zugeschoven worden und immer wieder haben
sich jene gesunden, die nicht alle werden und haben dieser Dema-
gogie geglaubt. Wohl hat die deutsche Sozialdemokratie den Ver-
sailler Vertrag unterschrieben, wohl hat sic dem Londoner Repa-
rotionsultimatum zugesttmmt, nicht etwa, weil sie diese beiden Dik-
tate für gerecht und durchführbar hielt, sondern weil sie unter dem
Zwange der nun einmal gegebenen Verhältnisse keine andere Mög-
lichkeit des Weiterbestandes Deutschlands und des Wiederaufstiegs
sah, als indem man diese Diktate durch den Versuch der Erfüllung
an ihren eigenen inneren politischen und ökonomischen Unvernünf-
tigkeiten und Unmöglichkeiten zerbrechen ließ; dann konnte man
nicht die deutsche Bosheit und Widerspenstigkeit verantwortlich
machen, sondern dann mußte eben die ganze Welt den „kompletten
Blödsinn" dieser Forderungen einsehen. Schon vor Jahresfrist
hat die englische Arbeiterpartei in einem ziemlich scharf gehaltenen
Memorandum die ganze Ungerechtigkeit und Unsinnigkeit der en-
tcntistischen Gewaltpolitik gegeißelt, sie hat in freimütiger Offen-
heit daraus hingewtesen, daß die Londoner Reparationsbedingun-
gen nicht nur eine furchtbare Schädigung des deutschen Prole-
tariats, sondern auch des ganzen englischen Wirtschaftslebens zur
Folge haben müßten. Von diesen Dingen aber hat damals die
bürgerliche Presse in Deutschland so gut wie gar keine Notiz ge-
nommen. Umsonrehr Aufhebens macht sie jetzt von der Denk-
schrift der englischen Industriellen zur Reparations-
frage, die im Grunde genommen nur das wiederholt, woraus die
Arbeiterschast längst zuvor hingcwiesen hatte. Wenn jetzt die
englischen Großkapitalisten eine Revision des Londoner Zahlungs-
plans, ja des Friedensvertrags überhaupt unter Deutschlands
Mitwirkung fordern, so nicht aus Humanität und Nächstenliebe,
sondern weil ihnen der Rückgang des englischen Handels — Eng-
land hat, wie bereits diese Woche mitgetetlt, in diesem Jahr seine
erste passive Zahlungsbilanz! —, der Stillstand der Industrie und
die immer mehr steigende Arbeitslosigkeit zeigt, daß Englands
industrielle Blüte von Deutschlands Wohlfahrt abhängt und daß
man chus die Dauer nicht ungestraft Grundgesetze des englischen
Wirtschaftslebens verletzen und ignorieren, kann. Schon längst
vor dem Kriege schrieb der Engländer Sir Alfred Mond
über die englisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen u. a.:
„Die Statistik beweist, ohne jeden Zweifel, sowohl die Größe
als den Umfang der deutsch-englischen Handelsbeziehungen, wie
auch die Intimität dieses Handelsverkehrs. Die zwei Län-
der sind gegenseitig ihre größten Kunden...
Irgendeine Unterbrechung dieser direkten Handelsbeziehungen
würde unbedingt einen kolossalen Krach in Seiden Ländern her-
beE'ihrcn."
Darum waren ja damals auch führende englische Wirtschafts-
persönlichkeiten bemüht, eine englisch-deutsche Koalition, zumindest
aher eine englisch-deutsche Verständigungspolitik zustande zu brin-
gen, was aber an der Tirpttzschen M a r i n e p o l i t i k schei-
terte. Wir sind im Kriege gegen England unterlegen, aber Eng-
land braucht Deutschland als Absatzmarkt und zwar ganz anders,
als das in Frankreich der Fall ist. Deshalb war England von
Anfang an der günstigere Boden für die Revisionsidee und darum
ist es auch nicht zufällig, daß jetzt die englischen Industriellen die
Führung der Nevisionspolitik übernehmen. Sicherlich geschieht
das nicht ohne Einverständnis bestimmter deutscher Jndustriekreise
— sollte die Reise Stinnes nach London gerade in diesen Tagen
nur Zufall gewesen sein? — und sicher auch nicht ohne Zusammen-
hang mit gewissen privaten Besprechungen mit der Washingtoner
Konferenz.
Zweifellos das Bedeutendste am Vorschlag der englischen In-
dustriellen ist der großzügige S a ch l e i st u n g s v o r sch la g,
durch welchen die deutsche Neparationsarbeit aus die Schaffung
neuer Produktiver Werte und neuer Kaufkraft in Rußland und
Mitteleuropa, in Afrika, Südamerika und Asien a conto Wieder-
gutmachung abgelenkt werden soll. Die englischen Industriellen
hoffen damit nicht nur eine gefährliche Exportkonkurrenz zu erledi-
gen, sondern auch wettere Valutazerrüttungen zu vermeiden, was
unbedingt richtig ist. Aber dieses universale Sachleistungsabkom-
mcn liegt durchaus in der Linie derjenigen Sachleistungspolitik, die
Nathenan in Wiesbaden mit Frankreich begonnen hat, die damit
eine glänzende Rechtfertigung und Forisetzung erfährt. Weniger
erfreu'ich, aber vielleicht momentan nicht zu vermeiden ist der an-
dere Teil des englischen Vorschlags, wonach an Stelle der Devisen-
barzahlungen die Abgabe von Vorzugsaktien und Hypotheken
treten soll, also ein dauernder Zins- und Arbeiistribnl ans enten-
tistische Ausland, dem daran gelegen ist, scharfe Kontrolle über
unsere Wirtschaft und unseren Handel auszuüben. Soweit also
ist es mit uns gekommen, daß wir aus Jahrzehnte hinaus in die
Schuldenknechtschaft der englischen und französischen Großkapita-
listen gekommen sind.- Und wodurch? Durch die größenivahnsiuuige
Hohenzollernpolitik vor und im Kriege, sowie deshalb, weil die
Besitzenden in Deutschland, die Kriegs- und NevolutionSgcwinnler,
sich bis heute dagegen sträuben, durch Abgabe von ihrem Kapital-
vermögen dem Reiche die Sanierung seiner Finanzen und die
Erfüllung der Neparationsbedingungen zu ermöglichen. Derselbe
Helfferichi der während seiner Amtszeit alle durchgreifenden
Vesihsteuern hochmütig abgelchnt hat, weil er beim Friedensschluß
die MMardenlast der Kriegsausgaben auf die Schultern der
Feinde legen wollte, ist jetzt wieder in den Steuerausschüssen des
Reichstags der Wortführer der bürgerlichen Opposition gegen die
Vefitzsteuern, gegen die gesetzliche Erfassung der Sachwerte usw.
Ist das nicht ein unerhörter Skandal, vor allem an-
Kestchts der gewaltigen neuen Verelendung, die tnsolge der Valuta- :

Die große Mehrheit in den zerstörten Somme-
Dörfern für die deutsche Wiederaufbauarbeit.
PariS, 24. Nov. Wie „Oeuvre" mitteilt, hat die Abstim -
mung, die der Ausschuß für den Wiederaufbau unter dem Vor-
sitze des Abg. Basly in den elf in Frage kommenden Dörfern des
Sommegcbicts veranstaltet hat, folgendes Ergebnis gehabt: Vier
Dörfer haben mit SS Prozent der Stimmen für den französisch-
deutschen Wiederaufbau gestimmt, eins mit S6 Prozent, drei Dör-
fer mit SS, je vier andere Dörfer mit 76, 69» 6V und 43, also mit
einem Durchschnitt von 84 Prozent für die Beschäftigung
deutscher Arbeiter beim Wiederaufbau. Das heißt also
vier Prozent mehr als verlangt wurde.
Daraufhin erklärte Minister Loucheur: „Diese Ergebnisse
sind nicht amtlich. (!) Man mutz noch wissen, ob die in
Frage kommenden Interessenten tatsächlich vollkommen aufgeklärt
waren, um sich in voller Freiheit entschließen zu können." Der
Minister habe inzwischen erfahren, daß der hohe Beamte,
der unter den Geschädigten eine neue Umfrage veranstalten
wollte, in den ersten Dörfern sehr unfreundlich empfan-
gen worden sei.
„Ere Nouvelle" glaubt, die Lage optimistisch anschen zu dür-
fen. Einer der Gewerkschaftsführer, Marcel Laurent, werde dem-
nächst nach Deutschland reisen, um mit den deutschen Gewerkschaften
den Vertrag über den Wiederaufbau endgültig avzuschlietzcn.
Nach dem Pariser „Peuple" beträgt der Prozentsatz der Ein-
wohner, die sich für die Verwendung deutscher Arbeiter ausge-
sprochen haben: in Vcrmandovillcrs SS Prozent, in AsscviücrS
SS Prozent, in Soyecourt 39 Prozent, in Dompicrre 86 Prozent,
in Becquincourt SV Prozent, in Belloy-en-Santerre SS Prozent,
kn ViLers-Carbonncl 76 Prozent, in Fah 6V Prozent, inAbkain-
court 6V Prozent, in Berny-cn-Santerre 43 Prozent, in Fresnes-
Mazmrcourt SV Prozent und in Estrecs-Dcniecourt SO Prozent.
Ohne die ungünstige Abstimmung in dem einen Dorfe Berny-
en-Santerre wäre also der Prozentsatz für die Zulassung demjwer
Arbeitskräfte ganz ungeheuer hoch.
katastrophe und der neuen Teuerung wieder neue Volksschichten
ersaßt hat? Das Proletariat wird in den nächsten Wochen in seinen
Gewerkschaften und Parteien einen Kampf aus Leben und Tod
um eine sozial einigermaßen gerechte und erträgliche Verteilung
der Reparationslast führen müssen.
Dieser Kamps wird für bas deutsche Proletariat umso schwie-
riger, als es gleichzeitig einen furchtbaren Existenzkampf gegen
einen beispiellosen militaristischen Zerstörungswahnsinn führen
muß. Während die französische Regierung darüber verhandelt, ob
die zerstörten Sommegemeinden mit deutscher Arbeitskraft wieder
aufgebaut werden sollen — die meisten Dörfer haben sich, wie aus
dem nebenanstehenden Telegramm hervorgeht, mit über 90 Proz.
Mehrheit dafür ausgesprochen —, ist die interalliierte Militär-
kommission gleichzeitig bemüht, in den vom Kriege nicht zerstörten
Gebieten Deutschlands die im Betrieb stehenden Fabrikanlagen
der „Deutschen Werke" (Spandau, Kiel, Erfurt, Hanau usw.),
in denen zirka 60 000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt sind und
die heute nur noch Güterwagen, Feldbahuwagen, landwirtschaft-
liche Maschinen, Motorräder, Jagd- und Sportwaffen, Bureau-
mcbel usw. Herstellen, von Grund aus zu zerstören. Mit Recht
sagt das Korrespondenzblatt des A.D.G.B., daß es an der Zeit sei,
energisch gegen diesen Vernlchtungswahnsinn, der unser Wirt-
schaftsleben bedroht, Front zu machen, was ja die Betriebsräte
der Deutschen Werke und die Gewerkschaften auch getan haben. Ob
es nutzen wird? Noch kämpfen Gewaltpolitik und wirtschaftliche
Vernunftpolitik einen schweren Kampf, aber der Weg, den das
deutsche Proletariat und mit seiner Unterstützung die Politik der
demokratischen Republik eingeschlagen hat, ist der richtige, er wird,
wenn er weiter verfolgt und von allen Verantwortlichen Stellen
auch wirklich inncgehalten wird, zum Ziele führen: zur politiscyen
und ökonomischen Wcltstaatengemcinschaft an Stelle der heillosen
Anarchie der einseitigen nationalistisch überspannten einzelstaat-
ltchen Souveränitäts- und Machtpolttik.

Politische Ueberficht.
Stinnes in London.
London, 25. Nov. Stinnes hat gestern abend London
verlassen und ist nach Berlin zurückgekebrt. Obwohl er den
Zweck seiner Mise geheim hält, behauptet die „Berliner Zeitung"
doch in der Lage zu sein, folgendes sagen zu können: Die Ange-
legenheit stand unmittelbar im Zusammenhang mit den deut-
schen Reparationsleistungen. Es handelt sich hier um
Verhandlungen, die er natürlich nicht im Auftrag der deutschen
Negierung, sondern im Namen der deutschen Industrie geführt
hat, und zwar handelt es sich um die Gewährung einer Anleihe
an die Industrie, um diese in den Stand zu setzen, die notwendigen
Garantien für die weitere Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen
zu übernehmen. Tie Verhandlungen sind bisher durchaus zu-
friedenstellend verlaufen. Schon im gegenwärtigen Stadium kann
gesagt werden, daß unter den Finanzmännern in der City eine
durchaus günstige Stimmung herrschtz die einen wirk-
lichen Erfolg der Aktion erwarten läßt. Bei der Kreditgewährung
an die deutsche Industrie würden die englische Regierung und die
beteiligten Kreise stark an dem Wicderausblühen der deutschen
Industrie interessiert sein, und zwar nicht durch Kontrolle, sondern

durch Beteiligung. Es würde sich um eine Art Sachleistungs-
abkommen handeln, das unter Berücksichtigung der beweisenden
englischen Interessen dem Wiesbadener Abkommen an die
Seite gestellt werden könnte.

Um das Schicksal der „Deutschen Werke".
Berlin, 25. Nov. Ministerialrat Schüser vom Reichs-
schatzmtnisterium und der Vertreter der Deutschen Werke, Funke,
sind von ihren Besprechungen aus Versailles zurüügckehrt, Sie
haben hier mit dem Vertreter Fachs, dem General Weygand,
konferiert und den Eindruck empfangen, daß man sich in die An-
gelegenheit sachlich vertieft und die Darlegungen der deutschen
Delegierten durchaus gewürdigt hat. Die Entscheidung wird aller-
dings von der Botschasterkonserenz getroffen werden, nachdem sie
die interalliierte Militärkontrollkommission angehört hat.

Die Arbeiterorganisationen zur Lage.
8.P. Berlin, den 25. November.
Wir berichteten bereits kurz darüber, daß im Ncichstagsgebäudt
die Parteivorstände der S.P.D. und U.S.P.D. mit den Vertretern
des A.D.G.B. zu einer Sitzung zusammengctrctcn seien, um die
Steuerfragen, die Teuerung und ähnliche Probleme zu
verhandeln. Auch der Asa-Bund war vertreten. Einige Kommu-
nisten erschienen als angeblich von den Unabhängigen cingeladen.
Unsere Genossen ließen keinen Zweifel darüber, das; sie sich von
einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten, wie
diese sich einstweilen gebärden, nichts versprechen könnten. Die
Unabhängigen traten zwar für die Zulassung der Kommunisten
ein, stießen jedoch damit bei den Gewerkschaftlern nicht aus Gegen-
liebe. Auch die Delegation der Betriebsräte, die unter dem Pro-
tektorat der Kommunisten sich seit Dienstag im Reichstag etabliert
hat, wurde, und zwar einmütig, nicht zu der Sitzung zugczogen.
Beide Parteien sind aber selbstverständlich bereit, einzeln mit
der Delegation der Betriebsräte zu verhandeln. Wie zweckmäßig
es war, die Sitzung auf die freigewcrkschastlichen Organisationen
und die beiden sozialdemokratischen Parteien zu beschränken, zeigte
der Verlauf der Verhandlungen deutlich. Es wurde sachlich
und kameradschaftlich verhandelt und man kam zu
einer weitgehenden Einigung, ein Ergebnis, das mit den wilden
Kommunisten natürlich nicht zu erzielen gewesen wäre. Zu dem
von den Gewerkschaften ausgestellten Aktionsprogramm gegen die
Teuerung und zur Lösung der Stcuerfragen konnte Gen. Her-
mann Müller erklären, daß wir mit diesem Programm ganz"
und gar einverstanden seien, denn wir hätten es schon bei
der jüngsten Regierungsbildung als unsere Forderungen aufge»
füllt. Insbesondere sei die Erfassung der Sachwerte
unsere Forderung. Auch habe sich die Sozialdemokratie bereits
bei dem Reichssinanzminister für die schnellere Einziehung der
fälligen Einkommensteuer eingesetzt, und zwar so, daß die Ein-
kommensteuerpflichtigen entsprechend ihrer Steuerdeklaration so-
sor. zu zahlen hätten und die endgültige Verrechnung später er-
folge. Bezüglich der Besteuerung der Spekulationsgewinne und
der Bekämpfung der schweren Mißbräuche im Devisenhandel ergab
sich Ueb ereinsttmmung mit der U. S. P. Hinsichtlich un-
serer Stellung zum Steuerprogramm, insbesondere auch zu den
Verbrauchssteuern, befindet sich die Sozialdemokratie, wie Hermann
Müller aussührte, in Uebereinstimmung mit den freigewerkschaft-
lichen Arbeiter- und Angestelltenvertretern im Neichswirtschastsrat.
Die Gewerkschaften haben übrigens schon im August erklärt, daß
sic, wenn dadurch die Inflation aufgehalten werden kann,
Verbrauchsabgaben zustimmen würden, selbstverständlich immer
unter der Voraussetzung, daß genügend Besitz steuern
durchgeführt werden.
Man konnte von den Vertretern der Unabhängigen nicht er-
warten, daß sie schon in dieser Sitzung bindende Erklärungen über
ihre endgültige Stellungnahme zu den Verbrauchssteuern und
Zöllen abgeben würden. Die ganze Haltung der Vertreter zeigte
aber, daß sie geneigt sind, diese taktische Frage mit ernster Sachlich-
keit zu Prüfen. Die Verhandlungen zeigten jedenfalls, daß zwischen
den beiden sozialdemokratischen Parteien eine grundsätzliche Ver-
schiedenheit in der Auffassung der gegcnwSrtigcn Lage nicht besteht.
Man dars also hoffen, daß die Entgleisung der Unabhängigen un-
ter der Führung Rosenfelds am vergangenen Samstag in der
Justizdebatte nur eine einmalige war. Die Unabhängigen werden
aus der Rede Müllers noch einmal die ganze Erkenntnis der ge-
spannten Lage geschöpft haben. Unser Parteivorsitzender wies
nämlich daraus hin, daß der Reichskanzler sicher wett mit den Ge-
wcrkschaftcn gehen werde. Er werde es aber schwer haben, sich
in der Zentrumssraktion gegen den Jndustrieflügel ten Hom-
pel, Glöckner usw. durchzusetzen. Tie Auflösung des Reichs-
tags während der Stcuerkämpfe, die eine Einigung Unter dem
gegenwärtigen Ministerium kaum möglich erscheinen lasse, sei
sehr wahrscheinlich. Man müsse mit dem Ruf an das
Volk in kurzer Frist rechnen.
Ausland.
Frankreich bleibt geröstet.
8.P. Berlin, den 23. November.
Die Frage der Landabrüstung ist in Washington in eine Kom-
mission verwiesen worden, in, der sie Wohl bis zum Schluß der
Konferenz bleiben wird. Ein wirksamer Beschluß der Konferenz
zur Herabminderung der Rüstungen auf dem europäischen Kon-
tinent gehörte von vornherein zu den unwahrscheinlichsten Dingen.
Die große Frage dieser Konferenz ist der Stille Ozcan und China.
Der französische Einfluß in dieser Frage ist zwar nicht groß, aber
immer noch bedeutend genug, daß nldn um seinetwillen Frankreich
gestattet,-soviel Soldaten und Kanonen zu haben, wie es überhaupt
haben will.
Die ganze Angelegenheit war nicht viel mehr, als eine Ge-
legenheit für Driand, eine schöne Rede zu halten. Briand hat
 
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