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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (3) — 1921

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Nr. 291 - Nr. 300 (13. Dezember - 23. Dezember)
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Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 6.80 Mk. Anzeigenpreise:
Dis einivaltiae Petitzeile (38 mm breit) 1.80 Mk., Reklame-Anzeigen

Se>d°lb°°g, Dienstag, 20. Dezember 1921

Nr. 287 * 3. Jahrgang

Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boxberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.

Geheimmittelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Eeschästsstunden: 8—^6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11—t2 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22 577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Verantwort!.: Für innere n. äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton:
Dr.E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales-
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbaoischen Verlagsanstalt G.nub.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.

ISS WMkS Ükl WsUklUW-
kSMWl M KWsWWk.
Die Sozialisierungskommission wurde -am 8. November 1921
vom Reichsverkeyrsminister «ersucht, ihr Urteil über die wirt-
schaftliche Gestaltung der Re'ichseisenbahnen ab-
zugeben. In ausgedehnten Sitzungen, zu denen neben den Ver-
tretern des ReichsverkShrsministerinms eine große Anzahl weiterer
Sachverständiger aus den Kreisen der Eisenbahnverwaltung, der
Industrie, der Privatbahnen, der Beamten und Arbeiter herange-
zogen wurden, hat die Kommission die grundlegenden Fragen des
Eisenbahnwesens zur Erörterung gestellt und das Ergebnis in
zwei Gutachten niedergelegt.
Das e r st e G u t a ch t e n, das n. a. von Braun, Cohen, Feiler,
Hartmann, Hilferding, Koutsky, Luppe, Oeser, Umvreit unterzeich-
net ist, nimmt zunächst zu der Frage „Privatbahn oder Staats-
vahn?" Stellung und legt die allgemeinen und besonderen Gesichts-
punkte dar, die
gegen die Entstaatlichung der Reichsbahn
sprechen. In einer Untersuchung Wer die Bedeutung der Eisen-
bahn für die staatlichen Aufgaben wird zunächst daraus hinge-
wiesen, daß bei dem natürlichen Zusammenhang zwischen der Han-
delspolitik und der Verkehrspolitik eine einheitliche und wirksame
Handelspolitik des Reiches die Beherrschung der einheimischen
Transportwege voraussetzt. Sodann wird unter Hinweis auf die
Bedeutung der Eisenbahnpolitik für die innere Wirtschaft betont,
daß der staatliche Betrieb eine Reihe volkswirtschaftlicher Rück-
sichten nimmt und nehmen mutz, denen sich eine privatwirtschaft-
liche Verwaltung, für die die Rentabilitätsfrage ausschlaggebend
ist, entziehen würde. Die gleichzeitige Beherrschung der Verkehrs-
wege und der industriellen Rohstoffe würde eine überwältigende
ökonomische Macht in die Hände einer einzelnen Gruppe legten
und die
ganze Wirtschaft in ihrs Abhängigkeit
bringen. In dem Gutachten heißt es weiter, daß die Vorzüge, die
sonst für die stete private Wirtschaft geltend gemacht und besonders
auch mit den Vorteilen der freien Konkurrenz begründet werden,
für eine privat gestaltete Eisenbahnverwaltung nicht ins Treffen
geführt werden können; denn bot der Frage: Privat- oder Staats-
bahns handle es sich nicht um den Vergleich zwischen freier Privat-
wirtschaft und Staatswirtschaft, sondern um den Vergleich zwischen
einem konzessionierten, unter Staatsaufsicht stehenden und
vom Staat von vornherein durch bestimmte Vorschirften eingeeng-
ten privaten Monopol oder monopolähnlichen Betriebe mit einem
staatlichen Monopol. Private Verwaltung bedeutet noch nicht
„Entpolitisierung der Eisenbahn", im Gegenteil, gerade unter deut-
schen Verhältnissen würde der Staat unter einem stets sich verstär-
kenden Druck der öffentlichen Meinung, die einer privaten Mono-
polistengruppe Mißtrauisch, ja feindselig gegenüberstände, sich zu
beständigem Eingreifen gezwungen sehen. In Wirklichkeit sei eine
„Entpolitisierung" bei dem engen Zusammenhang zwischen
Eisenbahn und allgemeiner Politik eine Unmöglichkeit.
Jede Sicherheit für den volkswirtschaftlichen Ausglech der Inter-
essen würde fehlen. Diese Gefahr würde noch gesteigert, falls Lurch
Privatisierung der Eisenbahnen die Möglichkeit des Eindringens
auslänbischenKapitals sich ergeben würde. Gegenwärtig
spräche gegen den Usbergang der Eisenbahn an das Privatkapital
die drohende Gefahr, daß bei der heutigen Unrentabilität der Be-
triebe und infolge der Geldentwertung eine solche Veräußerung zu
Preisen stattfinden könnte, die eine Verschleierung des wert-
vollsten Bestandteiles des Reichseigentums bedeuten würde.
Was die Wiederherstellung des durch den Krieg herunterge-
wirtschafteten Betriebes angeht, so könne dies nur durch einen Zu-
schuß des Reiches geschehen. Der schematische Achtstundentag fei
schleunigst durch besondere, den Betriebsverhältniffen rechnung tra-
gende Bestimmungen im Rahmen der 48-Stunden-Wvche unter
besondere Bewertung der Dienstbereitfchast zu ersetzen. Das Be-
russbeamtentum mit Anstellen auf Lebenszett und mit Pensions-
berechtigung müsse beibehalten werden. Davon abgesehen müsse
aber eine Revision des ganzen Beamtenaufbaues in dem Sinne
vorgenommen werden, daß gewisse Kategorien ans dem Beamten-
verhältnis herausgrnommen werden und darüber hinaus generell
die Möglichkeit gegeben ist, von Fall zu Fall, für jede Art von Tä-
tigkeit, Anstellung auf Prtvatdienftvertrag vorzunehmen. Für eine
günstige Preisgestaltung bei den sachlichen Ausgaben müsse die
günstige Kauf- und Bestellungsgelegenheit mehr als bisher ausge-
nützt werden und ein Preisdruck «auf die Industrie erfolgen. Die
Anpassung der Tarife an die Geldentwertung müsse unter Be-
rücksichtigung der volkswirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ge-
sichtspunkte schneller als bisher erfolgen. Für die
Reorganisation der Reichsbahn
werden folgende Vorschläge gemacht:
1. Befreiung der Eisenbahnverwaltung vom allgemeinen Haus-
halt in Erfüllung des 8 92 der Reichsverfassung, «an Stelle der
etatmäßigen soll eine bilanzmäßige Ausstellung treten. Abüürdung
der Kriegslasten von der Eisenbahnverwaltung.
2. Zur Erzielung größter Wirtschaftlichkeit müssen die Erfah-
rungen und Verfahrungsweisen in höherem Matze nutzbar gemacht
Werden. Einführung der kaufmännischen Buchführungen an Stelle
der bisherigen kameralistischen.
3. In der Frage der neuen Eisenbahnverfassung kann sich das
Gutachten nicht dazu entschließen, denen zuzustimmen, die eine
Ueverführung in Aktiengesellschaften befürworten. Die Gesellschafts-
form allein bietet noch keine Garantie für die Wirtschaftlichkeit des
Betriebes. Worauf es ankommt, ist, die Zusammensetzung sowohl
der leitenden als der mittleren Organe so zu gestalten, daß sie
große Entschlußfähigkeit, große Beweglichkeit und Dispositwns-

Der Kampf um die Reparation.
Die neuen Verhandlungen in London. — Rathmaus Teilnahme.
Paris, IS. Dez. Kurz vor Mitternacht ist Rathenau in Be-
gleitung Dr. Simons in London eingetroffen und hat, wie
Loucheur und B riand, die ebenfalls gestern in London ange-
kommen sind, im Hotel KarlSton Wohnung genommen. Ob
Rathenau an den Besprechungen zwischen Briand und Lloyd Ge-
orge, die heute Montag beginnen, teilnehmen wird, ist nicht ganz
sicher. Jedenfalls wird er aber zum mindesten mit Loucheur
in enger Fühlung bleiben, so daß diesmal Probleme, die die deut-
sche Lebensfrage betreffen, nicht wieder ohne Mttsprache Deutsch-
lands auf mehr oder weniger gewaltsame Weise gelöst werden
dürften. Die Besprechungen Briands selbst sollen nicht länger als
drei Tage dauern. Danach würde der französische Ministerpräsident
wieder nach Paris zurückkeyren, um zu Anfang des kommenden
Jahres die Maßnahme«, die er in London mit Lloyd George er-
wogen hat, durch den Obersten Rat sanktionieren zu kaffen.
Die erste Besprechung zwischen Lloyd George und Briand.
London, 20. Dez. Lloyd George und Briand hatten
gestern vormittag 11 Uhr in der Downingstreet ihre erste Bespre-
chung, d. h. einen Meinungsaustausch, im Verlaus dessen die beiden
Ministerpräsidenten die Gesamtheit der zur Diskussion stehenden
Fragen berührten. Der französische Ministerpräsident war be-
gleitet von Loucheur, Bert h etot und einem Dolmetscher.
Auf englischer Seite nahmen an 'der Zusammenkunft Chamber-
lain und Sir Robert Horne teil.
Berlin, 19. Dez. Die ReparationskommWön wird Wohl
selber auf ihre Note, in der sie das deutsche Stundungsgesuch mit
drei Rückfragen beantwortet, keine umgehende Antwort
erwarten. Die deutsche Antwort erfordert noch längere Beratun-
gen. Uever die Antwort auf die erste Frage, wie hoch die Devisen-
beträge seien, die Deutschland für den 15. Januar und den 15.
Februar aufzubringen imstande sei, kann doch bei der Reparations-
kourmission selber kein Zweifel sein. Die Antwort auf die weiteren
Fragen nach der Länge der Stundungsfrist und dem Angebot von
Garantien für die Zwischenzeit wird abhängig von dem Ergebnis,
auf das sich gegenwärtig die Augen der ganzen Welt richten, von
den Besprechungen ziwschen Lloyd George und Briand in London.
Was angesichts der schwebenden Entscheidung von London vorerst
hier vorbereitet werden kann, geschieht in Reffortbesprechungen,
die im Laufe des heutigen Tages beginnen werden.
Reichsregierurrg und Beamtenforderungen.
Berlin, 20. Dez. Im Reichsfinanzministerium fand gestern
sine Besprechung mit den gewerkschaftlichen Spitzenorganifationcn
über die von den Beamten eingereichten Forderungen statt. Im
Verlauf dieser Besprechungen richtete der Regierungsvertreter mit
Rücksicht aus die außenpolitische Lage an die Spitzenorganisationen
das Verlangen, ihre Forderungen zurückzuzieven. In
einer Beratung der gewerkschaftliche» Vertreter wurde die Ansicht
betreten, daß man an einer Erhöhung der Grundgehälter und
Löhne sesthalten müsse. Eine endgültige Stellungnahme wird heute
abend in einer gemeinsamen Sitzung der Spitzenorganisationen
erfolgen und der Beschluß am Mittwoch dem Reichsfinanzministe-
rium mitgeteilt werden.
Berlin, 29. Dez. Wie wir hören, beabsichtigt die Reichs-
regierung denjenigen Beamten, welche nicht durch das neue Orts-
klasfenverzerchnis eine Hebung erfahren und auf diese Weise noch
keinerlei Zahlung vor Weihnachten erhalten, in den nächsten Tagen
die Hälfte des Januargehalts vorschußweise auszahlen zu lasten.
Für die Arbeiter sollen entsprechende Beträge zur Auszahlung ge-
langen. Ein Eingehen auf die Forderungen der Beamtenorgani-
fationen lehnt die Reichsregierung nach wie vor auf das Bestimm-
teste ab.

fähigkeit besitzen und Wer Ne nötigen technischen, organisatorischen
und kaufmännischen Erfahrungen verfügen. Die große politische
Bedeutung der Verkehrspolitik mache es unumgänglich, daß sie
durch einen Minister im Kabinett vertreten sei.
AN die Spitze der Verwaltung müßte ein Diretortum
treten, das sich aus dem ReichAVerke'hrsmtiitster als Vorsitzenden
und aus zwei oder drei aus der Eisenbahnverwaltung und ebenso
vielen aus der Privatwirtschaft hervorgegangeuen Mitgliedern zu-
sammenzusetzen hätte. Eine gleiche Zusammensetzung würde bei
den Direktionen und anderen Betriebsstellen zu empfehlen sein. In
der Frage, welches Äusstchts- oder Kontrollorgan dem Eisenbahn-
direktorium beizugeben wäre, lehnt das Gutachten einen Verwal-
tungsrctt, dessen Aufgabenkreis der eines Ansstchtsrates sein solle,
ab und befürwortet den Vorschlag, dem Generaldtveltorium Bei-
räte für die einzelnen Gebiete, und zwar für das Beschaffungs-
wesen, für das Betriebswefen und für Ne Tarifstagen veizugeben.
Es würde sich empfehlen, Ne jetzigen Befugnisse des Gesamtmini-
steriums in bezug auf die Tarifstagen dem EisenbahNdirsktorium
zu Werttagen, diesem vom Minister geleiteten Direktorium auch die
selbständige Einstufung der Beamten und Arbeiter in die Gehalts-
und Lohnstusen des Reiches zu überlassen und ihm damit grö-
ßereBewegungsfretheitin Gehalts- und Lohnfragen zu
gewähren. Der Reichsverkehrsminister trägt die parlamentarische
Verantwortung gegenüber dem Reichstage und stellt die Verbin-
dung mit dem Gesamtministerium her. Der Reichstag würde den
Eisenbahnhaushalt nur im ganzen annehmen oder ab lehnen kön-
nen. Zum Schluffe befürwortet das Gutachten eine stärkere De-
zentralisation der Verwaltung durch Verminderung des Instanzen-
wesens.
Das zweite Gutachten, das die Unterschriften der christlichen
Gewerkschaftler Baltrusch und Sieger trägt, stellt im großen

und ganzen nur eine Zusammenfassung der Gedankengänge dar,
die der Deutsche Gewerkschastsbund in seiner ausführlichen Denk-
schrift Wer die Entstaatlichung der Eisenbahnen niedergelegt hat,
Das Gutachten hält eine UeberfüHrung der Reichsersenbahnen ist
den ausschließlichen Besitz des Privatkapttals Kr unmöglich; aber
ebenso unhaltbar erscheint ihm die bisherige Form als Reichsbe-
trieb. Als neue Form wird der gemischt-wirtschaftliche Betrieb in
Vorschlag gebracht und die Umwandlung der Reichseisenbahnen
in eine Aktiengesellschaft gefordert. An der Aktiengesellschaft sind
zn beteiligen: 1. Das Reich und Ne Länder; 2. die EisenLahnhetrei-
benden, d. h. das Eisenbahnpersonal, vertreten durch seine
Gewerkschaften, und weiterhin Ne deutsche ArHeitnehnrerschaft, ver-
treten durch ihre Spitzenorganisation; 3. die Eisenbahninte-
ressenten, d. h. Industrie, Handel, Landwirtschaft, Gewerbe.
In ihrer Mehrheit ist demnach die SoztMsterungskommisston
zu dem Ergebnisse gekommen, daß die Eisenbahn im Besitze und im
Betriebe des Reichs verbleiben mutz.
Ausland.
Die Abstimmung in Oedenburg.
65 Prozent ungarische Mehrheit.
Budapest, 18. Dez. Die Volksabstimmung in Oedenburg
ergab 15 343 Stimmen für Ungarn und 8227 Stimmen für Oester-
reich. Die ungarische Mehrheit beträgt 65 X Prozem.
Budapest, 18. Dez. In Oedenburg und Brennberg ent-
fallen 73 Prozent der abgegebenen Stimmen aus Ungarn. Ob-
wohl die interalliierte Kommission Kundgebungen untersagt bot,
tritt die Freude der Bevölkerung Wer das Abstimmungsergebnis
offenkundig Zutage. Die Glocken aller Kirchen Wurden während
einer Stunde geläutet. Nach den Bestimmungen des Abkommens
von Venedig hat die Uebergäbe des Abstimmungsgebietes an
Ungarn in acht Tagen, d. h. am Weihnachtstage, zu erfolgen.
Der Bankrott des Bolschewismus.
Das französische Flottenproblem gelöst.
Paris, 18. Dez. (Priv.-Tel.) Aus Washington wird ge-
meldet: Der Flottenausschutz der Konferenz hat in seiner heutigen
Sitzung die französische Forderung Geraten. Man nimmt an,
Hughes schätzt für Frankreich das Verhältnis 1,7 im Verhältnis
zu dem übrigen 5:3:3 als die gegebene Zahl. Diese relative Stärke
würde Frankreich und Italien je 198 009 Tonnen an Großschiffen
geben, eine Zahl, die allgemein als genügend angesehen wird. Der
jetzige Chef der französischen Mission, Kolontalminister Sarraut,
bat energisch auf dieser Forderung bestanden und ausgeführt,
Frankreich stütze sich aus. seinen ausgedehnten Kolonialbesitz. Eine
spätere Meldung will wissen, daß die französische, Delegation be-
schlossen Hal, Briand offiziell um seine endgültige Entscheidung
zu bitten.
Paris, 19. Dez. Aus London wird gemeldet: Briand
hat im Laufe des gestrigen Abends noch den Botschafter der Ber-
einigten Staaten empfangen und erklärt, daß Frankreich di- von
Hughes vorgeschlagene relative Flotteustärke annehme, d. h also
im Verhältnis von 5:5:3:1,7 für Frankreich und 1,68 für Italien.

Die Konferenz in Washington.
Die neue Wirtschaftspolitik.
Loudon, 19. Dez. Die „Times" berichtet, die Unterredung
des Schatzkanzlers mit Krassin am letzten Freitag sei von
großer Bedeutung. In unterrichteten Kreisen sei man der
Ansicht, daß Lenin vollständig von dem Mißerfolg des Bolschewis-
mus überzeugt sei und daß es sich nur um die Festsetzung einer
geeigneten Formel handle, um in Rußland wieder das kapi-
talistische System emMsühren. Die Sowjetregierung soll
nickt abgeneigt sein, Ne Vork riegs schul den an zn erken-
nen als Einleitung zu einer Teilnahme an einem gemeinsamen
Versuch, Europa wieder herzustellen. Eine solche Beteiligung der
Sowjetregierung würde, wie Ne Times sagt, selbstverständlich die
de jure — Anerkennung der bolschewistischen Regierung — bedeu-
ten, was England bisher stets abgelehnt habe.
Laut "Times" besteht guter Grund zu der Annahme, daß der
Gedanke einer Wirtschaftskonferenz, an der Deutschland, Rußland
und Oesterreich in der einen oder anderen Weise teilnehmen sollen,
von Llovd George in Erwägung gezogen werden soll. Diese Frage
werde zweifellos von den beiden Preimerministern erörtert werden.
Auf einer Konferenz der sowjetistischen Propagandachefs sprach
Lenin Wer die neuen infolge der Schwenkung seiner Wirtschafts-
politik notwendig gewordenen Agilationsmethoden . Er führte
u. a. aus:
„Nun haben uns Ne schlechten Erfahrungen, Ne
wir damit machten, die Richtigkeit unserer ersten Auffassung ge-
zeigt, daß der Erreichung auch nur der ersten Stufe des Kom-
munismus eine sozialistische Lehrzeit vorangeheu muß. Unsere
jetzige Wirtschaftspolitik wird notwendig, weil wir eine
schwere Niederlage erlitten haben und einen strate-
gisch e n R ü ü z u g antreten müssen, um, ehe wir -völli g geschla-
gen sind, noch einmal und auf festerer Grundlage aufzubauen.
Denn darüber müssen wir uns doch klar sein, daß wir im Früh-
jahr 1921 eine wirtschaftliche Niederlage erlitten Haven, die
schwerer ist als alle Rückschläge, mit denen wir es bisher zu tun
hatten. Als Ursache dieser Niederlage müssen wir es erkennen,
daß die ausfahrenden Organe nicht imstande waren, die Pläne
der leitende» Stellen zu ersoffen, daß sie nicht die Steigerung der
produktiven Kräfte vornehmen konnten, die als die wich-
tigste Aufgabe angesehen werden mutz. So brachte die Anwen-
dung des reinen Kommunismus statt des notwendigen Wieder-
aufbaues ein Chaos in Stadt und Land hervor. Wir könne«
jetzt sagen, daß wir den Rückzug angetreten haben, und wir
wollen hoffen, daß er in Ruhe und Ordnung vor sich geht."

Aus dem Parterleben.
Kreiskonferenz des 5. bad. Landtagswahlkreises.
Am Sonntag sand nun auch im Agttationsbezirk Karlsruhe
die Wahlkreiskonferenz statt; sie war sehr gut besucht, 104 Dele-
gierte aus 78 Mitgliedschaften waren vertreten. Im Mittelpunkt
 
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