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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (3) — 1921

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Nr. 291 - Nr. 300 (13. Dezember - 23. Dezember)
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Tageszeitung für die Werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Bosderg, Tanderbifchofsheim und Wertheim.

Adelsheim, Bosberg, Tarrderbifchofrheim rind Wertheim.
Bezugspreis: Monatlich eirflchl. Trägerlohn 6.50 Mk. Anzeigenpreise:
Tie einspaltige Petitzeile (86 mm breit) 1.80 Mk., Reklame-Anzeigen
(98 mm breit) 5.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Taris.
Geheimmrttelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Eeschäftsstuiiden: 8—-'/z6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11-13 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr : Volkszeitung Heidelberg.
Heidelberg, Mittwoch, 14. Dezember 1921
Nr. 292 * 3. Jahrgang
Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton:
Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokale«:
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G. m. b.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schroderstraß« 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.

Nie AttkWlM M SszlOkMMk.
Berlin, 13. Dezember. Der am Sonntag stwttgesundene Be-
zirkspartcitag der S. P. D., aus dem der Genosse Wels eine
großangelegte Rede Wer unsere innen und außenpolitische Lage
hielt, befaßte sich auch eingehend mir steuerpolitischen Fragen. All-
gemein wurde verlangt, daß das Finanzministerium endlich wieder
einmal von einem hauptamtliche» Finanzminister verwaltet wird.
Zur Steuerpolitik wurde folgende Resolution angenommen:
Der verhängnisvolle Sturz der Mark hat die binnenwirt-
schastliche und weltwirtschaftliche Stellung Deutschlands gegen-
über den Vormonaten erheblich verschlechtert. Die gewaltige
Steigerung d e r Preise für alle Bedarfsartikel hat die
Kaufkraft der breiten Massen des Volkes noch weiter herabge-
setzt. Wucherische Ausbeulung der KonjmMnrunsicherhM durch
alle Warenbesitzer trifft zusammen mit einer unerhörten Ver-
schleuderung des Volksvermögens auf dem Wege eines wahl-
losen Ausverkaufs an die valutaftarken Länder. Die dadurch
hervorgehobene Scheinkonjunktur in der Exportin-
iduftrie ist aber nur vorübergehend. Die Politik des Auslan-
des sucht in steigendem Maße durch Einfrchrverbote u,rd immer
wachsende Schutzzölle die deutschen Waren abzuwctzren und wird
in kurzer Zeit im Gefolge einer schweren Absatzkrise eine gewal-
tige Arbeitslosigkeit in Deutschland heraufbeschwören.
Auch wenn die Verhandlungen Wer ein Moratorium
für die Reparationszahlungen schließlich zum Ziele führen soll-
ten, so kann den verhängnisvollen Schwankungen der Valuta nur
Einhalt geboten werden, falls es gewrgt, die deutsche Zahlungs-
bilanz dauernd ins Gleichgewicht zu bringen. Unerläßliche Vor-
aussetzung dafür ist die Stillegung der Rotenpresfe
und die Deckung der Staatsbedttrsnisse durch ordentliche Ein-
künfte. Nur die sofortige Erfassung der Sachwerte in Verbin-
dung mit einer beschleunigten Einziehung der ilteichseinkom-
mensteuer kann die Zerrüttung der Aeichsfinanzen beheben. Mit
aller Macht mutz den Versuchen entgegengetreten werden, die
zurzeit im Reichstag zur Verhandlung stehenden Vermögens-
steuergesetze zugunsten kapitalistischer Privatinterefsen ihrer ge-
rechten B-erechnungsgrnndkage zu berauben. Die lange verspro-
chenen Maßnahmen zur restlosen Erfassung der Exporkdsviseu
müssen endlich durchgeführt werden. Nur dann besteht die Aus-
sicht auf erfolgreiche Bekämpfung der schamlosen Devisenspekula-
tion, die nach den jüngsten Erfahrungen bei der Pfälzischen
Bank auch den kleinen Simrer unentrinnbar mit ihrem verhäng-
nisvollen Risiko belastet.
Daher ist zu fordern:
1. Die sofortige Erfassung der Sachwerte aus dem
von den hervorragendsten Fachmännern der Industrie selbst ge-
wiesenen Wege. Der dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat von
den Interessenten vorgelegts Gesetzentwurf über eine Kreditvsr-
etnigung des deutschen Volkes ist von der Negierung sofort den
gesetzgebenden Körperschaften zur Beschlußfassung vorzukegen
und nach Festlegung der notwendigen Garantien für den unmit-
telbaren Zugriff des Reiches auf den Sachwertbesitz in Rechts-
kraft zu setzen. Ker landwirtschaftliche Sachbesttz ist unmittelbar
zu erfassen durch eine hypothekarisch zu sichernde Grundsteuer,
deren sofortige Vorausbezahlung für mehrere Jahre festzulcgrn
ist.
2. Sofortige Einvcvung der Reichseinkom-
men steuer auf Grund vorläufiger Veranlagung Sei denjeni-
gen Finanzämter», die am Jahresschluß mit der endgültigen
Veranlagung nicht im Rückstand stick».
3. Wiederherstellung des gemeinen Wertes als Ver-
anlagungsgrundlage in de» Vermögens steuergefetzen-wür-
sen.
4. Sofortige E rh ö h u n g der Ausfuhrabgnbevis
zur vollen Erfassung der Valutagewtnne. Um
die Exportindustrie unmittelbar an der Besserung der Mark zu
interessier», ist für die Berechnung eine nach dem Stande der
Valuta gleitende Skala mit progressiven Sätzen Sei Ver-
schlechterung der Mark einzukührerr.
5. Feststellung der im In- und Ausland« liegenden D e v i-
senvorräts durch eidliche Vernehmung aller Per-
sonen des Wirtschaftslebens, bei denen größere Vorräte vermu-
tet werde«.
6. Einführung einer Börsengewinnsteuer, die eine«
Teil der Kursgewinne unmittelbar der öffentlichen Hand zn-
süyrt.
In der Moittagsnummer der „Chemnitzer Volksstimme" be-
faßt sich auch Genosse Heinrich Ströbel mit den Finanz-
problemen der Gegenwart und kommt dabei teilweise zu Folgerun-
gen, wie wir sie gestern an dieser Stelle in unserem Leitartikel nie-
dergelegt haben. Ströbel kritisiiert aus das schärfste, daß wir bis-
her wirtschasts- und finanzpolitisch nur aus der Hand in den
Mund gelebt und uns eingebildet haben, ohne durchgreifende Matz-
regeln finanzieller und wirtschaftspolitischer Art auszukoinmen.
Neben dem ausländischen Moment der Martvaluta ist es insbeson-
dere die innere wahnsinnige Preissteigerung, die an
einem großen Teil unseres heutigen wirtschaftlichen, finanziellen
und sozialen Elends schuld ist. Ströbel schreibt:
„Entbindet uns also ein Moratorium für einige Zeit von der
Devisenbeschaffung für die Reparationsleistungen, so hört von
dieser Seite her die Entwertung der Papiermark aus. Dafür
aber dauert sie auf dem Innenmarkt unvermindert an.
Denn die Preissteigerungen und Lohnerhöhungen der letzten
Zeit beginnen sich ja jetzt erst recht auszuwirken. Mögen auch
einzelne Waren, die das Speknlattonsfieber allzu plötzlich in die
Höhe getrieben hatte, wieder im Preise fallen: die Gesamt-
trbenShatttmg wird tm Jahre LM2 beträchtlich höh« fein, als

Die kommende Londoner Repsrationskonferenz
Gemeinsames Vorgehen von England, Frankreich urck» Belgien.
Paris, 13. Dez. Der WtederaufbauMinister Loncheur
ist aus Brüssel nach Paris zurückgekehrt. Seine Aufgabe, die
belgischen Bedenken zu zerstreuen, ist ihm vollkommen gelungen;
The « n t s wird der ReparationSkonferrnz zwischen Lloyd
George, Briand und Loncheur in London am 20. De-
zember ebenfalls beiwohnen. Nach allen vorliegenden französischen
und belgischen Nachrichten ist es klar, daß der Plan, Deutschlands
Zahlungsfähigkeit zu stützen, mittlerweile durch die zahlreichen Be-
sprechungen in London über das anfangs ins Auge gefaßte Mora-
torium hinauAgegangen ist. Loncheur erklärte in Brüssel aus-
drücklich, daß es sich nicht um ein Moratorium handele.
Die Grundlage der weiteren Erwägungen, die auf eine Revision
und Veränderung der deutschen Reparationszahlungen hinzieren,
bildete das nunmehr nicht mehr auzuzweifelr.de englische An-
gebot, auf seinen Anteil an den deutschen Reparationszahlungen
überhaupt zu verzichten.
London, 13. Dez. Von den Besprechungen zwischen Lloyd
George und Briand verlautet, daß wahrscheinlich die ge-
samte Frage der Reparationen aufgeworfen, daß aber ein bedeu-
tender Schritt gegen ein gerneinsames Vorgehen für das Morato-
rium für Deutschland erreicht werde. Auch Belgien soll an diesen
Besprechungen durch Theunis oder Ja spar vertreten sein.
Nach den Beratungen, die wahrscheinlich drei bis vier Tage in
Anspruch nehmen werden, wird aller Voraussicht nach das Resul-
tat der Besprechungen sofort nach Washington tele-
graphiert werden. Von einer Reise Briands oder Lloyd Ge-
orges nach Washington selber kann dagegen keine Rede sein.
Paris, 13. Dez. Die „Chicago Tribüne" behauptet, Bri-
and werde Lloyd George den von Dr. Bergmann, der
vor einiger Zeit als Vertreter Dr. Nathenaus in Paris weilte,
ausgearbeiteten Plan für die Stabilisierung der Valuten unter-
breiten. In diesem Entwurf schwebt Dr. Bergmann eine inter-
nationale Garantie vor, wobei die bereits tm Ausland be-
findlichen Guthaben im Werte von 7 Milliarden GolLmark als
Garantiesumme gelten könnten. In französischen Kreisen sei man
der Ansicht, daß eine andere Lösung als die Einsetzung eines zwei-
jährigen Moratoriums gefunden werden müßte.
Eine Anleihe von L Milliarde Dollar?
Paris, 13. Dez. Der „Jntransigeemt" versichert, daß ein
Kreditplm?, der saft in allen Einzelheiten dem gestern vom „Temps"
veröffentlichten und von uns im Auszug wiedergegebenen Projekt
entspricht, Gegenstand der Besprechungen RathenauS in London
gewesen sei und daß darüber seit einigen Tagen zwischen den alli-
ierten Regierungen verhandelt werde. Eine Entscheidung stehe
tmmittelbar zu erwarten, nachdem alle Beteiligten bereits
im Prinzip ihre Zustimmung gegeben hätten. Ein Teil der
in Höhe von insgesamt einer Milliarde Dollars aufzu-
legenden Anleihe soll sofort ausgegeben werden und das Er-
gebnis dieser Emission so« für die Januar- und Februar-
Annuitäten verwendet werden.

selbst im letzten Quartal 1SS1. Man denke doch nur, Latz die Er-
höhung des Kohlenpreises um zirka 200 Mart pro Tonne
bei IVO Millionen Tonne» Gesamtverbrauch die deutschen Pro-
duktionskosten schon um 20 Milliarde» verteuern muß. Schlim-
mer noch wird die Erhöhung der Eisen- und Stahlprelse wirken.
Dazu kommen die gewaltig erhöhten Eisenbahn- und Posttarif«,
die höheren Straßenbahntarife, die gestiegenen Elektrizitäts- und
Gaspretse, die neuen Steuern usw. Nicht zu vergessen, daß auch
die Mieten eine beträchtliche Steigerung erfahren sollen. Die
deutsche Produktton und Konsumtion wird dadurch ohne innere
Wertvermehrung im Preise nm Hunderte von Milliarden gestei-
gert sein, so daß die Löhne und Gehälter abermals eine Steige-
rung erheischen werden, soll die proletarische Masse nicht zu-
grunde gehen. Die Unternehmer werden diese Mehrkosten dann
abermals auf die Preise schlagen, und Reich, Staaten und Ge-
meinden werden trotz erhöhter Einnahmen von neuem in die
peinlichsten Finangschwierigketten geraten, aus denen sie sich nur
durch neue» Notendruck und neue Anleihen retten können. Die
von der Preissteigerung ausgehende Geldentwertung wird dann
durch die abermalige Inflation verschärft werden!"
Darum sieht Ströbel in der Erfassung der Sachwerte allein
nicht den Weg zur Stabilisierung der Preise und damit des inne-
ren Markwertes, sonderst dazu ist eine möglichst weitgehende Her-
absetzung der Warenpreise. So fordert er u. a. in ähnlichem Sinne
wie Wir das gestern zum Ausdruck gebracht haben, Verbilligung der
Materialpreise der Eisenbahn durch Angliederung von sozialisier-
ten Kohlengruben und Hüttenwerken, also eine Teilfozialiflerung
von Kohle und Eisen, wie sie von Alfons Horten schon seit
Jahren in klar durchdachter Form propagiert wird. Lsider sind
Hortens Anregungen, obgleich sie gerade bei den Arbeiter»»»- po-
litisch unvoreingenommenen Wirtschaftspraktikern den stärksten An-
klang gesunden haben, bisher von den Parteien und Gewerkschaf-
ten nahezu gänzlich ignoriert worden. Dafür ist man allerhand
Illusionen nachgejagt, Hai man beispielsweise von der Annäherung
Der Preise an den Weltmarktpreis das Heil erwartet. Heute hat
man ja Wohl endlich begriffen, daß die Weltmarktpreise trotz der
tollsten Preissteigerungen immer wieder nach oben davonlaufen.
Will man nun abermals bürgerlichen Lockungen und Lösungen Ge-
hör schenken, bis die Mark nur noch den Bruchteil eines Pfennigs
wert ist und die Löhne nur »och ein Drittel ihrer ehemaligen Kauf-
kraft besitzen? Will man warten, As die geistige Hilflosigkeit und
wirtschaftliche Ohnmacht des Proletariats vor In- und Ausland
so Mar erwiesen ist, daß die international koalierte Kapiralisienklasse
die nichtbesttzende Klasse verächtlich beiseite schiebt mW -er Welt
rücksichtslos ihre Gesetz« diktier!?

Politische Ueberficht.
Der Hachenbrrrgsche Entwurf im Reichsrvirt-
schaftsrat angenommen.
Berlin, 14. Dez. In der gestrigen Vollsitzung des Reichs-
Wirtschaftrates wurde der Hachenburgfche Entwurf zur Errichtung
einer Kreditvereirrigung der deutschen Gewerbe mit der am Sams-
tag formulierten Kompromitzresolutlon einstimmig ange-
nommen und der Regierung als Material überwiesen.
Der Reichskanzler über die politische
Gesamtlage.
Berlin, 13. Dez. Im Reparationsausschnß des vorläufige«
Reichswirtschaftsrates, der über die Errichtung einer Kredttver-
einiMNg der deutschen Gewerbe beriet, ergriff der Reichskanzler
das Wort, um in vertraulichen Ausführungen einen Ucbcr-
blick über die gesamte politische Lage zu geben. Seine Darlegungen
gipfelten in dem Hinweis, daß die wirtschaftliche Lage Deutschlands
in ihrer Verflechtung mit der Weltwirtschaft nunmehr zum Gegen-
stand öffentlicher internationaler Diskussion geworden sei.
Es sei jetzt von Bedeutung, daß diese
Erörterung fortgesetzt und vertieft werde.
Was Deutschland betreffe, so müsse es sich zur Mitarbeit an diesem
Problem Sereithaltcn. Der Hachenburgfche Gesetzentwurf biete
anscheinend eine geeignete Grundlage, um die deutsche Wirtschaft
zur positiven Mitarbeit und der Lösung dieser deutschen Lebens-
frage heranzuziehen. Die Ausführungen des Reichskanzlers mach-
ten auf die anwesenden Vertreter der deutschen Wirtschaft einen
starken Eindruck, der sich in Beifall äußerte. Dann trat der Aus-
schuß in die Beratung der Vorlage ein. Die Sitzung des Repa-
rattonsausschusses ist kurz nach 1 Uhr zu Ende gegangen, ohne
daß Dr. Rat Heu au selbst über das Ergebnis seiner Londoner
Besprechungen Bericht erstattet hätte.

Der Hochverratsprozetz gegen die Kapprften.
6. Tag.
Leipzig, 13. Dez. Aus den heutigen Verhandlungen sind le-
diglich die Aussagen des Generals a. D. Märker von Be-
deutung. Er erklärt, zunächst sei «in Ferngespräch gekommen, das
mittetlte, die Regierung sei geflüchtet. Kapp habe die neue Regie-
rung gebildet. Ferner erwarte Lüttwitz, Satz die Herren im Wehr^
kreiskommaWo sich ihm zur Verfügung stellen. Ein zweites Tele-
gramm lautete: „Die Negierung ist ansgerissen. Ich habe diS
Stellung des Oberbefehlshabers bisher behalten. Falls die Mini-
ster sich in ihren Wehrkreis geflüchtet haben, sind sie sestzunshmen."
Der Zeuge hat Kapp für vollständig unfähig gehalten, und er sek
überzeugt gewesen, daß das Unternehmen mißlingen würde, daS
ihm vollkommen überrascht kam. Ich habe nur gehört, daß zwi-
schen Noske und Lüttwitz Zwistigkeiten bestanden. Zuerst hörte ich,
daß Lüttwitz seinen Abschied erhalten sollte, daß er beurlaubt war,
habe ich aus der gestrigen Verhandlung hier erfahren Von Be-
sprechungen meinerseits mit Männern des Kapp-Unternehmens vor
Beginn des Unternehmens ist mir nicht bekannt. Als die Mini-
ster vormittags in meinem Dresderrer Büro erschienen, waren sie
sehr aufgeregt, namentlich Koch. Noske benagte sich über daS
Verhalten der Truppen in Berlin. Als ich mich daraufhin erbot,
nach Berlin zu reisen, um mit Lüttwitz zu verhandel», erklärte
Noske, das sei ausgeschlossen, die Regierung könne mit Hochverrä-
tern nicht verhandeln. Schließlich war Noske doch mit meiner ReisS
nach Berlin einverstanden. Ebert teilte mir vor meiner Abreise
brieflich mit, daß ich versuchen möchte. Kapp auf den verfassungs-
mäßigen Weg zurückzubrtngen. In einer Kabinettssitzung im dar-
auffolgenden Tag in Berlin hielt Kapp sine optimistische An-
sprache. Auch ich kam zu Worte ANd ivies hierbei auf die Bedenk-
lichkeit des Kapp-Unternehmens bin, das völlig unvorbereitet ge-
wesen sei. Wangenhcim äußerte dann, wenn nicht der Ge-
neralstreik nicht binnen 48 Stunden abgeblasen würde, würden di«
Städte keine Lebensmittel mehr bekommen. Ich gewann den Ein-
druck, daß die Herren sehr selbstbewußt waren. Von einer Kabi-
ncttssitzung konnte jedoch bei jener Versammlung nicht die Rede
sein, da noch manch« andere Persönlichkeiten zugegen waren. Dr.
Schiele hatte ich bis dahin noch nicht kennen gelernt. Am an-
dern Morgen wurde mir eine Liste von 8 Forderungen überreicht,
die sich ans Neuwahlen des Reichskabinetts, Fachminister, Schaf-
fung einer zweiten Kammer, Amnestie usw. erstreckte. Die Ernen-
nung der Kappregierung als eine ordnungsmäßige wurde ebenfalls
gefordert. Die Amnestirforderung deutete darauf hin, daß sich
Kapp nicht mehr sicher fühlte. Am Montag vormittag kam es zu
einem heftigen Zusammenstoß zwischen mir und Lüttwitz, der über
meinen Kopf hinweg einen meiner Brigadekoinmandeure abgesetzt
hatte und mich dann auch absetzen wollte. Ich machte ihn darauf
aufmerksam, daß der größte Teil der Truppen anscheinend nicht
mehr hinter ihm stände. Wenn auch in Berlin die Sache gut für
Lüttwitz zu stehen scheine, so war Berlin doch nicht das Reich. Ich
war fortan bemüht, Kämpfe von Reichswehr gegen Reichswehr
zu verhindern. Von Berlin reiste ich nach Stuttgart und erstattete
Roste Bericht.

Deutscher Reichstag.
Die Vorgänge in der Pfalz.
Berltn, den 13. Dezember.
Der Reichstag verhandelte heute zunächst eine Reihe» Kleiner
Anfragen, u. a.: Auf die Behauptung, daß aus der Ludendorsf-
Spende 100 Millionen Mark für die sozialdemokratische Wahlpro-
paganda mtsgegeben wurde« (Anfrage Schirmer (Bayer. Vp.)
 
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