kllU MnzMche« Wrger VMMhM
das Programm seiner WtschwMheitfthÄMsgt. , , /
„ReKubligue Franekise": Die Rede von St. Nazarie gibt uns
keine Klarheit Wer irgendwelche schwebenden großen Politischen
Fragen. Die Rede ist von einschläsernder Wirkung. Sie bringt
nichts Neues, besonders nichts Wer die Reise nach Washington.
Wir glauben, daß die Kammer sich mit einem so armseligen Expose
nicht begnügen wird.
„Le Peuplr": Der Ministerpräsident hat, der deutschen Negie-
rung das Vertrauen ausgesprochen. Er hat zugegeben, daß die
Verpflichtungen Deutschlands bisher erfüllt worden sind. Er hat
aber dem Gedanken nicht die logische Folge gegeben. Geschah
dies ebenfalls aus Klugheit?
„Oeuvre": Das erste Mül hat der Ministerpräsident eine
optimistische Rede gehalten.
„Figaro": Der Ministerpräsident hat gestern die Wahrheit
in Erinnerung gerufen, die man ständig vergißt. Der Versailler
Vertrag ist nicht nur von 2 unabhängigen Nationen geschloffen
worden, sondern er ist Deutschland von einem Bunde von Mäch-
ten auserlegt, die, um den Vertrag anzuwenden, verbunden bleiben
müssen. Wenn eine der Mächte sich von den anderen isoliert, so
verzichtet sie daraus, sich des gemeinsamen Instrumentes zu be-
dienen. Wir sind deshalb gezwungen, mit unseren Bundesbrü-
dern im Einvernehmen zu bleiben, wenn wir uns der Möglich-
keit der Erfüllung des Vertrages nicht begeben wollen.
„Humanste": Briand hat Worte gefunden, die wir erwartet
haben, und zwar diejenigen, die niemand täuschen und nichts
sagen. Wir greisen nur das Geständnis des sranzösischen Mini-
sterpräsidenten heraus, das den Grundsatz bestätigt hat, den wir
immer bestätigt haben, daß die wirtschaftlichen Tatsachen eins
Politik des solidarischen Einvernehmens zwischen den Nationen
herbeiführen müssen.
„Ere Rouvelle": Die Rede Briands übersteigt die Bedeutung
-er traditionellen Botschaft vor der Eröffnung der Parlamentärs
schen Session. Die Rede Briands ist mehr alS ein Mintsterpro-
gramm, mehr als eine Appologie und mehr als ein Aufruf zur
Eintracht. Briand hat nicht als Sieger gesprochen, der mit den
Sporen klirrt, auch nicht als Geschäftsmann, der seine Teilhaber
einwickeln will, auch nicht als Diplomat mit nationalen Vor-
urteilen, in einem Wort gesagt, Briand hat als Europäer gespro-
chen. Er hat die Einsicht gehabt und gewagt zu sagen, daß alle
menschliche Voraussicht durch die Ereignisse überholt wurde, dass
man eine neue Politik machen müsse, die de« Bedürfnisse« eine«
neue» Welt angepatzt ist. Die wichtigen Grundsätze dieser neuen
Politik dürfen nicht nur aus einzelnen Staat, sondern auf ei«
ganzes Staatenshstem angewenbet werden. Die Interessen Frank-
reichs können von denen Europas nicht losgelöst werden, und die
ganze Welt, die an der Wiederherstellung Europas in gleichem
Grade interessiert ist, müsse daran Helsen die Grundsätze dieser Wie-
derherstellung sestzusetzen. Diese Rede war die Sprache eines
großen Politikers.
Badische Politik.
U.S.P.-KrmdrdirLen.
Nunmehr Haven auch die Unabhängigen ihre Landtagskanbi-
daten bekannt gegeben. Die Landesliste beginnt mit dem Name«
Rudolf Freidhof - Mannheim, ihm folgen Frieda Unger-
Lahr und Paul Spengler-Pforzheim. An der Spitze der
Karlsruher Liste steht Stadtrat Jung-Karlsruhe, an der Spitze
der Mannheimer Liste Johann Brümmer-Mannheim. Für
den 7. Wahlkreis (Heidelberg-Mosbach) sind folgende Kandidaten
aufgestellt:
1. Martin Jäger, Schmied, Kirchheim b. H.
2. August Zeller, Schlosser, Rohrbach b. H.
3. Michael Vogel, Zigarrenmacher, W a l l d o rs.
4. Wilhelm Schmidt, Spengler, Heidelberg.
5. Hans Brümmer, Gewerkschaftsbeamter, Mannheim.
6. Math. Müller, Fabrikarbeiter, Ziegelhausen.
7. Josef Herbon, Privatmann, Kohlhof.
8. Karl Kraus, Hilfsfchaffner, Unterschüpf.
9. Albin März, Gewerkschaftsbeamter, Heidelberg.
10. Elisabeth Hör 1h, ohne Berus, Heidelberg.
11. Gerhard Müller, Eifenbahnschaffner, Sachsenflur.
12. Christian Oehlschläger, Schmied, Kirchheim b. H.
13. Emil Bauer, Schneider, Rippberg.
14. Karl Wilhelm Weber, Schreiner, Leimen.
15. Franz Pfisterer, Schlosser, Wieblingen.
16. Josef Schupp, Schreiner, Heidelberg.
Die Kandidaten der ReaMon.
Daß der edle Landbund gar nichts anderes als ein Ableger
und Stimmenfang der deutschnationalen Reaktion ist, wird schon
zur Genüge dadurch gekennzeichnet, daß als Spitzenkandidat des
7. Wahlkreises vom Landbund der bisherige deutschmrtionale
Landtagsabg. Her 1 le - Sachsenflur ausgestellt ist.
badischen Land
heißt?!
-- ^Es Wäre
'LW Szene von . l
w
ÄärGö-Stück leistenftßch Mer'^it>^entschnMöüaM^W
7- WMkreis, dieAM nicht schämxn den Herrn Abg. MM-er-Hei-
delbeHg Ms ihren Spitzet-k-m'oida:sn ausmarWiercn zu krissc». Aus-
_ __
koY.Hr Rede, die M Abg. 'M?S chö'feL'M der 63. Sitzung des
es u. a,
en, wenst
hin (gemeint ist M, wüste Auftreten des
dcUtschnMvnalen Wg. Mftgtzr) nW vorgckomMen wäre.
(Sßhr richtig beim ZenttuÄ ÄÄ> bei deÄSozialdemoftaten.) Ich
gehöre diesem Hause nun 16 Jahre nm Wir haben manche
heftige, schwere Debatten hier durchgefochten. Ich erinnere an
die Zeiten, wo noch ein Obkircher, ein Dr. Frank, ein Kolb und
ankiere hier sahen. Wenn da politische Debatten aUsgesochten
worden sind, dann ist es meistens ziemlich scharf hergegangeu.
Aber eines hat man immer respektiert: die Autorität des Herrn
Präsidenten und -er Geschäftsordnung, (Sehr richtig! beim Zen-
trum und bei den Sozialdemokraten. Zuruf ) Ich habe ja gegen
keinen Menschen etwas gesagt. (Heiterkeit.) Auch der erstklas-
sigste Abgeordnete und auch der ergraute Führer der Partei hat,
well« der Präsident seine Klingel anrührte, Halt gemacht und,
wenn er seinen Ordnungsruf bezogen hat, ihn eben bezogen.
Von dieser guten alten Sitte wollen wir in der neuen Zeit nicht
abgehen (Sehr richtig! Sehr gut! beim Zentrum), und zwar
glaube ich: je kleiner eine Partei ist, umso mehr Wert mutz sie
daraus legen, daß diese Sitten Hochgehalten werden. (Sehr
richtig! beim Zentrum.)
j Es hat der Vorgänger, der vor mir einstens an diesem Platze
gesprochen hat, der Herr Geistliche Rat Wacker, als Abgeordneter
immer gesagt: Die Geschäftsordnung steht Ächt zuletzt im Dienste
de« Minoritäten. (Sehr gut! beim Zentrum.) Wenn sie aber
im Dienste der Minoritäten stehen soll, dann mutz sie von der
Minorität auch respektiert werden. (Sehr richtig beim Zentrum
und bei den Sozialdemokraten.) Ich wäre deswegen der Mei-
nung, daß dieser Vorgang von vorhin eine Lehre ist nach jeder
Sette hin. (Bravo!)
Und was für ein famoser Volksvertreter der Herr Abg. Mager
Ist, das hat er ja in der Vertretung der badischem Beämteninter-
essen in Berlin gezeigt, Wo er den deutschnationalen Klimbim
im S1 a d t o n mttmachte, während die anderen Landtatzsvertreter
um die höhere Ortsklasseneinteilung von 243 Orten mit dem
Keichssinanzministerium gerungen haben!
Eine Partei, dis derartige „Größen" an ihre Spitze stellt —
von der Honnef- rmd Lustschisshalleangelegrnheit wollen wir heute
»och nicht reden — richtet sich Mbst.
Wahlkreis, dieAM nicht schärnxn den Herrn Abg. M M e - '
'Nem als ihren SHtzenkanMalen aüfmaMierm Zu lqssetll Aus-
Mchiet den HerrnMager, sefftzn robüWmnd srechA-Auftreten
t.Mndtag so- Mnchch. aLO^iberbot, UW...bisher. da war. Wir
Mrzn nur die folKnde SMe aus deÄMnographischen Brotö-
ll Ner Rede, die -K Abg.'M.' SchsseH' M der 63. Sitzung des
'M 22. 9'. 192t. gehalten hat, wo
SW egen außerordcnflich lieb gewest
DMn (gemeint ist WA-»ftft. »„ft--
^nationalen Whg. Magier) MM vorgekormnen wäre.
...... ....mÄenttÄtMÄ» bet dett-SozialdemoKaten.) Ich
gehöre diesem Hause nun M Jahre an, Wir haben manche
die! Zetten, wo noch ein Obkircher, ein Dr. Frank, ein Kolb und
worden sind, dann ist es meistens ziemlich scharf hergegangeu.
Aus dew Parteileben.
Parteitag der württembergifchen Sozilademokratie.
Stuttgart, S. Okt. (Priv.-Tel.) Die sozialdemokratische
Partei Württenrvergs und Hohettzollerns hielt gestern und heute
ihren Landesparteitag ab. LandtagsaSgeordneter Höhmann
sprach über die württembergischs Politik und die Tätigkeit der
Landtagssraktton. Er nahm gegen den württembergischen Innen-
minister Graf teilweise scharf Stellung und mißbilligte auch die
Besetzung der Jugendämter. Diese Vorgänge zeigten,- welchen
Verlust au Einfluß cs bedeute, wenn die Sozialdemokratie nicht
wieder in die Regierung komme. Ueberhaupt klang aus seiner
Rede heraus, daß es die Sozialdemokratie in Württemberg heute
als einen Fehler betrachte, aus der Regierung ausgetreten zu
sein. Der Wiedereintritt in die Regierung könne aber nur ge-
schehen aus Grund bindender Abmachungen über die wichtigsten
politischen Fragen und aus derGmndlags des Festhaltens an der
Verfassung und der Republik.
Sonntag früh sprach der Reichsvorsitzende der Partei Her-
man» Müller über die politische Lage im Reich. Er besprach zu-
erst die wirtschaftliche Lage» wandte sich dann gegen die Regimenis-
setern und betonte, daß erst eine geistige Abrüstung bei uns und die
Sicherung der Demokratie auch Frankreich zur militärischen Ab-
rüstung veranlassen werde. Die deutschen RechtsSolschöWisten seien
die Büchsenspanner der französischen Chauvinisten. Der Ruf nach
einer Verbreiterung der Regierungsbasis sei berechtigt. Eine
KoalttionsNslitik sei heute das einzig Mögliche. Das Ideal sei
freilich die rein sozialistische Regierung, doch sei sie heute nicht
möglich, vielleicht nicht einmal wünschenswert. Für den Eintritt
der Deutschen Vottspartei in die Regierung sei Voraussetzung, daß
sie sich restlos für die Republik erkläre. In dem Programm der
künftigen Koalttionsregierung müsse der gesetzliche Schutz der Re-
publik, eine Justizreform und die Festlegung der deutschen Außen-
politik enthalten sein. Wirth und Rathenau triebe» die zur Zeit
einzig mögliche Politik. Er habe den Eindruck, daß es der Deut-
schen Vottspartei nicht so ernst sei mit ihrem Eintritt in die Re-
gierung. Wenn die Sozialdemokratie mit der Deutschen Volks-
partei Zusammenarbeiten solle, dann müssen doch erst die deutschnä-
ttonalsn Elemente ausgeschaltet werden. Die Sozialdemokratie sei
bereit, unter Umständen mit der Deutschen Volkspartei zusammen
zu arbeiten, sofern eine programmatische Einigung mit ihr mög-
lich sei. Die Partei werde auch in Preußen wieder in die Re-
gierung kommen müssen. Das Werk Severings müsse fortgesetzt
werden. Es wäre ein großer Vorteil, wenn für diese Beftrebun-
'' M MM o.»„ „10..- Hft. Me Die »WWKener Mühten NachrM
Weww/WWe.-'AgHMaWvorchtttag-.Dr.' Wiele, Wx Wegs» Höch-.
Verrats steckbrieflich OerfölM war, beim Versuche, in Salzburg Sie
Grenze zu überschreiten, von der bayerischen Grenzpolizei sestgr-
»ommen. Dr. Schiele wollte von Bayern nach Oesterreich aus-
reisen. In seinem aus eine» falschen Namen ausgestellten Paß
fehlte der Sichtvermerk, wodurch die Beamten aus ihn aufmerksam
Wurden. Der Festgenommene wurde nach München zur Polizei-
direktion gebracht. Uever seinen bisherigen Aufenthalt verweigert
er jede Auskunft. In Bayern scheint er sich jedoch nicht lange auf-
gehalien zu haben. Der Verhaftete wird heute dem Gericht einge-
liesert, wo er bis zur Entscheidung des Oberreichsanwaltes bleibe»
Wird. Ein Sonderblatt des bayerischen Polizeiblattes Veröffent-
licht den Steckbrief des Overreichsanwaltes gegen die acht Wege»
Hochverrats verfolgten Kapp-Putschisten. Dr. Schiele steht an
vierter Stelle. Für die Ergreifung eines der Gesuchten ist von der
.Reichsregierung eine Belohnung von 50 600 Ml. ausgesetzt.
Und irr den Armen liegen sich Leids . . . .
EXireme.
Berlin, 10. Okt. (Priv.-Tel. d. „Frks. Zig.") Die Hamburger
kommunistischen Schriftsteller Dr. Laufenserg und Wolff-
Heim, die bereits früher national bolschewistische Ge-
dankengänge vertreten hatten und deshalb mit der Partei in Zwie-
spalt geraten waren, haben jetzt eine „Parteilose Halbmonatsschrift
für klassenlose AM au- und revolutionäre Außenpolitik" gegründet.
Ueber die Tendenz dieser Schrift gibt der Leitartikel der ersten
Nummer Ausschluß, worin der Kampf gegen das Parlament und
die Demokratie gepredigt und zugleich der Zusammenschluß der
Rechts- und der Linksradikalen empfohlen wird. Von besonderem
Interesse ist der folgende Satz des Artikels:
„Die Zeit ist gekommen, wo die informatorische Fühlung-
nahme der revolutionären und nationalen Gruppen links und
rechts nicht mehr genügt. Ihr planmäßiges Zusam-
men w ir k e n ist das Gebot der Stunde."
Der ganze Inhalt der Zeitschrift ist, wie wir in der „Vossischen
Zeitung" lesen, mehr auf rechts- als auf linksradikale Gedanken-
gänge eingestellt Bezeichnend sind vor allem einHYmnusauf
Las System Kahr und Auseinandersetzungen über die Un-
durchsührbarkeit -er Vertragserfüllung, die mit einer lebhafte»
Bekämpfung des Gedankens der Besitzbesteuerung verknüpft sind.
Der Generalrat der WettvölkerbmidL-
gefeAschaftsn.
Berlin, 10. Okt. Am nächsten Donnerstag beginnt in Wien
die Tagung des Gcneralrates des Weltvervandes der Völkerbunds-
geseüschastm. Es werden über 50 Delegierte aus 22 verschiedenen
Ländern erwartet. Deutschland» wird durch die Vorsitzenden der
Deutschen Liga für Völkerbund, Gras Bernstorfs und Professor
Dr, Iäck h, vertreten sein, England durch Lord Robert Cecil,
Mr. David Davies und Sir Willoughbh Dickinson, Frankreich durch
Professor A u l a r d von der Sorbonne, Baron d'Estournelles
'und Abgeordneten Hennessy, Belgien durch Senator Lafon-
taine, Italien durch -en Senator Russini, Prof. Borghese
und Vercesi, die Schweiz durch Bundesrat Ador, Gerichtspräsi-
den Stlbernagel, Prof. Mercier und Bundesrat Sollander, Ungarn
durch den Grafen Apponhi, die Tschechoslowakei durch Osusky,
Schweden durch den Baron Adelswärd. Die österreichische Völker-
bundsliga, die durch den Grafen Meusdorfs, Pros. Redlich und
den früheren Botschafter Dumba vertreten ist, hat u. a. Anträge
betreffend den Minderheitenschutz, die Rohstossverteilung und den
finanziellen Wiederaufbau Mittel- und Osteuropas eingebracht.
Der Bundespräsident Harnisch und der Bundeskanzler Schober
veranstalten für die Delegationen Empfänge.
AuslÄRd»
Revolution in Chile und Peru.
Paris, 11. Okt. Aus London wird gemeldet: Aus Santiago
de Chile wird gemeldet, daß eine Revolution ausgevrochen
sein soll. —
London, 11. Okt. Berichte aus La Parce melden, daß in
den Provinzen Tumbers und Piuza in Peru eine Revolution aus-
gebrochen sei.
Die französische Presse zur Briandrede.
Die meisten Pariser Morgenblätter beschränken sich auf die
Wiedergabe des Wortlautes der Rede Briands, ohne eingehend
dazu Stellung zu nehmen. Die Wenigen Komentare, die indessen
bereits erschienen sind, lassen eine kleine Enttäuschung wahrneh-
men. Den meisten hat Briand zu wenig gesagt und etwas zu
unbestimmt gesprochen.
„Eclaire": Die Rede Briands ist klipp und klar und zeugt von
einer seltenen politische» Aufrichtigkeit.
„Home Livre": Die Sprache, die Briand geführt hat, wird
im ganzen Wohl mit warmer Zustimmung ausgenommen werden.
Der Ministerpräsident hat an den gemeinsamen und guten Willen
Kinder der Volks.
'!Roman von Alfred Bock. .«-MUMM
(2. Fortsetzung.)
Die Hände auf die schmerzende Brust gepreßt, ging Lene un-
ruhig hin und her. Ihr war so elend zu Mut. Beinah wie damals,
als sie ins Spital htnaufkam. Nein, doch anders. Ganz anders. —
Ihr starker Wille hielt sie aufrecht. Nur jetzt keine Schwäch-
lichkeit. Die Gedanken beieinander. Was tun? Eh's zu spät war,
den Schollas zu fassen. Gut. Aber wie? Der Schollas war
schlau, der hütete sich, ihr in den Schutz zu kommen. So ging sie
direkt ins Haus des Notars. Da mutzte sie ihn treffen. Tressen,
jawohl. Das war vielleicht alles. Er speiste sie mit ein Paar
Redensarten ab. Nun begehrte sie seinen Herrn zu sprechen. Tat
ihm leid, der Herr Notar war beschäftigt. Herrgott, sie hält ihn
erwürgen mögen. Und stand vor ihm wie eine Bettlerin. Das
war nichts mit dem Gang zum Notar. Was sonst? Es war keine
Zeit zu verlieren. Gleich ans Gericht? Das blieb als letztes.
Sie grübelte und grübelte. Ein Gedanke schoß ihr durch den
Kopf: wenn sie sich überwinden würde, der Stadlern Vorhaltung
zu machen! Der Stadlern? Warum nicht gar! Was harre sie mit
der Person zu schassen? Der würde sie nie die Schwelle betreten.
Da estimierte sie sich doch zu Hoch.
Sacht, sacht! Unglück und Stolz passen schlecht zusammen.
Bedachte man's recht, der Plan war nicht übel. Die Bellossen
meinte es gewiß gut, aber sie hörte nur das Geträtsch der Leute,
und daraus war nicht viel zu geben. Die Stadlern mochte sein,
Wer sie wollte,, ko arg war sie nicht auszudenken, daß nicht ein
Tröpfchen Gutheit in ihr stak. Spürte man erst das Tröpfchen
aus, war's Möglich, man brachte sie von dem Schollas ab.
Ein Schein Von Hoffnung glomm in Lene aus. Ihr Entschluß
War gefaßt. Morgen in der Mittagspause ging sie zu der Stad-
lern hin.
2.
Herr Vitus Brückner betrieb neben seinem Tapisseriegeschäft
rine Strumpswarenfabrtk. Das will besagen, er hatte im Oberge-
schoß seines Hinterhauses ein halbes Dutzend Strickmaschinen auf-
jestellt, die von ebensoviel Frauen und Mädchen bedient wurden.
.Ms Spezialität wurden Herrensocken und Frauenstrümpse mit
„Patentbördchen" fabriziert. Der Verkauf der Fabrikate, soweit
diese nicht im Ladengeschäft Verwendung sanden, geschah durch
Beauftragte in größeren Städten. Herr Brückner, ein angehender
Fünfziger mit stattlichem Bauch und feistem Gesicht, aus dem zwei
winzige Aeuglein lugten, war in der Stadt als guter Gesellschafter
und Witzbold geschätzt. In Geschässsachen verstand er keine»
Spatz. Nicht allein, daß er für die vielerlei Artikel seiner Tapis-
seriehandlung gepfefferte Preise nahm, ging er als Strumpfwaren-
sabrikant von dem Grundsätze aus, seine Maschinen und seine Ar-
beiterinnen als gleichwertig zu betrachten, dergestalt, daß er aus
beiden Möglichst viel Kapital schlagen müsse. Da ihm in dem ent-
legenen Städtchen keinerlei Konkurrenz in die Qrrere kam, konnte
er es seit Jahren wagen, an ein und demselben niedrigen Lohn»
satz festzuhalten. Trotz seiner Gewinnsucht und allerlei Tücken
war Herr Vitus humaner Regungen fähig. Er war Präsident
des Armenvereins und suchte von Amtswegen die Unglücklichen
und Enterbten auf, die in keiner Gemeinde fehlen. Daß er dabei
mancher erschütterten Existenz in seinem Betrieb zu Brot verhalf,
wurde ihm von seinen Mitbürgern hoch angerechnet. Er ließ das
Mäntelchen der Nächstenliebe mit der Würde eines Granden um
seine breiten Schultern flattern und spickte seinen Beutel, denn
jene Arbeitskräfte waren fügsam und billig. —
Als Veteranin in der Fabrik des Herrn Vitus stand die Kien-
holzen an der Strickmaschine. Ihr Mann, ein windiger Pumpen-
macher, hatte eines Tages das Weite gesucht und die Frau in Not
zurückgelassen. Ihrem Alter und ihrer Erfahrung gemäß war sie
tonagebend in der Arbeitsstube. Ihr zunächst war Witfrau Rei-
del, die für drei schulpflichtige Kinder zu sorgen hatte. Sie war
eine hübsche dralle Person, die deswegen mancherlei Anfechtungen
hatte, aber immer standhaft geblieben war. Als" Dritte folgte die
„scheppe" Krämern, deren Mann als Treiber bei einer Jagd um
das Augenlicht gekommen und mit seiner Entschädigungsklage ab-
gewiesen worden war. In fortlaufender Reihe hatten dse jungen
Mädchen ihren Platz. Zuerst das Lieschen Hormarm, eine Waise,
die bei der Witwe Frau Reidel wohnte, alsdann die Cordula
Schmitz, einer Botenfrau Tochter, zuletzt die Lene Launsbach, dis
nach langem unfreiwilligem Feiern heute wieder erschienen war.
Es ist vormittag. Durch die Eben Fensterscheiben des Ar-
beitsraumes fällt gedämpft das Helle Tageslicht. Die Maschinen
sind in vollem Gang. Man hört den lauten Anschlag der „Schlit-
ten", das leise Knittern der Nadeln. Gesprochen wird soviel wie
nichts, denn die Bedienung der Maschinen erheischt Aufmerk-
samkeit.
Punkt neu» Mr bimmelt iw Kos WAHHellchen sind kündigt
die Frühstückspause an. Einige sprengen die eben fertige Ware
von den Nadeln ab, andere drehen die Kurbeln aus und halten
Kamm und Gewichte fest. Nach und nach nehmen alle an roh ge-
zimertem Tische Platz und verzehren bedächtig ihr kärgliches Früh-
stück. Nur die Cordula Schmitz itzt nichts. Sie hat gestern ihren
Namenstag gefeiert. Da hat ihr Schatz was drausgehen lassen.
Heut ist ihr katzenjämmerlich zu Mut.
,,E' doch ein Muffel Brot", rät ihr die Kienholzen, „'s wird
dir ja blimerant vor den Augen."
Die Schmitz schüttelt den Kops.
„Ich bring' kein' Bissen herunter."
„Ja, ja, das kommt von der Strunzerei."
„Es soll sich keins zum Essen zwingen", gibt die Reideln ihre
Meinung kund.
„So einmal richtig gehungert, ist sehr gesund", spricht die
scheppe Krämern.
„Hast du's schon probiert?" fragt die Kienholzen.
Und ob. Tu' deinem Magen die Gunn einmal an und lass'
ihm hin Lag Ruh. Was glaubst du, wie der sich bei dir bedankt?".
„So ist's", bekräftigt die Reideln.
„Lene, du mußt's wissen", wendet sich die Kienholzen cm die
junge Genossin, die mit dem Rücken an die Wand gelehnt ihr
Milchbrötchen verspeist. „Du hast drei Monat lang nichts zu
.acheln gekriegt."
„Wo wär' ich wohl da!" sagt Lene, ohne ihre Stellung zu ber-
Sndem. „Das sind so Geschwätzer unter den Leut', als müßt' eins
Hunger leiden im Spital.
„Ja, ja, so wird gesprochen."
„Wann ich's mein Lebtag nicht schlechter krieg wie droben,
hernach will ich zufrieden sein." , -
„Was heißt das?" spöttelt die scheppe Krämern, „du kriegst's
Vielleicht noch besser."
!,Vielleicht, vielleicht auch nicht."
„No wann du erst Frau Notarschreiber bist!"
Erbleichend richtet sich Lene aus.
„Dein' Hohn kannst du für dich behalten!"
„'s ist auch wahr", pflichtet die Neideln der Lene bei Md
schiebt einen Brocken Brot in Len Mund,
„So?" fährt die Kienholzen plötzlich los. „Wer hat dann den
Ton hier eingesührt? Ich möcht' wissen, so eine Hochnäsigkeit.
Und steckt nix dahinter. Erst Vertuckeln mit dem Schatz, als
Wunder was für ein großes Tier. Gott sei's getrommelt und ge-
das Programm seiner WtschwMheitfthÄMsgt. , , /
„ReKubligue Franekise": Die Rede von St. Nazarie gibt uns
keine Klarheit Wer irgendwelche schwebenden großen Politischen
Fragen. Die Rede ist von einschläsernder Wirkung. Sie bringt
nichts Neues, besonders nichts Wer die Reise nach Washington.
Wir glauben, daß die Kammer sich mit einem so armseligen Expose
nicht begnügen wird.
„Le Peuplr": Der Ministerpräsident hat, der deutschen Negie-
rung das Vertrauen ausgesprochen. Er hat zugegeben, daß die
Verpflichtungen Deutschlands bisher erfüllt worden sind. Er hat
aber dem Gedanken nicht die logische Folge gegeben. Geschah
dies ebenfalls aus Klugheit?
„Oeuvre": Das erste Mül hat der Ministerpräsident eine
optimistische Rede gehalten.
„Figaro": Der Ministerpräsident hat gestern die Wahrheit
in Erinnerung gerufen, die man ständig vergißt. Der Versailler
Vertrag ist nicht nur von 2 unabhängigen Nationen geschloffen
worden, sondern er ist Deutschland von einem Bunde von Mäch-
ten auserlegt, die, um den Vertrag anzuwenden, verbunden bleiben
müssen. Wenn eine der Mächte sich von den anderen isoliert, so
verzichtet sie daraus, sich des gemeinsamen Instrumentes zu be-
dienen. Wir sind deshalb gezwungen, mit unseren Bundesbrü-
dern im Einvernehmen zu bleiben, wenn wir uns der Möglich-
keit der Erfüllung des Vertrages nicht begeben wollen.
„Humanste": Briand hat Worte gefunden, die wir erwartet
haben, und zwar diejenigen, die niemand täuschen und nichts
sagen. Wir greisen nur das Geständnis des sranzösischen Mini-
sterpräsidenten heraus, das den Grundsatz bestätigt hat, den wir
immer bestätigt haben, daß die wirtschaftlichen Tatsachen eins
Politik des solidarischen Einvernehmens zwischen den Nationen
herbeiführen müssen.
„Ere Rouvelle": Die Rede Briands übersteigt die Bedeutung
-er traditionellen Botschaft vor der Eröffnung der Parlamentärs
schen Session. Die Rede Briands ist mehr alS ein Mintsterpro-
gramm, mehr als eine Appologie und mehr als ein Aufruf zur
Eintracht. Briand hat nicht als Sieger gesprochen, der mit den
Sporen klirrt, auch nicht als Geschäftsmann, der seine Teilhaber
einwickeln will, auch nicht als Diplomat mit nationalen Vor-
urteilen, in einem Wort gesagt, Briand hat als Europäer gespro-
chen. Er hat die Einsicht gehabt und gewagt zu sagen, daß alle
menschliche Voraussicht durch die Ereignisse überholt wurde, dass
man eine neue Politik machen müsse, die de« Bedürfnisse« eine«
neue» Welt angepatzt ist. Die wichtigen Grundsätze dieser neuen
Politik dürfen nicht nur aus einzelnen Staat, sondern auf ei«
ganzes Staatenshstem angewenbet werden. Die Interessen Frank-
reichs können von denen Europas nicht losgelöst werden, und die
ganze Welt, die an der Wiederherstellung Europas in gleichem
Grade interessiert ist, müsse daran Helsen die Grundsätze dieser Wie-
derherstellung sestzusetzen. Diese Rede war die Sprache eines
großen Politikers.
Badische Politik.
U.S.P.-KrmdrdirLen.
Nunmehr Haven auch die Unabhängigen ihre Landtagskanbi-
daten bekannt gegeben. Die Landesliste beginnt mit dem Name«
Rudolf Freidhof - Mannheim, ihm folgen Frieda Unger-
Lahr und Paul Spengler-Pforzheim. An der Spitze der
Karlsruher Liste steht Stadtrat Jung-Karlsruhe, an der Spitze
der Mannheimer Liste Johann Brümmer-Mannheim. Für
den 7. Wahlkreis (Heidelberg-Mosbach) sind folgende Kandidaten
aufgestellt:
1. Martin Jäger, Schmied, Kirchheim b. H.
2. August Zeller, Schlosser, Rohrbach b. H.
3. Michael Vogel, Zigarrenmacher, W a l l d o rs.
4. Wilhelm Schmidt, Spengler, Heidelberg.
5. Hans Brümmer, Gewerkschaftsbeamter, Mannheim.
6. Math. Müller, Fabrikarbeiter, Ziegelhausen.
7. Josef Herbon, Privatmann, Kohlhof.
8. Karl Kraus, Hilfsfchaffner, Unterschüpf.
9. Albin März, Gewerkschaftsbeamter, Heidelberg.
10. Elisabeth Hör 1h, ohne Berus, Heidelberg.
11. Gerhard Müller, Eifenbahnschaffner, Sachsenflur.
12. Christian Oehlschläger, Schmied, Kirchheim b. H.
13. Emil Bauer, Schneider, Rippberg.
14. Karl Wilhelm Weber, Schreiner, Leimen.
15. Franz Pfisterer, Schlosser, Wieblingen.
16. Josef Schupp, Schreiner, Heidelberg.
Die Kandidaten der ReaMon.
Daß der edle Landbund gar nichts anderes als ein Ableger
und Stimmenfang der deutschnationalen Reaktion ist, wird schon
zur Genüge dadurch gekennzeichnet, daß als Spitzenkandidat des
7. Wahlkreises vom Landbund der bisherige deutschmrtionale
Landtagsabg. Her 1 le - Sachsenflur ausgestellt ist.
badischen Land
heißt?!
-- ^Es Wäre
'LW Szene von . l
w
ÄärGö-Stück leistenftßch Mer'^it>^entschnMöüaM^W
7- WMkreis, dieAM nicht schämxn den Herrn Abg. MM-er-Hei-
delbeHg Ms ihren Spitzet-k-m'oida:sn ausmarWiercn zu krissc». Aus-
_ __
koY.Hr Rede, die M Abg. 'M?S chö'feL'M der 63. Sitzung des
es u. a,
en, wenst
hin (gemeint ist M, wüste Auftreten des
dcUtschnMvnalen Wg. Mftgtzr) nW vorgckomMen wäre.
(Sßhr richtig beim ZenttuÄ ÄÄ> bei deÄSozialdemoftaten.) Ich
gehöre diesem Hause nun 16 Jahre nm Wir haben manche
heftige, schwere Debatten hier durchgefochten. Ich erinnere an
die Zeiten, wo noch ein Obkircher, ein Dr. Frank, ein Kolb und
ankiere hier sahen. Wenn da politische Debatten aUsgesochten
worden sind, dann ist es meistens ziemlich scharf hergegangeu.
Aber eines hat man immer respektiert: die Autorität des Herrn
Präsidenten und -er Geschäftsordnung, (Sehr richtig! beim Zen-
trum und bei den Sozialdemokraten. Zuruf ) Ich habe ja gegen
keinen Menschen etwas gesagt. (Heiterkeit.) Auch der erstklas-
sigste Abgeordnete und auch der ergraute Führer der Partei hat,
well« der Präsident seine Klingel anrührte, Halt gemacht und,
wenn er seinen Ordnungsruf bezogen hat, ihn eben bezogen.
Von dieser guten alten Sitte wollen wir in der neuen Zeit nicht
abgehen (Sehr richtig! Sehr gut! beim Zentrum), und zwar
glaube ich: je kleiner eine Partei ist, umso mehr Wert mutz sie
daraus legen, daß diese Sitten Hochgehalten werden. (Sehr
richtig! beim Zentrum.)
j Es hat der Vorgänger, der vor mir einstens an diesem Platze
gesprochen hat, der Herr Geistliche Rat Wacker, als Abgeordneter
immer gesagt: Die Geschäftsordnung steht Ächt zuletzt im Dienste
de« Minoritäten. (Sehr gut! beim Zentrum.) Wenn sie aber
im Dienste der Minoritäten stehen soll, dann mutz sie von der
Minorität auch respektiert werden. (Sehr richtig beim Zentrum
und bei den Sozialdemokraten.) Ich wäre deswegen der Mei-
nung, daß dieser Vorgang von vorhin eine Lehre ist nach jeder
Sette hin. (Bravo!)
Und was für ein famoser Volksvertreter der Herr Abg. Mager
Ist, das hat er ja in der Vertretung der badischem Beämteninter-
essen in Berlin gezeigt, Wo er den deutschnationalen Klimbim
im S1 a d t o n mttmachte, während die anderen Landtatzsvertreter
um die höhere Ortsklasseneinteilung von 243 Orten mit dem
Keichssinanzministerium gerungen haben!
Eine Partei, dis derartige „Größen" an ihre Spitze stellt —
von der Honnef- rmd Lustschisshalleangelegrnheit wollen wir heute
»och nicht reden — richtet sich Mbst.
Wahlkreis, dieAM nicht schärnxn den Herrn Abg. M M e - '
'Nem als ihren SHtzenkanMalen aüfmaMierm Zu lqssetll Aus-
Mchiet den HerrnMager, sefftzn robüWmnd srechA-Auftreten
t.Mndtag so- Mnchch. aLO^iberbot, UW...bisher. da war. Wir
Mrzn nur die folKnde SMe aus deÄMnographischen Brotö-
ll Ner Rede, die -K Abg.'M.' SchsseH' M der 63. Sitzung des
'M 22. 9'. 192t. gehalten hat, wo
SW egen außerordcnflich lieb gewest
DMn (gemeint ist WA-»ftft. »„ft--
^nationalen Whg. Magier) MM vorgekormnen wäre.
...... ....mÄenttÄtMÄ» bet dett-SozialdemoKaten.) Ich
gehöre diesem Hause nun M Jahre an, Wir haben manche
die! Zetten, wo noch ein Obkircher, ein Dr. Frank, ein Kolb und
worden sind, dann ist es meistens ziemlich scharf hergegangeu.
Aus dew Parteileben.
Parteitag der württembergifchen Sozilademokratie.
Stuttgart, S. Okt. (Priv.-Tel.) Die sozialdemokratische
Partei Württenrvergs und Hohettzollerns hielt gestern und heute
ihren Landesparteitag ab. LandtagsaSgeordneter Höhmann
sprach über die württembergischs Politik und die Tätigkeit der
Landtagssraktton. Er nahm gegen den württembergischen Innen-
minister Graf teilweise scharf Stellung und mißbilligte auch die
Besetzung der Jugendämter. Diese Vorgänge zeigten,- welchen
Verlust au Einfluß cs bedeute, wenn die Sozialdemokratie nicht
wieder in die Regierung komme. Ueberhaupt klang aus seiner
Rede heraus, daß es die Sozialdemokratie in Württemberg heute
als einen Fehler betrachte, aus der Regierung ausgetreten zu
sein. Der Wiedereintritt in die Regierung könne aber nur ge-
schehen aus Grund bindender Abmachungen über die wichtigsten
politischen Fragen und aus derGmndlags des Festhaltens an der
Verfassung und der Republik.
Sonntag früh sprach der Reichsvorsitzende der Partei Her-
man» Müller über die politische Lage im Reich. Er besprach zu-
erst die wirtschaftliche Lage» wandte sich dann gegen die Regimenis-
setern und betonte, daß erst eine geistige Abrüstung bei uns und die
Sicherung der Demokratie auch Frankreich zur militärischen Ab-
rüstung veranlassen werde. Die deutschen RechtsSolschöWisten seien
die Büchsenspanner der französischen Chauvinisten. Der Ruf nach
einer Verbreiterung der Regierungsbasis sei berechtigt. Eine
KoalttionsNslitik sei heute das einzig Mögliche. Das Ideal sei
freilich die rein sozialistische Regierung, doch sei sie heute nicht
möglich, vielleicht nicht einmal wünschenswert. Für den Eintritt
der Deutschen Vottspartei in die Regierung sei Voraussetzung, daß
sie sich restlos für die Republik erkläre. In dem Programm der
künftigen Koalttionsregierung müsse der gesetzliche Schutz der Re-
publik, eine Justizreform und die Festlegung der deutschen Außen-
politik enthalten sein. Wirth und Rathenau triebe» die zur Zeit
einzig mögliche Politik. Er habe den Eindruck, daß es der Deut-
schen Vottspartei nicht so ernst sei mit ihrem Eintritt in die Re-
gierung. Wenn die Sozialdemokratie mit der Deutschen Volks-
partei Zusammenarbeiten solle, dann müssen doch erst die deutschnä-
ttonalsn Elemente ausgeschaltet werden. Die Sozialdemokratie sei
bereit, unter Umständen mit der Deutschen Volkspartei zusammen
zu arbeiten, sofern eine programmatische Einigung mit ihr mög-
lich sei. Die Partei werde auch in Preußen wieder in die Re-
gierung kommen müssen. Das Werk Severings müsse fortgesetzt
werden. Es wäre ein großer Vorteil, wenn für diese Beftrebun-
'' M MM o.»„ „10..- Hft. Me Die »WWKener Mühten NachrM
Weww/WWe.-'AgHMaWvorchtttag-.Dr.' Wiele, Wx Wegs» Höch-.
Verrats steckbrieflich OerfölM war, beim Versuche, in Salzburg Sie
Grenze zu überschreiten, von der bayerischen Grenzpolizei sestgr-
»ommen. Dr. Schiele wollte von Bayern nach Oesterreich aus-
reisen. In seinem aus eine» falschen Namen ausgestellten Paß
fehlte der Sichtvermerk, wodurch die Beamten aus ihn aufmerksam
Wurden. Der Festgenommene wurde nach München zur Polizei-
direktion gebracht. Uever seinen bisherigen Aufenthalt verweigert
er jede Auskunft. In Bayern scheint er sich jedoch nicht lange auf-
gehalien zu haben. Der Verhaftete wird heute dem Gericht einge-
liesert, wo er bis zur Entscheidung des Oberreichsanwaltes bleibe»
Wird. Ein Sonderblatt des bayerischen Polizeiblattes Veröffent-
licht den Steckbrief des Overreichsanwaltes gegen die acht Wege»
Hochverrats verfolgten Kapp-Putschisten. Dr. Schiele steht an
vierter Stelle. Für die Ergreifung eines der Gesuchten ist von der
.Reichsregierung eine Belohnung von 50 600 Ml. ausgesetzt.
Und irr den Armen liegen sich Leids . . . .
EXireme.
Berlin, 10. Okt. (Priv.-Tel. d. „Frks. Zig.") Die Hamburger
kommunistischen Schriftsteller Dr. Laufenserg und Wolff-
Heim, die bereits früher national bolschewistische Ge-
dankengänge vertreten hatten und deshalb mit der Partei in Zwie-
spalt geraten waren, haben jetzt eine „Parteilose Halbmonatsschrift
für klassenlose AM au- und revolutionäre Außenpolitik" gegründet.
Ueber die Tendenz dieser Schrift gibt der Leitartikel der ersten
Nummer Ausschluß, worin der Kampf gegen das Parlament und
die Demokratie gepredigt und zugleich der Zusammenschluß der
Rechts- und der Linksradikalen empfohlen wird. Von besonderem
Interesse ist der folgende Satz des Artikels:
„Die Zeit ist gekommen, wo die informatorische Fühlung-
nahme der revolutionären und nationalen Gruppen links und
rechts nicht mehr genügt. Ihr planmäßiges Zusam-
men w ir k e n ist das Gebot der Stunde."
Der ganze Inhalt der Zeitschrift ist, wie wir in der „Vossischen
Zeitung" lesen, mehr auf rechts- als auf linksradikale Gedanken-
gänge eingestellt Bezeichnend sind vor allem einHYmnusauf
Las System Kahr und Auseinandersetzungen über die Un-
durchsührbarkeit -er Vertragserfüllung, die mit einer lebhafte»
Bekämpfung des Gedankens der Besitzbesteuerung verknüpft sind.
Der Generalrat der WettvölkerbmidL-
gefeAschaftsn.
Berlin, 10. Okt. Am nächsten Donnerstag beginnt in Wien
die Tagung des Gcneralrates des Weltvervandes der Völkerbunds-
geseüschastm. Es werden über 50 Delegierte aus 22 verschiedenen
Ländern erwartet. Deutschland» wird durch die Vorsitzenden der
Deutschen Liga für Völkerbund, Gras Bernstorfs und Professor
Dr, Iäck h, vertreten sein, England durch Lord Robert Cecil,
Mr. David Davies und Sir Willoughbh Dickinson, Frankreich durch
Professor A u l a r d von der Sorbonne, Baron d'Estournelles
'und Abgeordneten Hennessy, Belgien durch Senator Lafon-
taine, Italien durch -en Senator Russini, Prof. Borghese
und Vercesi, die Schweiz durch Bundesrat Ador, Gerichtspräsi-
den Stlbernagel, Prof. Mercier und Bundesrat Sollander, Ungarn
durch den Grafen Apponhi, die Tschechoslowakei durch Osusky,
Schweden durch den Baron Adelswärd. Die österreichische Völker-
bundsliga, die durch den Grafen Meusdorfs, Pros. Redlich und
den früheren Botschafter Dumba vertreten ist, hat u. a. Anträge
betreffend den Minderheitenschutz, die Rohstossverteilung und den
finanziellen Wiederaufbau Mittel- und Osteuropas eingebracht.
Der Bundespräsident Harnisch und der Bundeskanzler Schober
veranstalten für die Delegationen Empfänge.
AuslÄRd»
Revolution in Chile und Peru.
Paris, 11. Okt. Aus London wird gemeldet: Aus Santiago
de Chile wird gemeldet, daß eine Revolution ausgevrochen
sein soll. —
London, 11. Okt. Berichte aus La Parce melden, daß in
den Provinzen Tumbers und Piuza in Peru eine Revolution aus-
gebrochen sei.
Die französische Presse zur Briandrede.
Die meisten Pariser Morgenblätter beschränken sich auf die
Wiedergabe des Wortlautes der Rede Briands, ohne eingehend
dazu Stellung zu nehmen. Die Wenigen Komentare, die indessen
bereits erschienen sind, lassen eine kleine Enttäuschung wahrneh-
men. Den meisten hat Briand zu wenig gesagt und etwas zu
unbestimmt gesprochen.
„Eclaire": Die Rede Briands ist klipp und klar und zeugt von
einer seltenen politische» Aufrichtigkeit.
„Home Livre": Die Sprache, die Briand geführt hat, wird
im ganzen Wohl mit warmer Zustimmung ausgenommen werden.
Der Ministerpräsident hat an den gemeinsamen und guten Willen
Kinder der Volks.
'!Roman von Alfred Bock. .«-MUMM
(2. Fortsetzung.)
Die Hände auf die schmerzende Brust gepreßt, ging Lene un-
ruhig hin und her. Ihr war so elend zu Mut. Beinah wie damals,
als sie ins Spital htnaufkam. Nein, doch anders. Ganz anders. —
Ihr starker Wille hielt sie aufrecht. Nur jetzt keine Schwäch-
lichkeit. Die Gedanken beieinander. Was tun? Eh's zu spät war,
den Schollas zu fassen. Gut. Aber wie? Der Schollas war
schlau, der hütete sich, ihr in den Schutz zu kommen. So ging sie
direkt ins Haus des Notars. Da mutzte sie ihn treffen. Tressen,
jawohl. Das war vielleicht alles. Er speiste sie mit ein Paar
Redensarten ab. Nun begehrte sie seinen Herrn zu sprechen. Tat
ihm leid, der Herr Notar war beschäftigt. Herrgott, sie hält ihn
erwürgen mögen. Und stand vor ihm wie eine Bettlerin. Das
war nichts mit dem Gang zum Notar. Was sonst? Es war keine
Zeit zu verlieren. Gleich ans Gericht? Das blieb als letztes.
Sie grübelte und grübelte. Ein Gedanke schoß ihr durch den
Kopf: wenn sie sich überwinden würde, der Stadlern Vorhaltung
zu machen! Der Stadlern? Warum nicht gar! Was harre sie mit
der Person zu schassen? Der würde sie nie die Schwelle betreten.
Da estimierte sie sich doch zu Hoch.
Sacht, sacht! Unglück und Stolz passen schlecht zusammen.
Bedachte man's recht, der Plan war nicht übel. Die Bellossen
meinte es gewiß gut, aber sie hörte nur das Geträtsch der Leute,
und daraus war nicht viel zu geben. Die Stadlern mochte sein,
Wer sie wollte,, ko arg war sie nicht auszudenken, daß nicht ein
Tröpfchen Gutheit in ihr stak. Spürte man erst das Tröpfchen
aus, war's Möglich, man brachte sie von dem Schollas ab.
Ein Schein Von Hoffnung glomm in Lene aus. Ihr Entschluß
War gefaßt. Morgen in der Mittagspause ging sie zu der Stad-
lern hin.
2.
Herr Vitus Brückner betrieb neben seinem Tapisseriegeschäft
rine Strumpswarenfabrtk. Das will besagen, er hatte im Oberge-
schoß seines Hinterhauses ein halbes Dutzend Strickmaschinen auf-
jestellt, die von ebensoviel Frauen und Mädchen bedient wurden.
.Ms Spezialität wurden Herrensocken und Frauenstrümpse mit
„Patentbördchen" fabriziert. Der Verkauf der Fabrikate, soweit
diese nicht im Ladengeschäft Verwendung sanden, geschah durch
Beauftragte in größeren Städten. Herr Brückner, ein angehender
Fünfziger mit stattlichem Bauch und feistem Gesicht, aus dem zwei
winzige Aeuglein lugten, war in der Stadt als guter Gesellschafter
und Witzbold geschätzt. In Geschässsachen verstand er keine»
Spatz. Nicht allein, daß er für die vielerlei Artikel seiner Tapis-
seriehandlung gepfefferte Preise nahm, ging er als Strumpfwaren-
sabrikant von dem Grundsätze aus, seine Maschinen und seine Ar-
beiterinnen als gleichwertig zu betrachten, dergestalt, daß er aus
beiden Möglichst viel Kapital schlagen müsse. Da ihm in dem ent-
legenen Städtchen keinerlei Konkurrenz in die Qrrere kam, konnte
er es seit Jahren wagen, an ein und demselben niedrigen Lohn»
satz festzuhalten. Trotz seiner Gewinnsucht und allerlei Tücken
war Herr Vitus humaner Regungen fähig. Er war Präsident
des Armenvereins und suchte von Amtswegen die Unglücklichen
und Enterbten auf, die in keiner Gemeinde fehlen. Daß er dabei
mancher erschütterten Existenz in seinem Betrieb zu Brot verhalf,
wurde ihm von seinen Mitbürgern hoch angerechnet. Er ließ das
Mäntelchen der Nächstenliebe mit der Würde eines Granden um
seine breiten Schultern flattern und spickte seinen Beutel, denn
jene Arbeitskräfte waren fügsam und billig. —
Als Veteranin in der Fabrik des Herrn Vitus stand die Kien-
holzen an der Strickmaschine. Ihr Mann, ein windiger Pumpen-
macher, hatte eines Tages das Weite gesucht und die Frau in Not
zurückgelassen. Ihrem Alter und ihrer Erfahrung gemäß war sie
tonagebend in der Arbeitsstube. Ihr zunächst war Witfrau Rei-
del, die für drei schulpflichtige Kinder zu sorgen hatte. Sie war
eine hübsche dralle Person, die deswegen mancherlei Anfechtungen
hatte, aber immer standhaft geblieben war. Als" Dritte folgte die
„scheppe" Krämern, deren Mann als Treiber bei einer Jagd um
das Augenlicht gekommen und mit seiner Entschädigungsklage ab-
gewiesen worden war. In fortlaufender Reihe hatten dse jungen
Mädchen ihren Platz. Zuerst das Lieschen Hormarm, eine Waise,
die bei der Witwe Frau Reidel wohnte, alsdann die Cordula
Schmitz, einer Botenfrau Tochter, zuletzt die Lene Launsbach, dis
nach langem unfreiwilligem Feiern heute wieder erschienen war.
Es ist vormittag. Durch die Eben Fensterscheiben des Ar-
beitsraumes fällt gedämpft das Helle Tageslicht. Die Maschinen
sind in vollem Gang. Man hört den lauten Anschlag der „Schlit-
ten", das leise Knittern der Nadeln. Gesprochen wird soviel wie
nichts, denn die Bedienung der Maschinen erheischt Aufmerk-
samkeit.
Punkt neu» Mr bimmelt iw Kos WAHHellchen sind kündigt
die Frühstückspause an. Einige sprengen die eben fertige Ware
von den Nadeln ab, andere drehen die Kurbeln aus und halten
Kamm und Gewichte fest. Nach und nach nehmen alle an roh ge-
zimertem Tische Platz und verzehren bedächtig ihr kärgliches Früh-
stück. Nur die Cordula Schmitz itzt nichts. Sie hat gestern ihren
Namenstag gefeiert. Da hat ihr Schatz was drausgehen lassen.
Heut ist ihr katzenjämmerlich zu Mut.
,,E' doch ein Muffel Brot", rät ihr die Kienholzen, „'s wird
dir ja blimerant vor den Augen."
Die Schmitz schüttelt den Kops.
„Ich bring' kein' Bissen herunter."
„Ja, ja, das kommt von der Strunzerei."
„Es soll sich keins zum Essen zwingen", gibt die Reideln ihre
Meinung kund.
„So einmal richtig gehungert, ist sehr gesund", spricht die
scheppe Krämern.
„Hast du's schon probiert?" fragt die Kienholzen.
Und ob. Tu' deinem Magen die Gunn einmal an und lass'
ihm hin Lag Ruh. Was glaubst du, wie der sich bei dir bedankt?".
„So ist's", bekräftigt die Reideln.
„Lene, du mußt's wissen", wendet sich die Kienholzen cm die
junge Genossin, die mit dem Rücken an die Wand gelehnt ihr
Milchbrötchen verspeist. „Du hast drei Monat lang nichts zu
.acheln gekriegt."
„Wo wär' ich wohl da!" sagt Lene, ohne ihre Stellung zu ber-
Sndem. „Das sind so Geschwätzer unter den Leut', als müßt' eins
Hunger leiden im Spital.
„Ja, ja, so wird gesprochen."
„Wann ich's mein Lebtag nicht schlechter krieg wie droben,
hernach will ich zufrieden sein." , -
„Was heißt das?" spöttelt die scheppe Krämern, „du kriegst's
Vielleicht noch besser."
!,Vielleicht, vielleicht auch nicht."
„No wann du erst Frau Notarschreiber bist!"
Erbleichend richtet sich Lene aus.
„Dein' Hohn kannst du für dich behalten!"
„'s ist auch wahr", pflichtet die Neideln der Lene bei Md
schiebt einen Brocken Brot in Len Mund,
„So?" fährt die Kienholzen plötzlich los. „Wer hat dann den
Ton hier eingesührt? Ich möcht' wissen, so eine Hochnäsigkeit.
Und steckt nix dahinter. Erst Vertuckeln mit dem Schatz, als
Wunder was für ein großes Tier. Gott sei's getrommelt und ge-