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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 1/2
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Witte, Fritz: Unsere Aufgaben: Ein offenes Wort über die kirchliche Kunst an Klerus und Laien
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0023

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1913. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1/2.

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über kurz oder lang aus irgend welchen
Gründen der Betonbau auch auf das kirch-
liche Kunstgebiet mehr und mehr übergreifen
wird. Würde der Architekt etwa zu den
traditionellen Formen der Gotik greifen,
wenn ihm die Aufgabe gestellt wäre, eine
Betonkirche zu bauen? Die Gotik bedient
sich eines fein durchdachten Strebesystemes,
legt treppenförmig sich verjüngende Strebe-
pfeiler vor
die aufstre-
benden Wän-
de des Hoch-
schiffes, da-
mit sie den
Druck der
lastenden Ge-
wölbe auf-
nehmen, sie
führt Strebe-
bögen von
den Mauern
der Seiten-
schiffe empor
zu den Hoch-
schiffwänden,
damit sie
wie mit star-
ken Schul-
tern gegen die
Druckzentren
sich stem-
men. Deckt
nun heute
der Architekt
seine Kir-
chenschiffe
mit leichten,
auf Draht ver-
putzten Ra-
bitzgewölben
ab, ist er

Abb. 9. Altar der Pfarrkirche in Bielefeld von Karl Moritz, Köln.

dann berechtigt, einzig, um reiche „goti-
sche" Bauformen zu erzielen, seine leichten,
von den Wänden allein gut zu tragenden
Gewölbe durch Strebesysteme aller Art zu
stützen? Es wäre das eine Unwahrheit, eine
Lüge, und was immer unwahr ist, das ist
auch unschön.

Bleiben wir bei der Architektur. Man
streitet in unseren Tagen darüber, ob es gut
getan war, den Dom zu Köln ringsum frei
zu legen; ob man sich auch des Bildes bewußt

bleibt, das die mittelalterlichen Giebelhäuser
einstmals abgaben in ihrer verkleinerten
Wiedergabe des ragenden Kirchengebäudes
selbst? In eine wesentlich andere Umgebung
wurden die gotischen Kirchen des Mittel-
alters hineingesetzt wie heute. Man gehe in
die malerischen, vom Brecheisen wenig be-
rührten Städte und Städtchen von Süd-
deutschland, Thüringen usf., um zu sehen,

wie das Mit-
telalter die
Kirchen als
integrieren-
den Bestand-
teil in seine
Platz- und
Straßenfor-
mationen ein-
stellte, wie
die Häuser
der Umge-
bung nichts
anderes sind
und sein wol-
len wie ein
feingespielter
Auftakt in
dem Schön-
heitshymnus
eines einheit-
lichen Stadt-
und Straüen-
bildes. Heute
ragen sowohl
öde als auch
schöne Wohn-
häuser und
Mietskaser-
nen, „Zins-
häuser" um
den Kirch-
platz auf,
vielfach auch — Gott sei's gedankt —
feinempfundene, aus den Bedürfnissen und
der richtigen Bewertung der Leistungsfähig-
keit und Stellung des Bauherrn heraus kon-
struierte behagliche Wohnräume, Bürger-
häuser, Paläste der Finanzwelt, breit ge-
zogen, schlicht, ohne überflüssigen, auf-
dringlichen Schmuck und gerade deswegen
so unendlich viel reicher als die verstuckten
Renaissancepaläste. Hier stellt das Schön-
heitsprinzip ernste Forderungen an den
 
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