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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 3
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Schnürer, Gustav: Das Volto santo - Bild in der Burgkapelle zu Kronberg i. Taunus
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0055

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1913. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

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berichten, die uns von dort vorliegen, können
wir schließen, daß die Wallfahrt im ersten
Jahrzehnt des XV. Jahrh. blühte11). Aber
höher kommen wir nicht hinauf. Und da der
neue Kult sich von Norden nach dem Süden
verbreitete, so ist er in Mitteldeutschland
und Süddeutschland später erst aufgetreten
als in Holland.

Aber wie sollen die Kronberger zur Ver-
ehrung des Bildes von Lucca gekommen sein?

Nun, etwas Seltenes war die Verehrung
des Lucca-Bildes im 14. Jahrh. in Deutsch-
land nicht, wo man es als Sankt Hülfe,
Hulpe, St. Gehulf bezeichnete. So ist seit
dem Jahre 1379 eine Kirche von Sankt
Hülfe zu Nutlo bei Diepholz, Regierungs-
bezirk Hannover, beglaubigt, deren Namen
sich in der Ortschaft Sankt Hülfe noch bis
heute erhalten hat. Daß man hier den Er-
löser verehrte, ist gar kein Zweifel, denn in
zwei Urkunden vom Jahre 1380 lautet die
Adresse: „Dem ghuden heren zunte hulpe,
dat god zuluen is, in zine kerke to mittle."
Das an einer Urkunde von 1511 erhaltene
Siegel der Kirche zeigt uns auf gemustertem
Grunde ein Kreuz, das auf einem Sockel
ruht. An dem Kreuze hängt oder steht
vielmehr auf einem Fußgestell mit den
Füßen nebeneinander eine ganz bekleidete,
gegürtete und gekrönte bärtige Figur, die
Arme weit ausgestreckt12).

Noch näher liegt uns hier das im
Mittelalter hochverehrte Bild auf dem
Hilfensberg (einst Stufen- oder Stoffen-
berg genannt) im Eichsfeld, von dem schon
Waldmann den Beweis erbracht hat, daß
es sich um eine Nachbildung des Volto
santo von Lucca handelt18). Die erste Er-
wähnung der Kapelle datiert vom Jahre 1352
in einer Urkunde, die ausgestellt ist „mine
Herren Sente Hülfen und siner Kerchen
zu Stoffenberg". Im Jahre 1357 übergibt
der Mainzer Erzbischof Gerlach dem Zister-

n) Baron Sloet, »De heilige Ontkommer of
Wilgefords« (s'Gravenhage 1854) 53A.

14) Diepholzer Urkundenbuch, herausgegeben von
Hodenberg (Hannover 1842), Nr. 79, 83. Wappen-
tafel Nr. 48.

15) Wald mann, »Über den thüringischen Gott
Stuffo« (Heiligenstadt 1857). Vgl. dazu jetzt Klemens
Löffler, »Der Hülfensberg im Eichsfeld«. Neue
Mitteilungen des Thüring.-siichs. Vereins für Erforschung
des vaterländ. Altertums und Erhaltung s. Denkmäler
XXXV (1909).

zienserkloster Anrode die vom Martinsstifte
zu Heiligenstadt ausgetauschte „ecclesia
saneti salvatoris in Stuffenberg"14). Damit
ersehen wir auch hier, daß „Sente Hülfe"
und „sanetus salvator" identisch sind.

Vom Hilfensberg breitete sich der Kult
nach allen Seiten aus, nach den „Seestädten"
Lübeck und Bremen, nach Mühlhausen in
Thüringen und Saalfeld und nach Bamberg.
Über die Entstehung des noch heute er-
haltenen und richtig verehrten Bamberger
Bildes sind wir näher unterrichtet. Ein
Bamberger Patrizier Franz Münzmeister, der
Stifter des Dominikanerinnenklosters zum
Heiligen Grabe, wallfahrte vor seinem am
13. Dezember 1356 erfolgten Tode nach dem
Hilfensberg und ließ nach dem dort verehr-
ten Bilde ein gleiches auf einem Nebenaltar
in der Kirche zum Heiligen Grabe aufstellen15).

Da das Eichsfeld zu Mainz gehörte, so
liegt es nahe, daß das auf dem Hilfensberg
verehrte Bild auch in Mainz bekannt war.
Hier finden wir auch noch Spuren von einem
Kult des „Sanct Gehulff". Freilich zu der
Zeit, als uns darüber berichtet wird, im Jahre
1716, verehrte man unter diesem im Volke
nur noch fortlebenden Namen die hl. Wilge-
fortis, die heilige Königstochter mit dem
Barte1'1). Ich glaube aber, daß dieser Kult
einst identisch war mit dem auf dem Hilfens-
berg, und daß er auch in Mainz schon im
Mittelalter Wurzeln gefaßt hat. Daß er von
dem Hilfensberg nach Mainz gekommen ist,
möchte ich nicht so unbedingt behaupten.
Es könnte auch das Umgekehrte der Fall sein.

Uns genügt es hier, etwas anderes sicher
festzustellen: Daß zu der Zeit, als das Bild
auf dem Hilfensberg schon verehrt wurde,
unser Ulrich von Kronberg, der Stifter des
Kronberger Bildes, im Eichsfeld als Landvogt
des Erzbischofes amtete. Ulrich genoß das
besondere Vertrauen des Erzbischofs Gerlach
von Mainz, von dem wir eben eine der älte-
sten Urkunden für den Hilfensberg zitiert
haben. Erzbischof Gerlach ernannte 1349

14) Waldmann, 179 ff.; Ausfeld, »Regesten
zur Gesch. des Kl. Anrode »in Mühlhäuser Geschichts-
blätter VII (1906), Nr. 107 (114, 115), 116 (118,
121).

18) Schweitzer, »Beitrag zu den bekleideten
Christusbildnissen« im (Sulzbacher) Kalender für kathol.
Christen, 1867, S. 116 ff.

16) Brief des Jesuiten Ignaz Dorn, mitgeteilt von
Cuperus in Acta SS. Jul. T. V, p. 62 nr. 62.
 
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