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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 12
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Münzel, Gustav: Zur Datierung der Tauberbischofsheimer Bilder Grünewalds
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0200

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359

l9ia. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr 12.

360

Form „sclagen" anwendet. Außerdem sei
hier noch erwähnt, daß Grünewald die drei
u-Laute, die in seinem Texte vorkommen,
auch den im Worte „svnd" durch v wieder-
gibt, während Luther das u nur in ,,umb"
und „unser" mit v schreibt, „sunde" und
„zuschlagen" mit u.

Außer diesen Unterschieden des Textes
findet sich aber auch eine Verschiedenheit,
auf die Schmid gar nicht eingeht, in der
Form des Prophetennamens bei Luther und
Grünewald, die allein für sich genommen,
von entscheidender Bedeutung ist für die
Frage, ob der Text Grünewalds von der Über-
setzung Luthers abhängt. Luther nennt den
Propheten nach dem Hebräischen „Jesaia",
Grünewald hingegen hat die im Mittelalter
häufige griechischeForm desNamens, .Esaias".
Es muß als ausgeschlossen angesehen werden,
daß Grünewald, hätte er die Stelle aus der
Lutherschen Jesaiaübersetzung genommen,
den Namen des Propheten in einer anderen
als der dort vorgefundenen Fassung ange-
wendet hätte. So finden sich also in dem
Spruch bei Grünewald, der mit dem Pro-
phetennamen acht Worte umfaßt, außer
der Verschiedenheit in der Wiedergabe des
u-Lautes in svnd und sunde drei eingreifende
Abweichungen von der Übersetzung Luthers;
es sind dies Unterschiede, die auf einem
anderen Sprachgebrauch wie auf einer an-
deren Übersetzung des biblischen Textes
beruhen. Danach kann eine Abhängigkeit
des Grünewaldschen vom Lutherschen Texte
nicht angenommen werden, da die Über-
einstimmung gerade in den wichtigsten Punk-
ten versagt.

Dazu kommen nun auch die chrono-
logischen Fragen. Schmid spricht davon,
daß die Tauberbischofsheimer Bilder Grüne-
walds, wenn dieser den Spruch Luthers aus
der Jesaiaübersetzung von 1527 wirklich
benutzt habe, in den Jahren 1527 bis 1530
entstanden seien, was darauf hinweise, daß
diese Bilder das letzte Werk des Künstlers
wären7). Gleichfalls sagt er in der anderen,
oben erwähnten Stelle, möglicherweise seien
die Tauberbischofsheimer Bilder mit der
Aschaffenburger Predella erst nach 1525 ent-
standen, und Grünewald habe in dem Spruch
wirklich die Luthersche Übersetzung des

7) Schmid ,

O, S. 18.

Jesaia von 1527 benutzt8). Schmid ver-
legt also die Ausgabe des Lutherschen Jesaia
an den beiden Stellen in das Jahr 1527,
welche irrige Angabe um so auffallender
ist, als er selbst den Titel der Lutherschen
Übersetzung mit der Jahreszahl aufführt
(S. 48). Tatsächlich erschien Luthers Arbeit:
Der Prophet Jesaia, Deudsch, zu Wittem-
berg im Jahre 1528. Wir sind nun sogar in der
Lage, durch Briefe den Zeitpunkt des Er-
scheinens der Jesaiaübersetzung bis auf den
Monat genau angeben zu können. Nach
dem Bericht Rörers an Roth vom 6. Sep-
tember 1528 ist der Jesaia, der 66 Kapitel
hat, fast bis zum 18. Kapitel fertig gedruckt.
Er hofft ihn bis zur Herbstmesse senden zu
können. Am 20. Oktober schreibt Luther
an G. Wilscamp in Herford: ,,Atque nunc
misissem Jesaiam recens natum germanum,
sed ita distracta sunt exemplaria, ut ipse
nulluni pro me habeam. Deinceps capsam
pro te et Montano ordinabo, in qua pro
vobis imponentur vobis mittenda exem-
plaria, quaecumque edita fuerint"9). Am
20. Oktober sind also die ersten Exemplare
verteilt, keine weiteren sind vorrätig und
Luther will den in dem Brief Genannten
die nächsten Exemplare nach Fertigstellung
zusenden. Daraus geht deutlich hervor, daß
Grünewald frühestens bei seinem Aufent-
haltsort erst Ende Oktober oder wahrschein-
licher erst im November 1528 die Über-
setzung Luthers hätte benutzen können.
Damit käme man für die Arbeit Grüne-
walds an den beiden Bildern in das Jahr
1529, also in eine Zeit, in der schon mit
dem Tode Grünewalds gerechnet werden
muß.

Es ist überhaupt höchst unwahrscheinlich,
daß die in Liturgie, Messe wie Brevier, und in
der Betrachtung angewandte Prophetenstelle
bei Grünewald unmittelbar auf die Bibel
zurückgeht, dagegen spricht die Kontraktion
des biblischen Textes wie auch dessen Ver-
selbständigung durch Weglassung des ein-
leitenden ,,Aber". Die von Grünewald be-
nutzte Form des Textes weist auf dessen
Ursprung aus einem Erbauungsbuch oder
einer gedruckten oder gehörten Predigt hin,

8) Schmid, a. a. O. S. 230.

°) D. Martin Luthers Werke. Kritische Ge-
samtausgabe. Die deutsche Bibel. 2. Bd. (Weimar
19U9), S. XII.
 
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