ARCHITEKTONISCHE SCHÖNHEIT.
ZU DEN BAUTEN VON ARCHITEKT HEINRICH STRAUMER BERLIN.
"\ Teue Erkenntnisse, die doch auf uralten Er-
1 > fahrungen fußen, beginnen die Entwick-
lungslinie unserer Architektur zu beeinflussen.
Die Hast nach der modernen Form flaut ab.
Man sucht ein anderes, wertvolleres Ziel. Und
wieder heißt es umlernen.
Dem letzten Jahrzehnt ist es gelungen, Häuser
von vollkommen neuartigem Aussehen hinzu-
stellen. Man schuf Gebilde, die kaum noch
unter dem Namen Haus unterzubringen waren,
kubische Blöcke, an denen kein Aufbau, keine
Dachung, kein natürliches Wachstum ersicht-
lich war, Fassaden, die nichts waren als ver-
größerte Ornamente, Kirchen, die wie Bahn-
höfe, Theater, die wie ein Gebirgsmassiv, Häu-
ser, die wie Kassetten aus Stein erschienen.
Die Maßstäbe waren gestürzt, Charaktere ver-
tauscht. Alle Dinge erschienen „anders". Man
formte sie, nur um sie umzuformen, mit viel
Erfindungskraft, mit formalem Können, aber
ohne jegliche Rücksicht auf ihr inneres Wesen.
Das wissen wir nun: Man kann dem Haus
unendlich viel neue Formen geben, und wir
haben auch die nötige Fantasie dazu. Aber es
empfiehlt sich nicht, von diesem Können und
dieser Phantasie so reichlichen Gebrauch zu
machen.
Und schon meldet sich der Ersatz für diese
formalen künstlerischen Werte, die uns doch
so wenig befriedigt haben. Ein großes unge-
brochenes (unverkünsteltes) Dach mit kräftigen
Pfannen erscheint uns tausendmal schöner als
ein Kranz von Giebelfiguren. Ein edler Putz
ist uns lieber, als die originellste Ornamentik.
Fenster von hufeisenförmigem Ausschnitt sind
uns ein Greuel, während ein gewöhnlicher grüner
Fensterladen das Auge entzückt. Das Haustor
soll den schweren Charakter haben, den wir
mit diesem Wort verbinden, und wir verzichten
gern auf ein neues Aussehen. Ja, das ganze
Haus darf uns in seiner Gesamterscheinung be-
kannt, vertraut anmuten, darf sogar an Häuser
19H/16. III. V.
217
ZU DEN BAUTEN VON ARCHITEKT HEINRICH STRAUMER BERLIN.
"\ Teue Erkenntnisse, die doch auf uralten Er-
1 > fahrungen fußen, beginnen die Entwick-
lungslinie unserer Architektur zu beeinflussen.
Die Hast nach der modernen Form flaut ab.
Man sucht ein anderes, wertvolleres Ziel. Und
wieder heißt es umlernen.
Dem letzten Jahrzehnt ist es gelungen, Häuser
von vollkommen neuartigem Aussehen hinzu-
stellen. Man schuf Gebilde, die kaum noch
unter dem Namen Haus unterzubringen waren,
kubische Blöcke, an denen kein Aufbau, keine
Dachung, kein natürliches Wachstum ersicht-
lich war, Fassaden, die nichts waren als ver-
größerte Ornamente, Kirchen, die wie Bahn-
höfe, Theater, die wie ein Gebirgsmassiv, Häu-
ser, die wie Kassetten aus Stein erschienen.
Die Maßstäbe waren gestürzt, Charaktere ver-
tauscht. Alle Dinge erschienen „anders". Man
formte sie, nur um sie umzuformen, mit viel
Erfindungskraft, mit formalem Können, aber
ohne jegliche Rücksicht auf ihr inneres Wesen.
Das wissen wir nun: Man kann dem Haus
unendlich viel neue Formen geben, und wir
haben auch die nötige Fantasie dazu. Aber es
empfiehlt sich nicht, von diesem Können und
dieser Phantasie so reichlichen Gebrauch zu
machen.
Und schon meldet sich der Ersatz für diese
formalen künstlerischen Werte, die uns doch
so wenig befriedigt haben. Ein großes unge-
brochenes (unverkünsteltes) Dach mit kräftigen
Pfannen erscheint uns tausendmal schöner als
ein Kranz von Giebelfiguren. Ein edler Putz
ist uns lieber, als die originellste Ornamentik.
Fenster von hufeisenförmigem Ausschnitt sind
uns ein Greuel, während ein gewöhnlicher grüner
Fensterladen das Auge entzückt. Das Haustor
soll den schweren Charakter haben, den wir
mit diesem Wort verbinden, und wir verzichten
gern auf ein neues Aussehen. Ja, das ganze
Haus darf uns in seiner Gesamterscheinung be-
kannt, vertraut anmuten, darf sogar an Häuser
19H/16. III. V.
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