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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Westheim, Paul: Publikums-Kunst
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0126

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Sehnsucht. — Phantasie.

diesen Namen trägt,
nicht respektiert, sei-
nem Wesen nach nicht
respektieren kann, weil
er immer ein Aufrüt-
teier und Aufrührer zu
sein bestimmt ist, die-
ses Unruhige und Un-
befriedigte im schöp-
ferischen Geist, dieses
Himmelstürmende ist
es, was das Philisterium
so zur Abwehr zusam-
menschweißt. Es will
aus seiner Gewohn-
heit des Denkens und
Fühlens nicht heraus-
gebracht werden, es
wehrt sich instinktiv
gegen die unbequeme
Zumutung, etwas Neues
— und sei es auch
eine geistige Delika-
tesse ohnegleichen —
aufnehmen zu sollen.
Es lehnt mit mehr oder
minder großer Ent-
schiedenheit ab, wie der
Bauer, dem man Arti-
schocken oder Hum-
mern vorsetzt. Ja, es
ist so, „man verdient",
um noch einmal mit
Goethe zu reden, „we-
nig Dank von den Men-
schen, wenn man ihr
inneres Bedürfnis er-
höhen, ihnen eine große
Idee von ihnen selbst
geben, ihnen das Herr-
liche eines wahren ed-
len Daseins zum Ge-
fühl bringen will. Aber
wenn man die Vögel
belügt, ihnen Märchen
erzählt, von Tag zu Tag

ihnen forthelfend sie verschlechtert, da ist man
ihr Mann und darum gefällt sich die neuere Zeit
in so viel Abgeschmacktem". . paul westheim.
£

SEHNSUCHT. Wir alle möchten ein Leben
führen, das reicher und höher ist, als das
von der Beschränktheit des Menschentums uns
gestattete. In einem düsteren Keller sitzen wir
und strecken wie einen Fühler, wie ein Periskop
die Kunst in die höhere Sphäre, um ab und zu
ein leuchtendes Bild aus ihr niederzuholen.

prof. o. prutscher. »spiegel mit kerzen halter«

Das tut nicht nur die
idealistische Kunst. Wir
möchten auch größer
sein im Spott, im Leid,
im Zerstören! — Wir
sind einmal und möch-
ten noch viel tausend-
mal anders sein: Be-
wegte Linie, wuchtende
Masse, ein beseelter
Hauch, polterndes Ge-
witter, eine Geste des
Stolzes, der Liebe, der
Trauer. Da zwingen
wir unsere explosive
Sehnsucht zwischen
die vier Wände des Bil-
des, und die unerlöste
menschliche Seele be-
freit sich, sieht sich
starr und groß, fein,
zierlich, in wunderba-
rer melodischer Bewe-
gung, zerreißend, auf-
bäumend im Trotz und
weich im All zerflie-
ßend. Niemals wird
das Bild die unzähligen
Weisen des Seinsr. die
wir leben möchten, er-
schöpfen. Kaumist eine
unserer Möglichkeiten
gestaltet, wird uns die
Beschränkung leid. Wir
hassen das selbstge-
schaffene Idol, um bald
eine andere Sehnsucht
anzubeten. ... a. j.

£

ÜHANTASIE. In dem
* Dunkel der Mög-
lichkeiten brauen die
Träume. Welten glän-
zen hinter den Vorhän-
gen, die eiserne Not-
wendigkeit verschlos-
sen hält. Wem wäre dieses graue Leben erträg-
lich, der einmal sich an dem Gift der Zukunfts-
träume berauscht hat? Rings um uns her, und
weit in die menschliche Zukunft hinein, mögen
die herrlichsten Wunder blühen. Wir dürfen ihr
gespenstisches Locken nicht hören. Die Phanta-
sie nährt und beschwingt den menschlichen Geist
nur, soweit sie von grauer Erde, von grauem
Alltag sich nährt. Stürmt sie hemmungslos ins
Blaue, so ist sie kein Gefährt, dem der Mensch,
der leben will, sich anvertrauen darf. . . a.j.
 
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