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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Jaumann, Anton: Verwandlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0303

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VERWANDLUNG.

Der Künstler war ein Zauberer von Anbe-
ginn. Er nimmt ein Stück Holz, Späne
fallen, ein menschliches Gesicht schaut dir ent-
gegen. In Stein bannt er die Gestalt Verstor-
bener. Er zitiert Geister, aus Ton formt er
Menschen. Es ist noch deutlich zu erkennen,
wie die Künstler lange sich scheuten, das Wesen
des Stoffes, des Sleines vollkommen zu ver-
wandeln, und die Gestalt in ganzer Menschlich-
keit dastehen zu lassen. Die ägyptischen Bild-
hauer hielten lange an der Ebene der Platte,
an dem Umriß des Blockes fest, mit einem
schüchternen Lächeln löste sich die griechische
Statue erst um 500 aus der steinernen Gebun-
denheit. Doch, obwohl zwei Jahrtausende und
mehr seit jenen Wendezeiten vergangen sind,
den Verwandlungszauber empfinden wir noch
heute in der Kunst mit einer gewissen Scheu.
Und zwar desto stärker, je weniger radikal die
Stofflichkeit von der Gestalt, vom Bild aufge-
löst wurde. Es ist rührend zu sehen, wie die
Wilden sich vor einem absonderlich gewach-
senen, entfernt menschenähnlichen Stück Holz
gleich einem bösen Spuck fürchten. Laß das
Kind ein paar Lappen zusammen knäueln, es
empfindet einen glücklichen Schauer, wenn
daraus eine Gestalt wird. Keine fertige Puppe
vermag ihm diese Verwandlungsfreude zu er-

setzen. Das russisch-griechische Christentum
kennt noch heute in weitem Umfang die Bilder-
verehrung, das Bild, die Form saugt da angeb-
lich das göttliche Wesen in sich ein. So hat
jeder naive Mensch eine gewisse Ehrfurcht vor
dem Bild, das eine Holztafel ist und doch zu-
gleich eine Art lebendes Wesen, oder ein Teil
eines Anwesenheitszeichen von Gott. Ist es
nicht so, daß der Mensch auch in seinem Bilde
existiert? Wenn es eine Fernphotographie gäbe,
sodaß man den Kaiser in jeder fernsten Hütte
sehen könnte, wäre der Unterschied so groß
gegen jetzt, wo uns sein Bild überall entgegen-
grüßt? Wir sehen ja auch in der Wirklichkeit
immer nur das Bild des Menschen.

Das Zauberhafte an der Puppe besteht so-
lange, als die Zusammensetzung aus Stoffflicken
zu erkennen ist. Wenn die Marionetten einmal
so vollendet sein werden, daß sie ihre Puppen-
natur verlieren, dann geht uns das Wunder der
„lebenden, sprechenden, fühlenden Puppe"
verloren. Auch das Bildwunder löst sich mehr
und mehr auf, je mehr im Bild die Zeichen des
stofflichen Grundes, der Farbkörper, der Striche
hinweggefeilt werden. Nur wenn die Statue
zugleich Stein und Mensch ist, packt uns der
Zauber dieses Doppelseins, der Menschwerdung
eines Felsblocks.......... anton jaumann.
 
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