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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Renatus, Kuno: Vom Wesen des Kitsches
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https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0279

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KUNSTGEWERBESCHULE - BUDAPEST.

»SCHRIFTFELD UND UMRAHMUNG«

VOM WESEN DES KITSCHES.

In den ersten Kriegsmonaten traf man überall
auf Zeitungsaufsätze mit Überschriften wie
„Der Krieg und dieKunst" oder dergleichen, da-
rinnen mehr oder minder pathetische Betrach-
tungen angestellt wurden, wie von der großen
Welle der Kriegsbegeisterung recht viele be-
fruchtende Gewässer auf die stillen Gefilde der
Kunst übergeleitet werden könnten. Ange-
sichts der großen Ungewißheit des Krieges
waren solche Betrachtungen, die vornehmlich
aus einem Bedürfnis geistiger Selbstbehauptung
entsprungen waren, sicherlich berechtigt. Je
mehr sich der Krieg aus etwas unbekanntem
Kommenden zu etwas nur zu bekanntem
Gegenwärtigen ausgewachsen hat, ist es mit
solchen programmatischen Verkündigungen stil-
ler geworden. Wir wissen jetzt, daß der Schüt-
zengraben nicht der Ort ist, wo neue Formen
gefunden werden. Was an Leistungen der
Kriegsmaler usw. bekannt geworden ist, erhebt
sich nicht über das Niveau darstellender Jour-
nalistik. Dabei erlebt man immer wieder die
Bestätigung, daß dieser Krieg merkwürdig un-

bildhaft ist. Aber das Phänomen, daß dieser
Krieg, so sehr er uns ergreift, künstlerisch doch
merkwürdig ertraglos ist, beschränkt sich nicht
auf das bildnerische Ausdrucksgebiet. So un-
geheuer viel Kriegslyrik produziert worden ist,
so ist doch kein Gesang vernommen worden
von der packenden Gewalt etwa auch nur der
„Wacht am Rhein" oder des „König Wilhelm
saß ganz heiter". Von der dramatischen Dich-
tung ganz zu schweigen. Alle diese Erschei-
nungen haben wieder ihre tieferen Gründe,
und man sollte über diese Dinge nicht schelten
und vorschnell auf eine Unfähigkeit unserer
Künstler zurückschließen, unserer Zeit ihren
Ausdruck zu geben. Ganz im Gegenteil spricht
es in unseren Augen für unsere Kunst, daß
sie, nach einem Augenblick des Atemanhaltens,
zu ihren früheren Aufgaben zurückgekehrt ist
und ihre Arbeit dort fortsetzt, wo sie vor dem
Kriege stand. Denn in der Kunst wird nichts
geschenkt, und jede Entwicklung muß Schritt
für Schritt erarbeitet werden. Wenn aus dem
ungeheueren Erleben dieses Krieges wirklich
 
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