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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Westheim, Paul: Publikums-Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0116

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PUBLIKUMS-KUNST.

Das eine Wort: Publikumskunst kennzeichnet
besser als alle denkbaren Betrachtungen
die verzweifelte Situation von Kunst und Künst-
lern in dieser Zeit. Publikumskunst, das ist die
Kunst, die das Publikum willig, mit Anteil und
offensichtlichem Vergnügen aufnimmt, ist die
Kunst, die die Menge, die Vielen, die Zeit-
genossen des Schaffenden begehren, ist das an
künstlerischer Produktion, was blindlings ge-
schätzt, was gierig verschlungen, was mit berei-
ten und beträchtlichen Mitteln bezahlt wird.
Publikumskunst, das sind die „Schlager der Sai-
son", die Romane mit den Riesenauflagen, die
Schaustellungen, um deren Eintrillskarten man
sich drängt und reißt, sind die Bilder, die allent-
halben reproduziert und mit phantastischen
Summen angekauft werden; Publikumskunst,
das ist das, wovon man spricht, was man ge-
sehen, gehört, gelesen haben muß, ist alles, was
beim Volk, Volk im weitesten Sinne, populär
ist. Somit eigentlich die bekannteste, die be-
gehrteste, in gewissem Sinne die lebendigste
Kunst, wenn nur dieses Wort: Publikumskunst
nicht in so fataler Weise ironisch gemeint wäre.
Die Künstlerschaft, aus deren Reihen es stammt,
hat mit dieser Prägung sich einen Galgenhumor

von starken Graden geleistet. In den kahlen
Mansarden, vor den ausgebrannten Öfen und
den nie gefüllten Schüsseln ist man nämlich zu
der Einsicht gelangt, daß in der heutigen Zeit
die stürmischen Erfolge fast nur beschieden sind
der literarischen, malerischen, plastischen oder
archit ekt onischen Produktion, über deren künst-
lerische Qualifikation Zweifel nicht bestehen, die
Halbkunst, Scheinkunst, Kitschkunst, seichte,
vor dem Richtstuhl der Ästhetik hochstaple-
rische Mache ist. Die Banalität und Trivialität,
der ekelste Atelier-Auswurf, das ist das,
„was geht", „was zieht", was, wie Goelhe, der
allen starken Worten abholde Goethe, sich aus-
drückt, das „vielköpfige, vielsinnige, hin und
her schwankende Tier" frißt. Seit Goethes
Tagen — und wie viel länger noch? — ist es
ein phantastischer Zufall, wenn einmal der In-
stinkt des großen Publikums irrte, wenn es
spontan sich zu einer genialen Tat bekannt hätte.
Mit einer Treffsicherheit, die an Gesetzlichkeit
zu glauben zwingt, hat es noch fast jeden der
Großen verkannt und verlacht, den das Publi-
kum der nächsten oder übernächsten Generation
als klassischen Meister der Nation gepriesen,
verhimmelt und — als Waffe zum Erdrosseln
 
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