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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Lux, Joseph August: Unterhaltung über photographische Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0267

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UNTERHALTUNG ÜBER PHOTOGRAPHISCHE BILDER.

Wie ich in der Photographie aussehen
möchte? So, wie ich mich im Spiegel
sehe. Sieht man sichim Spiegel anders? Freilich.
Geben Sie acht, wenn eine Person sich in den
Schaufenstern betrachtet oder im Kaffee einem
Spiegel gegenüber sitzt und plötzlich hinein-
blickt. Wie groß die Veränderung ist, die vor-
geht. Sie korrigiert sich. Oft mit Erfolg. Es
kann eine Untugend werden, eine Afferei,
Spiegelnarrheit, immerhin. Eine Autosuggestion
findet statt. Ein Seelenvorgang. Der Spiegel
wirkt immer magisch, hypnotisch. Das Gesicht
tritt aus dem Alltag heraus, beseelt sich, nimmt
Bedeutung an, von innen her.
Wieso?

Ich erkläre es ja. Und nehme mich zum
Beispiel aus Höflichkeit gegen andere. Man
wird mir gestatten, daß ich von mir eine bes-
sere Meinung habe, als sie der bekrittelnde
Nachbar von mir hat. Ich habe von mir ein
inwendiges, psychologisch bedingtes Bild, wie
das Wort Ein-bild-ung ganz treffend sagt. Die
Eigenliebe tut das Nötige, das Selbst-Bewußt-
sein sorgt schon für eine möglichst schmeichel-
hafte Innenphotographie des lieben Ich. Ich
nenne dieses Ichporträt, die eine innere Vor-
stellung der höchsteigenen Person ist, das
Autophoto. Mein Seelenporträt, von nieman-
dem gesehen als von meinem inneren Auge, das
sozusagen wie ein geistiger photographischer
Apparat funktioniert und auf die ebenfalls
geistige Glasplatte des Ichbewußtseins diese
mehr oder weniger gottähnlichen Züge wirft,
„wie ich mich innerlich sehe". Gesehen mit
meiner psychischen Optik.

Aber der Teufel hat sein Spiel. Er hält mir
Ahnungslosen irgendwo auf der Straße plötz-
lich einen Spiegel entgegen, er fängt mein Bild
auf, stellt es mir in den Weg — ich kenne
meinen Doppelgänger im ersten Augenblick
nicht. Er ist mir fremd, unangenehm. Mein
leibliches Auge hat ihn photographiert, das
menschliche psychische Auge ist nämlich der
vollkommenste photographische Apparat, die
Materialisation des inneren, geistigen Auges.
Im nächsten Augenblick trifft der Erkenntnis-
strahl mein Ich-Bewußtsein. Wie bei einer
schlechten Momentaufnahme sagt man zuerst
instinktiv: das bin ich nicht! (Obzwar mans
ja doch ist, nur nicht ganz.) Der Teufel grinst
heimlich vor Vergnügen. Na wart, Du wirst
schon noch geprellt I In einem nicht mehr meß-

baren winzigen Zeitraum — der wahrscheinlich
ein Vacuum von Zeit vorstellt — vollzieht sich
ein Prozeß des Vergleichens mit diesem äußeren
Detektivbild und dem inwendigen Ichporträt
der Ein-bild-ung, dem Autophoto. Im nächsten
Augenblick betrachtet man sich schon mit Be-
wußtsein in diesem Teufelsspiegel. Mein
forschendes, kritisches Auge als photogra-
phischer Apparat fängt mit psychischer Optik
zu arbeiten an, weil es an dem Spiegelbild
interessiert ist. Die Retouche beginnt, sozu-
sagen. Man korrigiert sich. Nimmt Haltung
an, Pose. Es hat seine Richtigkeit damit, daß
die schwierigste aller Posen die Natürlichkeit
ist. Nun sieht man ganz anders drein. Geistig
belebt. Durch Willen erhöht. Das Ich-Bewußt-
sein hat soviel Ausdruck in diesen schlechten
äußeren Abklatsch der Natur hineingetragen,
daß er mehr und mehr dem Autophoto, der
Ein-bild-ung, dem seelischen Innenporträt ent-
spricht, ohne die äußere Spiegel wahrheit zu ver-
lieren. Ist es nicht so? Geben Sie nur einmal
auf sich acht, wenn Sie vor den Spiegel treten!

Trotzdem, ich bin auf Widerspruch gefaßt.
Er kommt von Frauen, nicht von allen; aber
von solchen, die den Puppenkopf des Hof-
photographen lieben und die Retouche, die der
Schminke gleicht, dagegen aber ihr Spiegel-
geheimnis für sich behalten wollen. Man sagt,
weil sie um jeden Preis jünger aussehen wollen
— ich weiß, meine Gnädige, das ist ein Kurz-
schluß. Sie möchten so vorteilhaft aussehen
als möglich, und das ist ein gutes Recht. Für
die Bildnisphotographie Pflicht. Es ist aber
die Frage, ob der Hofphotograph üblichen Stils
wirklich dieser Forderung entspricht. Ge-
schmackssache. Frauen lieben nicht harte
Psychologie, das sagt mir meine Erfahrung.
Die Kamera soll dem Anbeter gleichen, der
für die Fehler blind ist und alles schön findet.
Der Künstlerphotograph hingegen muß scharfer
Psychologe sein, wenn er die interessante Seite
der Kunst ergreifen will, die in der Charakte-
ristik liegt. Es ist ja die Regel, daß er Männer
besser trifft, als Frauen. Aber auch das ist
eine schiefe Wahrheit. Auf der Höhe des guten
Geschmacks sind wir alle einig in der Ver-
urteilung des süßlichen Puppenkopfes, nicht
wahr, meine Gnädige?

Und dann haben wir einen unfehlbaren Trost
in der Erkenntnis, daß ein Mensch ebenso-
wenig wie ein Bild so langweilig sein dürfte,
 
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