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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 9.1934

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Griebitzsch, Herbert: Neue deutsche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.13712#0015

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Neue deutsche Kunst

HERBERT GRIEBITZSCH

Die Kraft, die das neue Deutschland trägt, muß naturgemäß
auch in der bildenden Kunst zum Durchbruch kommen. Es ist
ein Urgrund lebendig, aus dem alles wächst — die Politik, die
Kunst und alle Kultur. Eine allgemeine Kraft trägt, formt jede
Einzelheit und bindet alles zusammen zu einer großen um-
fassenden Kulturwelt, die uns Aufgabe, Ziel ist, deren An-
beginn aber unsere Tage sind.

Es verstößt gegen die innere Einheit aller Kultur zu glauben,
es brauche Zeit, bis sich das Neue auch in der Kunst durch-
setzt. Wie die politische Willensbildung unseres Heute wuchs,
heranreift, schließlich kämpfend siegte, genau so liegt es in der
Kunst. Auch hier ist seit der Romantik — gegen Materialismus,
Uebersteigerung, Technizismus und Versachlichung — ein Ge-
sialtungswille immer wieder festzustellen, der heute erst wahr-
haft zu sich selbst kommt, der vor allem erst heute recht ver-
standen wird.

Was aber diese Kunst bildhaft-symbolisch vor uns hinstellt, ist
dieser eigentliche Urgrund der Dinge, die tragende Grund-
haltung unserer Tage allem Leben, allem Sein gegenüber.
Politik, Kunst, überhaupt alle Kultur, sind irdische Aus-
formungen dieses bestimmten, gerichteten Lebenswillens, der
in iedem Kulturgebiet auf seine eigene Art zum Durchbruch
kommt. Man denke nur an die Bestrebungen zur Schaffung
eines deutschen Rechtes und die Bemühungen um einen deut-
schen Glauben. In den äußeren Gegebenheiten finden wir
weltenweite Unterschiede, das Gemeinsame aber ist: beides
wächst heraus aus dem Glauben, aus dem Mythos unserer Zeit.

Gleiches gilt von der jungen Kunst. Nicht schon im Vorder-
gründigen, im Thematischen braucht sich das Neue anzu-
kündigen. Das Entscheidende ist die innere Gesinnung,
aus der die Gestaltung kommt. Denn gleich iedem anderen
Kulturgebiet hat auch die Kunst ihr Eigenrecht. Ein bloß äußer-
lich gesehenes Abbild aus der Geschichte der Bewegung ist
noch lange kein Kunstwerk. Das „Wie" der Gestaltung ent-
scheidet. Mit Recht nennt man alles was mit unzulänglichen
Mitteln nationaler Themen sich bemächtigt, Tendenzkunst, ja
nationalen Kitsch. Weder die große repräsentative Ausstellung
in Essen „Westfront 1933", deren Schirmherr Reichsminister Dr.
Goebbels war, noch die „Gemeinschaft" in Berlin und überall
dort, wo man sich ernsthaft um neue deutsche Kunst müht,
kannten solches Schaffen.

Dasselbe gilt auch für die Dichtkunst. Sigmund Graff, einer
unserer jungen dichterischen Begabungen sagt mit Recht: einen
nationalen Stoff an sich gibt es nicht. Niemand braucht Angst
zu haben, man könne ihm etwas „wegdichten". Man las diese
Worte vor der Uraufführung des Graffschen Stückes „Die
Heimkehr des Matthias Bruck" — eines Bauernstückes jenseits
der eigentlichen politischen Sphäre. Und doch wird keiner
bezweifeln, daß diesem Kunstwerk das gleiche Ethos, die
gleiche innere Größe und Kraft innewohnt, aus der alles ge-
schah, was neue deutsche Politik heißt.

Das ist neue deutsche Kunst. Ihre Zeitnähe ist die
innere Gesinnung, ihr ästhetisches Eigenrecht die freie
Wahl des Stoffes, der künstlerisch dem Mythos der Zeit, nicht
nackten Tatsachen gerecht werden muß. Eines darf nie ver-
gessen werden. Künstlerische Gestaltung ist nie bloß Repor-
tage. Bildberichte und anderes können Photographie, Rundfunk
weitaus besser liefern. — Man denke an die Ausstellung „Die
Kamera", wo durch Riesenfotos in trefflicher architektonischer
Umkleidung von Prof. Wendland erschütternde, packende Bild-
dokumente der Bewegung zu sehen waren. Die eigentliche
Sphäre der Kunst liegt tiefer.

Und sehen wir hin zum lebendigen Kunstschaffen. In breiter
Front ist eine junge Generation von ca. 25 bis ca. 40 Jahren
am Werke im Sinne des Neuen zu gestalten, und die Älteren
biegen dahin um. Es ist ein gänzlich neues Stilwollen, das als
Ausdruck des neuen Zeitgefühles eine neue Phase der
bildenden Kunst bestimmt.

Eine neue Natürlichkeit und Innerlichkeit erfüllt dieses Gegen-
wartsschaffen. Mit gesunder Selbstverständlichkeit greift der
Maler Landschaften, Akte, Bildnisse auf, modelliert der Bild-
hauer Büsten und Figuren. Ein Weltgefühl, dem der Romantik
nahe, läßt die Künstler Leben und Sein wiedergeben. Hier wie
dort sehen wir die Vielfalt dieser Welt, ihre äußere Er-
scheinung als Symbol des Uebermächtigen und Unfaßbaren.
Bedenkt man, wie der sogenannte Expressionismus Wesen-
haftes, Beseelendes, Hintergründiges darstellen wollte, so wird
man eine stärkere Gehaltenheit, größere Gegenstandsnähe
am jungen Schaffen wesentlich finden. Unsere Kunst gibt
wieder Leben in sinnlicher Fülle und starker Beseeltheit.
Ein Lebensbegriff ist lebendig, der Tiefe und Weite hat, der
nicht bloß rechnerisch oder intellektuell, aesthetisch oder gar
chaotisch, materialistisch oder weltfern ist.

In solch romantisch-lebensvollem Sinn faßt man die Welt —
und doch ist diese Kunst unerhört zeitnah, und kein Nach-
ahmen romantischer Vorbilder. Die alte Romantik als Bildnerei
eines Zeitalters der Dichter und Philosophen, eines Zeitalters,
das in seinen Empfindungen dem Höchsten nahe, im Prak-
tischen aber einem materialistisch-technizistischen Zeitalter ent-
gegensah, hat schon von Haus etwas Rein-Poetisches an sich.
Unsere Kunst dagegen gehört in ein Zeitalter der Politik, erd-
gebundener Tatkraft. Wir wollen in dieser Welt, noch be-
grenzter und bodenverwurzelter in diesem unserem Vaterland,
das Deutschland heißt, und mit diesem unserem deutschen Volk
eine neue Lebens- und Kulturwelt schaffen. Neben der Aktivität
ist die Begrenzung, das heißt die Erfüllung allen Seh-
nens im Endlichen charakteristisch für unsere Zeit. Solche
Urtatsachen muß die Kunst spiegeln und spiegelt sie auch. Man
denke an die Plastik.

Das Schweifende, Träumende, Rein-Idyllische, Weltentrückte
echter Romantik konnte zu keiner plastischen Darstellung
führen. Die harte, klare, begrenzte Sprache dieser Gattung

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