Arbeitsbeschaffung
ALEXANDER SCHWAB, BERLIN
Niemand wird sich darüber wundern, daß der Ruf nach
Arbeitsbeschaffung in den Kreisen, die die „Form" lesen, noch
keineswegs verstummt ist. Er ist vielleicht lauter und dringender
zum Anfang des neuen Jahres als je seit 1930 oder 1926.
Der Verfasser ist nicht in der Lage, mit amtlicher Autorität
über die Frage zu sprechen. Er muß sich also damit bescheiden,
einige Überlegungen zum Besten zu geben in der Hoffnung,
bei den Betroffenen etwas zur Klarheit über das zu helfen,
was geschehen ist, wie über das, was noch geschehen kann,
und, im besten Falle, dem einen oder andern, der keinen
Ausweg zu sehen meint, einen neuen Antrieb zu geben.
Dabei scheint vor allem nötig, den Personenkreis genau ins
Auge zu fassen, von dem und für den die Rede ist. Die
gestaltende Arbeit an den Dingen unsrer materiellen Kultur,
diese so eigentümliche Vereinigung von geistigem, gefühls-
mäßigem und stofflichem Schaffen, berührt einen sehr weiten
Kreis von Menschen. Aber sie nimmt nur einen gewissen Aus-
schnitt aus diesem weiten Kreis ernsthaft in Anspruch.
Objektiv beteiligt sind zunächst alle, die mit dem
eigentlichen Bauen zu tun haben: Bauherren, Architekten, Bau-
techniker, Bauhandwerker aller Art, Ziegelmacher, Holz-
bearbeiter, Eisen- und Stahlwerke, Zementfabriken, diese alle
mit ihren Hilfskräften. Sodann alle, die am Innenausbau be-
ieilig;- sind: Hersteller von Türen, Tapeten, Farben, Schlössern,
Öfen, Lampen, Möbeln, Installateure und viele andere. Schließ-
lich aber die kaum übersehbare Zahl von Industrien und
Gewerben, die fertige Gebrauchsgegenstände herstellen:
Kleidung, Wäsche, Geschirr, technisches Gerät, Verkehrsmittel,
Schmuck, Papierwaren, Drucksachen — einschließlich des
Händlers und Werbefachmanns, der die Bedürfnisse nach
solchen Dingen anzuregen und die Kaufkraft zu lenken sucht,
einschließlich zuletzt des Photographen, der wiederum alles
das mit seiner Kamera auffängt und als menschliches Lebens-
milieu zurückspiegelt.
Aber sehen wir schärfer zu: Dieser riesengroße Personenkreis
verengt sich wesentlich, wenn man nach denen sucht, die
mit ihrem Bewußtsein a.n der gestaltenden Arbeit im
eigentlichen Sinne beteiligt sind, und er verengt sich wiederum,
aber in andrer Weise, wenn man nur die einbezieht, die mit
ihrem Arbeitsschicksal, mit ihrer wirtschaftlichen und mensch-
lichen Existenz von der Gestaltunqsarbeit in allen
diesen Produktionszweigen abhängen. Diese beiden Aus-
schnitte decken sich nur zum Teil. Die Frage nach der Qualität
sei dabei für den Augenblick noch ganz außer acht gelassen.
An dieser Stelle der Überlegung mag bereits eine Fest-
stellung ihren Platz finden, die wohl hart kiingt, aber zur
Klarheit unerläßlich ist. Die Zahl derjenigen Arbeitskräfte, die
ausschließlich am Zeichenbrett mit entwerfender Tätigkeit ihren
Arbeitsplatz finden können und sonst nicht beruflich unter-
zubringen sind, ist zweifellos gegenwärtig bei uns zu groß.
Das gilt sowohl für die reinen Architekten wie für die zahl-
losen männlichen und weiblichen Kunstgewerbebeflissenen,
sofern sie, um es noch einmal zu betonen, nur „entwerfen"
können (oder zu können glauben). Es ist ja bekannt, daß die
vergangene Zeit eine Fülle von Fehlleitungen menschlicher
Kräfte verschuldet, daß sie insbesondere zahlreiche Menschen
in einen relativ anspruchsvollen und isolierten Bereich rein
geistiger oder überwiegend geistiger Betätigung gelockt oder
gedrängt und dort festgehalten hat; man denke an das
Abiturientenproblem und an die Überfüllung der Hochschulen.
Hierin — und das gilt in gleicher Weise für die Berufe auf
dem Grenzstreifen zwischen rein künstlerischer und gewerb-
licher Arbeit — hat man es mit einer andern Aufgabe zu
tun als der der Arbeitsbeschaffung, nämlich mit der Rück-
führung unseres gesamten geistigen Bildungs- und Berufs-
wesens von dem System einer übertriebenen und zugespitzten
Spezialisierung, die schon mehr Zerspaltung und Zersplitterung
des Volks und Verengung und Isolierung des Menschen ge-
worden ist. Dabei bleibe dahingestellt, ob nicht auch die
Berufsaufspaltung in den sogenannten „praktischen" Tätigkeiten
zu weit gediehen ist. Die Arbeitslagerbewegung, die Zusam-
menfassung der Referendare in Lagern und ähnliche Vorgänge
zeigen, wie weit ein Gefühl für diesen notwendigen Rückweg
bereits lebendig geworden ist, wenn auch das alles erst An-
fänge und noch keine hinlänglichen Lösungen sind.
Praktisch gesprochen: wer nur „entwerfen" kann und nichts
cnderes, sehe sich schleunigst nach sinnvoller Ergänzung seines
Könnens um, sei es in handwerklicher oder industrieller Praxis,
sei es auf dem kaufmännischen Feld. Und wer nach Können
und körperlichen Kräften in irgendeine Praxis solcher Art
taugt, bemühe sich weiter um sie. Denn man muß aussprechen,
daß es eine besondere Arbeitsbeschaffung für Spezialisten
des (künstlerischen oder angeblich künstlerischen) Entwurfs
nicht in nennenswertem Umfange geben kann. Sie wäre weder
dem Volk noch den scheinbar Begünstigten noch der Form-
gestaltung wahrhaft nützlich.
Nach dieser Bereinigung des gedanklichen Feldes wird die
Aufgabe in ihrer eigentlichen Form sichtbar. Was bisher zu
ihrer Lösung getan worden ist, kann mit einigen Stichworten
ins Gedächtnis gerufen werden. Für den hier betrachteten
Personenkreis waren vor allem, und sind noch weiterhin, die
Ehestandsdarlehen und die Instandsetzungsaktion für den Haus-
besitz wirksam. Die rund 70 Millionen, die bisher für Ehe-
standsdarlehen ausgegeben worden sind, haben sich restlos
umgesetzt in Anschaffungen von Möbeln, Hausgerät und
Wäsche. Die Instandsetzung von Häusern kommt einer Reihe
von Handwerkern und ihren Materiallieferanten zugute; hier
sind auch die Zuschüsse zur Teilung großer Wohnungen zu
nennen, die ja auch weitere Arbeiten am Innenausbau zur
Folge haben. Schließlich sei — abgesehen von einer Reihe
andrer mehr örtlicher Ausstellungen — an die Berliner Aus-
stellung „Die Kamera" erinnert, die eine weitverzweigte Gruppe
deutscher Qualitätsleistungen eindrucksvoll darstellte. Man
würdigt in Deutschland noch immer nicht genug die propa-
gandistische Auswirkung guter Ausstellungen.
Die förderlichen Erfolge aller dieser Maßnahmen stehen
außer Frage, sie sind auch dem nachzuweisen, der selbst
von der Welle noch nicht erfaßt ist. Doch wissen wir alle,
daß sie bei weitem nicht ausreichen, und das wissen sicherlich
auch die, die zunächst jedenfalls diese ersten Versuche einmal
unternommen haben. Das kann auch nicht anders sein, bis
jetzt nicht, aber in naher Zukunft kann es und muß es beginnen,
anders zu werden. Man kann sich das auf zwei Wegen vor-
stellen. Entweder durch einen kräftigen eigenen Anlauf der
Wirtschaft, das, was man eine Konjunktur nennt. Oder durch
weitere Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftsführung. Beides
völlig zu trennen ist nur im Gedanken, nicht in der Wirklichkeit
möglich. Beginnt bald eine Konjunktur, so ist mindestens ihr
beschleunigter Einsatz schon den bisher durchgeführten Re-
gierungsmaßnahmen mit zu verdanken.
Es gibt jedoch ein gerade für die deutsche gestaltende
Arbeit wichtiges Wirtschaftsfeld, auf dem die Regierung nur
verhältnismäßig wenig positiv Förderndes unternehmen kann.
Es ist der Außenhandel. Auf den Weltmärkten sind die
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ALEXANDER SCHWAB, BERLIN
Niemand wird sich darüber wundern, daß der Ruf nach
Arbeitsbeschaffung in den Kreisen, die die „Form" lesen, noch
keineswegs verstummt ist. Er ist vielleicht lauter und dringender
zum Anfang des neuen Jahres als je seit 1930 oder 1926.
Der Verfasser ist nicht in der Lage, mit amtlicher Autorität
über die Frage zu sprechen. Er muß sich also damit bescheiden,
einige Überlegungen zum Besten zu geben in der Hoffnung,
bei den Betroffenen etwas zur Klarheit über das zu helfen,
was geschehen ist, wie über das, was noch geschehen kann,
und, im besten Falle, dem einen oder andern, der keinen
Ausweg zu sehen meint, einen neuen Antrieb zu geben.
Dabei scheint vor allem nötig, den Personenkreis genau ins
Auge zu fassen, von dem und für den die Rede ist. Die
gestaltende Arbeit an den Dingen unsrer materiellen Kultur,
diese so eigentümliche Vereinigung von geistigem, gefühls-
mäßigem und stofflichem Schaffen, berührt einen sehr weiten
Kreis von Menschen. Aber sie nimmt nur einen gewissen Aus-
schnitt aus diesem weiten Kreis ernsthaft in Anspruch.
Objektiv beteiligt sind zunächst alle, die mit dem
eigentlichen Bauen zu tun haben: Bauherren, Architekten, Bau-
techniker, Bauhandwerker aller Art, Ziegelmacher, Holz-
bearbeiter, Eisen- und Stahlwerke, Zementfabriken, diese alle
mit ihren Hilfskräften. Sodann alle, die am Innenausbau be-
ieilig;- sind: Hersteller von Türen, Tapeten, Farben, Schlössern,
Öfen, Lampen, Möbeln, Installateure und viele andere. Schließ-
lich aber die kaum übersehbare Zahl von Industrien und
Gewerben, die fertige Gebrauchsgegenstände herstellen:
Kleidung, Wäsche, Geschirr, technisches Gerät, Verkehrsmittel,
Schmuck, Papierwaren, Drucksachen — einschließlich des
Händlers und Werbefachmanns, der die Bedürfnisse nach
solchen Dingen anzuregen und die Kaufkraft zu lenken sucht,
einschließlich zuletzt des Photographen, der wiederum alles
das mit seiner Kamera auffängt und als menschliches Lebens-
milieu zurückspiegelt.
Aber sehen wir schärfer zu: Dieser riesengroße Personenkreis
verengt sich wesentlich, wenn man nach denen sucht, die
mit ihrem Bewußtsein a.n der gestaltenden Arbeit im
eigentlichen Sinne beteiligt sind, und er verengt sich wiederum,
aber in andrer Weise, wenn man nur die einbezieht, die mit
ihrem Arbeitsschicksal, mit ihrer wirtschaftlichen und mensch-
lichen Existenz von der Gestaltunqsarbeit in allen
diesen Produktionszweigen abhängen. Diese beiden Aus-
schnitte decken sich nur zum Teil. Die Frage nach der Qualität
sei dabei für den Augenblick noch ganz außer acht gelassen.
An dieser Stelle der Überlegung mag bereits eine Fest-
stellung ihren Platz finden, die wohl hart kiingt, aber zur
Klarheit unerläßlich ist. Die Zahl derjenigen Arbeitskräfte, die
ausschließlich am Zeichenbrett mit entwerfender Tätigkeit ihren
Arbeitsplatz finden können und sonst nicht beruflich unter-
zubringen sind, ist zweifellos gegenwärtig bei uns zu groß.
Das gilt sowohl für die reinen Architekten wie für die zahl-
losen männlichen und weiblichen Kunstgewerbebeflissenen,
sofern sie, um es noch einmal zu betonen, nur „entwerfen"
können (oder zu können glauben). Es ist ja bekannt, daß die
vergangene Zeit eine Fülle von Fehlleitungen menschlicher
Kräfte verschuldet, daß sie insbesondere zahlreiche Menschen
in einen relativ anspruchsvollen und isolierten Bereich rein
geistiger oder überwiegend geistiger Betätigung gelockt oder
gedrängt und dort festgehalten hat; man denke an das
Abiturientenproblem und an die Überfüllung der Hochschulen.
Hierin — und das gilt in gleicher Weise für die Berufe auf
dem Grenzstreifen zwischen rein künstlerischer und gewerb-
licher Arbeit — hat man es mit einer andern Aufgabe zu
tun als der der Arbeitsbeschaffung, nämlich mit der Rück-
führung unseres gesamten geistigen Bildungs- und Berufs-
wesens von dem System einer übertriebenen und zugespitzten
Spezialisierung, die schon mehr Zerspaltung und Zersplitterung
des Volks und Verengung und Isolierung des Menschen ge-
worden ist. Dabei bleibe dahingestellt, ob nicht auch die
Berufsaufspaltung in den sogenannten „praktischen" Tätigkeiten
zu weit gediehen ist. Die Arbeitslagerbewegung, die Zusam-
menfassung der Referendare in Lagern und ähnliche Vorgänge
zeigen, wie weit ein Gefühl für diesen notwendigen Rückweg
bereits lebendig geworden ist, wenn auch das alles erst An-
fänge und noch keine hinlänglichen Lösungen sind.
Praktisch gesprochen: wer nur „entwerfen" kann und nichts
cnderes, sehe sich schleunigst nach sinnvoller Ergänzung seines
Könnens um, sei es in handwerklicher oder industrieller Praxis,
sei es auf dem kaufmännischen Feld. Und wer nach Können
und körperlichen Kräften in irgendeine Praxis solcher Art
taugt, bemühe sich weiter um sie. Denn man muß aussprechen,
daß es eine besondere Arbeitsbeschaffung für Spezialisten
des (künstlerischen oder angeblich künstlerischen) Entwurfs
nicht in nennenswertem Umfange geben kann. Sie wäre weder
dem Volk noch den scheinbar Begünstigten noch der Form-
gestaltung wahrhaft nützlich.
Nach dieser Bereinigung des gedanklichen Feldes wird die
Aufgabe in ihrer eigentlichen Form sichtbar. Was bisher zu
ihrer Lösung getan worden ist, kann mit einigen Stichworten
ins Gedächtnis gerufen werden. Für den hier betrachteten
Personenkreis waren vor allem, und sind noch weiterhin, die
Ehestandsdarlehen und die Instandsetzungsaktion für den Haus-
besitz wirksam. Die rund 70 Millionen, die bisher für Ehe-
standsdarlehen ausgegeben worden sind, haben sich restlos
umgesetzt in Anschaffungen von Möbeln, Hausgerät und
Wäsche. Die Instandsetzung von Häusern kommt einer Reihe
von Handwerkern und ihren Materiallieferanten zugute; hier
sind auch die Zuschüsse zur Teilung großer Wohnungen zu
nennen, die ja auch weitere Arbeiten am Innenausbau zur
Folge haben. Schließlich sei — abgesehen von einer Reihe
andrer mehr örtlicher Ausstellungen — an die Berliner Aus-
stellung „Die Kamera" erinnert, die eine weitverzweigte Gruppe
deutscher Qualitätsleistungen eindrucksvoll darstellte. Man
würdigt in Deutschland noch immer nicht genug die propa-
gandistische Auswirkung guter Ausstellungen.
Die förderlichen Erfolge aller dieser Maßnahmen stehen
außer Frage, sie sind auch dem nachzuweisen, der selbst
von der Welle noch nicht erfaßt ist. Doch wissen wir alle,
daß sie bei weitem nicht ausreichen, und das wissen sicherlich
auch die, die zunächst jedenfalls diese ersten Versuche einmal
unternommen haben. Das kann auch nicht anders sein, bis
jetzt nicht, aber in naher Zukunft kann es und muß es beginnen,
anders zu werden. Man kann sich das auf zwei Wegen vor-
stellen. Entweder durch einen kräftigen eigenen Anlauf der
Wirtschaft, das, was man eine Konjunktur nennt. Oder durch
weitere Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftsführung. Beides
völlig zu trennen ist nur im Gedanken, nicht in der Wirklichkeit
möglich. Beginnt bald eine Konjunktur, so ist mindestens ihr
beschleunigter Einsatz schon den bisher durchgeführten Re-
gierungsmaßnahmen mit zu verdanken.
Es gibt jedoch ein gerade für die deutsche gestaltende
Arbeit wichtiges Wirtschaftsfeld, auf dem die Regierung nur
verhältnismäßig wenig positiv Förderndes unternehmen kann.
Es ist der Außenhandel. Auf den Weltmärkten sind die
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