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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 4
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Ackerknecht, Erwin: Erwin Guido Kolbenheyer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0195

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rwin Guido Kolbenheyer.

Von Erwin Ackerknecht.

„Wer von ehrlichen Menschen über seine innerste
Angelegenheit, sein Künstlertum, gefragt wird, soll
sich nicht hinter das halbweise Wort verstecken, daß er
sich selber nicht bis aus den Grund zu erkennen vermöge.
Verstandige Menschen verlangen keine Aufschlüsse, für
die es keine Worte gibt; sie verlangen nicht einmal von
den äußeren Lebensumständen eines Schsffenden zu
hören. Sie wissen, daß eine Künsilernatur in ihren
Werken zu suchen ist, dort wo Es, unbewußt dem Schaf-
fenden, aus lebendiger Tiefe entwachsen ist. Jntimitäten
sucht der Literatursnob, dem ein wesentlicheres Verstärcd-
nis versagt bleibt.

Keinem Künstler, mag sein Leben äußerlich noch so
glatte Bahnen laufen, sind Frost und Flammen des
großen Gottes erspart geblieben. Ieder Lcser soll wissen,
wenn er ein Kunstwerk vernimmt, daß O.ual und Jubel
mächtiger als bei anderen in einem Menschen treiben
und formen müssen, ehe er ein befreiendes Werk bilden
kann. Und nur dort ist Kunst, wo auch befreit wird.
Die Aeit ist die reichere und bedeutendere, in der mehr
Menschen fähig sind, durch Kunst befreit zu werden.

Jch kann von mir nichts anderes sagen, als daß ich,
soweit meine Erinnerung zurückreicht, immer bewußter
meiner Kunst nachgehangen habe. Aufälliges und
Gelegentliches hat sie nie für mich gehabt. Und dafür
liegt der Grund viel weiter zurück, als ich selber bin.
Jn meinem Großvater, er war ein evangelischer Pfarrer,
hat der Bildnertrieb, der in meiner Familie lebt, zuerst
durch Rede und Schrift Ausdruck gefunden. Daß er für
seine Aeit Vollgültiges geschaffen hat, beweist die
Freundschaft, die ihm Friedrich Hebbel und auch Ana-
stasius Grün entgegenbrachten. Mein Vater war
Architekt. Er ist noch jung vor mehr als dreißig Jahren
gestorben. Seinen Werken wurde damals viel An-
erkennung zutcil. Er hat die größeren Bauten des
unganschen Unterrichtsministeriums (Klinik, Kinderspital)
geschaffen.

Also habe stch'' eigentlich eine lange Lehrzeit hinter
mir. Die Nötigung zu gestalten hat mich schon während
mciner Kindhcit in manche frühreife Sorgen gebracht;
ich kann nicht sagen, daß ich je kinderselig und kinderfrei
gewesen bin. Auf dem Gymncsium (in Eger) kam dann
der sürchterliche Gedächtnisdrill hinzu. Durch die ganze
Mittelschulzcit hatte ich den erbitterten Kampf zu führen,
für meine natürliche Veranlagung möglichst viel inneren
Raum zu behaupten. Erst als mir an der Alma mater
(in Wien) Freiheit des Studiums gegeben war, bin ich
ein glücklicher Mensch geworden.

Es wird wenig Studenten geben, die so froh sind,
wie ich war. Den mcisten ist die Hochschule gerade gut
genug, um das Titelchen und mit dem Titelchen ein
nährendes Amt zu liefern. Das Amt habe ich nun nicht
erlangt. Auch nicht gewollt.

Jch habe meinen ,gewachsenerck Beruf, dem muß
ich treu bleiben, ob ich will oder nicht, und der verlangt
meinen ganzen Menschen. Mag nun unsere Ieit aus
ihrem industriellen, bureaukratischen und militärischen

Geiste heraus diesen Beruf als etwas Nebensächliches,
Unnötiges ansehen — als Bciwerk, kaum so viel wert,
ein genießbares Dcssert zu berciten! Mögen darum auch
die litera.ischen Auckerbäcker und Sektkcllner in gönner-
haft hohem Preise stehen! Jch weiß, daß es viele gibt,
die auch heute durch Kunst innerlich befreit werden
können. Für die schreibe ich mcine Bücher."

So schrieb im Frühjahr 1913 der deutsch-böhmische
Dichter E. G. Kolbenheyer. Er war damcls noch nicht
35 Jahre alt, schien aber in kurzem, stcilem Anstieg
bereits die Höhe seines Könnens erschritten zu haben.
Da kam der Krieg und kelterte auch aus dicser Dichter-
seele einen noch edleren Wein, an schlimmster Not das
alte Wort bewährend, daß denen, die Gott lieben, alle
Dinge zum Besten dienen müssen.

Wie andere ausgezeichnete deutsche Erzähler der
Gegenwart — Wilhclm Schäfer, Hans Grimm und
Franz Nabl — ist auch Kolbenheyer zunächst mit cinem
dramctischen Werk hervorgetreten. Er war noch Student
(1903) und vermochte seinem „Giordano Bruno" nur
den ideclen Schwung echter Verehrung und die Freude
an starken Worten und Bildern mitzugeben. Im übrigen
verrät dicses typische Erstlingswerk mit dem stolzen
Untertitcl „Die Tragödie der Rencissance" noch fast
nichts davon, daß hier einer der Mcister des historischen
Romans auf den Plan trat. Kein Wunder, denn im
Bereich des Dramas konnte dicser ausgcsprochen episch
veranlagte Dichter nicht zu sciner Eigenform durch-
dringen. Aber eins ist doch wichtig an dicsem ersten
Versuch und weist auf sein späteres Schcffen bezeichnend
hinaus: scine Stoffwahl. Die weltanschaulich ticf er-
regten Geister und unter ihnen wieder die eigentlichen
„Übergangsmenschen" haben es ihm von Anfang an
besonders angetan.

So war es wiederum ein Philosoph, den sich Kolben-
heyer zum Helden seines zweiten Werkes erkor: Benedikt
Spinoza. „Amor Dei" 1909)^) nannte erseinen Roman
nach jenem Aentralbegrisf der spinozisiischen Gedanken-
welt, in dem sich das mystische Hcilsverlangen desgroßen
Einsiedlers so merkwürdig abzufinden sucht mit sciner
nihilisiischen Gefühlsfeindschaft und Aergeistigungssucht.
So wissen wir von vornherein, daß nicht so sehr der
Kopf als das Herz Spinozas der Schauplatz der Hand-
lung sein werde, die in einer Fülle frischgemalter Einzel-
bilder dargeboten wird. Von allen Werken Kolbenheyers
hat dicses bis jetzt die höchste Auflagenzahl erreicht.
Begreiflicherwcise, denn es fordert nicht dasselbe hohe
Maß von geistiger Konzentration vom Lcser wie die
späteren Romane; aber auch — eben im Hinblick auf die
späteren Werke gesprochen — bedauerlicherweise, denn
es zeigt den Dichter noch nicht auf der Höhe seiner Kunst.
So kühn und lebendig durchweg die Darstellung ist, so
ausgezeichnet manche Einzelszenen gelungen sind —
noch fehlt die beschränkende Meisterschaft der großen
Linie, noch flimmert das Ganze in einem nervösen
Jmpressionismus, den bezeichnenderweise die durch-
gehende Gegenwartsfor m der Erzählung noch unruhiger
erscheinen läßt.

* Wie alle folgenden Werke Kolbenheyers bei Georg Müller
in München erschienen.

- 18Z

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