1906
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 5
Amtszimmer des K. Regierungspräsidenten
in Bayreuth.
Entwurf von Bruno Paul.
Ausgeführt von den Vereinigten Werkstätten
für Kunst im Handwerk in München.
Theodor Fischers Schulbauten, die schon geraume Zeit
zurückliegen, heranziehen will. Das kann bei einer so
stattlichen Anzahl von hierzu einwandfrei befähigten und
begabten Kräften nicht genug bedauert werden. Gar zu
stark ist noch die Erinnerung an die Zeit, die in der
Pflege der historischen Stilarten alles Heil erblickte. Und
fassen wir München als das, was es ist, als den Schwer-
punkt Bayerns in Kunstfragen, so muß es eben so
schmerzlich wie eigentümlich berühren, daß man nicht
einmal in der zweitgrößten Stadt des Landes, in Nürn-
berg, so klug beraten war, sich für eine Aufgabe, wie
sie sich nur selten bietet, eine Münchener Kraft zu sichern.
Weit entfernt davon in der Kunst engherzige Politik zu
treiben, fragt man sich: Gab es unter den Künstlern
des Landes nicht einen einzigen, der nicht etwas Besseres
zu schaffen vermocht hätte als dieses innen wie außen
wenig erfreuliche Stadttheater von dem bekanntenTheater-
bauer Seeling in Berlin. Hier wäre ein Feld für Archi-
tektur und angewandte Kunst und ihre Münchener
Vertreter gewesen. Wußte man dort nichts von Riemer-
schmids Schauspielhaus, nichts von Dülfers Theater in
Meran oder gar von seinem unvergleichlichen Theater
in Dortmund, das, ganz abzusehen von seiner groß-
zügigen mächtigen Außenarchitektur, in seinen Wandel-
gängen, den Garderoben und Erfrischungsräumen die Münchener
angewandte Kunst auch außerhalb Bayerns ehrenvoll vertritt?
Doch was helfen Klagen, wo es zu spät ist!
Die höheren Stellen in Bayern verschließen sich aber
keineswegs der Einsicht, daß die junge Kunst, wie wir sie
im Gegensatz zu den starkgläubigen und starrsinnigen An¬
hängern retrospektiven Schaffens hier in München noch nennen
müssen, sich ebensosehr ein gutes Recht auf Achtung und
Anerkennung in heißen Kämpfen errungen hat, als wie sie
einen Faktor von weittragendster Bedeutung für die kulturelle
und wirtschaftliche Zukunft des Landes bedeutet. Dies hat
einesteils das bayerische Kultusministerium dadurch bewiesen,
daß es durch Überlassung des alten
Nationalmuseums im Jahre 1901 und
des Studiengebäudes am neuen Na-
tionalmuseum im verflossenen Jahre
die beiden bedeutendsten Kund-
gebungen angewandter Kunst er-
möglichte; anderseits hat das baye-
rische Verkehrsministerium bei der
Neuschöpfung des Bodenseedamp-
fers »Lindau« der Moderne ihren
Anteil zuerkannt und den feinsinni-
gen und sachgemäßen Vorschlägen
und Entwürfen Hans von Berlepschs,
des Raumkünstlers der Säle und Ka-
binen, das einsichtsvollste Entgegen-
kommen bewiesen. Ein gleicher
Dampfer soll im gleichen Sinne durch
Beckeraths Kunst ausgestattet wer-
den. Steht dieser Auftrag bis jetzt
auch nur vereinzelt da, und war die
Aufgabe mehr interessant als umfang-
reich und wechselgestaltig, so ist
doch damit ein Anfang gegeben.
Eine kurze Entwicklungsge-
schichte, einen Überblick über Wer-
den und Wandel der angewandten
Kunst in München hierzu geben, war
die Absicht; eine Skizze ist es ge-
worden. Manches Werkes, wie etwa
verschiedener Räume der Warenhäu-
ser Tietz und Oberpollinger, manches
Künstlers noch, wie z. B. Emanuel
Seidls und Bernhard Pankoks, konnte
nicht entsprechend Erwähnung ge-
schehen. Doch es mag genügen, was
wir brachten! Müssen angesichts des
jugendfrischen Schaffens so zahl-
reicher, eigenkräftiger, zielbewußter
und feinfühlender Künstler nicht
doch allmählich die abergläubigen
Käuzchenrufe vom Untergang Mün-
chens als Kunststadt verklingen?!
Bibliothekzimmer.
Entwurf von W. von Beckerath.
Ausgeführt von den Werkstätten für Wohnungseinrichtung Karl Bertsch in München.
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ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 5
Amtszimmer des K. Regierungspräsidenten
in Bayreuth.
Entwurf von Bruno Paul.
Ausgeführt von den Vereinigten Werkstätten
für Kunst im Handwerk in München.
Theodor Fischers Schulbauten, die schon geraume Zeit
zurückliegen, heranziehen will. Das kann bei einer so
stattlichen Anzahl von hierzu einwandfrei befähigten und
begabten Kräften nicht genug bedauert werden. Gar zu
stark ist noch die Erinnerung an die Zeit, die in der
Pflege der historischen Stilarten alles Heil erblickte. Und
fassen wir München als das, was es ist, als den Schwer-
punkt Bayerns in Kunstfragen, so muß es eben so
schmerzlich wie eigentümlich berühren, daß man nicht
einmal in der zweitgrößten Stadt des Landes, in Nürn-
berg, so klug beraten war, sich für eine Aufgabe, wie
sie sich nur selten bietet, eine Münchener Kraft zu sichern.
Weit entfernt davon in der Kunst engherzige Politik zu
treiben, fragt man sich: Gab es unter den Künstlern
des Landes nicht einen einzigen, der nicht etwas Besseres
zu schaffen vermocht hätte als dieses innen wie außen
wenig erfreuliche Stadttheater von dem bekanntenTheater-
bauer Seeling in Berlin. Hier wäre ein Feld für Archi-
tektur und angewandte Kunst und ihre Münchener
Vertreter gewesen. Wußte man dort nichts von Riemer-
schmids Schauspielhaus, nichts von Dülfers Theater in
Meran oder gar von seinem unvergleichlichen Theater
in Dortmund, das, ganz abzusehen von seiner groß-
zügigen mächtigen Außenarchitektur, in seinen Wandel-
gängen, den Garderoben und Erfrischungsräumen die Münchener
angewandte Kunst auch außerhalb Bayerns ehrenvoll vertritt?
Doch was helfen Klagen, wo es zu spät ist!
Die höheren Stellen in Bayern verschließen sich aber
keineswegs der Einsicht, daß die junge Kunst, wie wir sie
im Gegensatz zu den starkgläubigen und starrsinnigen An¬
hängern retrospektiven Schaffens hier in München noch nennen
müssen, sich ebensosehr ein gutes Recht auf Achtung und
Anerkennung in heißen Kämpfen errungen hat, als wie sie
einen Faktor von weittragendster Bedeutung für die kulturelle
und wirtschaftliche Zukunft des Landes bedeutet. Dies hat
einesteils das bayerische Kultusministerium dadurch bewiesen,
daß es durch Überlassung des alten
Nationalmuseums im Jahre 1901 und
des Studiengebäudes am neuen Na-
tionalmuseum im verflossenen Jahre
die beiden bedeutendsten Kund-
gebungen angewandter Kunst er-
möglichte; anderseits hat das baye-
rische Verkehrsministerium bei der
Neuschöpfung des Bodenseedamp-
fers »Lindau« der Moderne ihren
Anteil zuerkannt und den feinsinni-
gen und sachgemäßen Vorschlägen
und Entwürfen Hans von Berlepschs,
des Raumkünstlers der Säle und Ka-
binen, das einsichtsvollste Entgegen-
kommen bewiesen. Ein gleicher
Dampfer soll im gleichen Sinne durch
Beckeraths Kunst ausgestattet wer-
den. Steht dieser Auftrag bis jetzt
auch nur vereinzelt da, und war die
Aufgabe mehr interessant als umfang-
reich und wechselgestaltig, so ist
doch damit ein Anfang gegeben.
Eine kurze Entwicklungsge-
schichte, einen Überblick über Wer-
den und Wandel der angewandten
Kunst in München hierzu geben, war
die Absicht; eine Skizze ist es ge-
worden. Manches Werkes, wie etwa
verschiedener Räume der Warenhäu-
ser Tietz und Oberpollinger, manches
Künstlers noch, wie z. B. Emanuel
Seidls und Bernhard Pankoks, konnte
nicht entsprechend Erwähnung ge-
schehen. Doch es mag genügen, was
wir brachten! Müssen angesichts des
jugendfrischen Schaffens so zahl-
reicher, eigenkräftiger, zielbewußter
und feinfühlender Künstler nicht
doch allmählich die abergläubigen
Käuzchenrufe vom Untergang Mün-
chens als Kunststadt verklingen?!
Bibliothekzimmer.
Entwurf von W. von Beckerath.
Ausgeführt von den Werkstätten für Wohnungseinrichtung Karl Bertsch in München.
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