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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 22.1906

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Heft 4
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Geßner, Albert: Das Miethaus, ein Stiefkind der Architektur!
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1906

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 4

Das Miethaus, ein Stiefkind der Architektur!
Von Architekt Albert Geßner in Berlin.

n den Klagen über die künstlerische Unkultur unsrer
Zeit findet sich, von manchen Seiten häufig wiederholt,
die Behauptung, daß das Miethaus wesentlich mit zu
den unhaltbaren Zuständen auf ästhetischem Gebiete beitrage.


Es liegt dann nahe, dem Miethaus, das auch von andrer
bodenrefor-

Straßenbild vom Kurfüstendamm in Berlin.


merischer
Seite stark an-
gegriffen wird,
überhaupt die
Berechtigung
abzusprechen,
und das Woh-
nen auf dem
Lande als idea-
les Endziel hin-
zustellen. Hier
soll weder un-
tersucht wer-
den, wieviel sich
von den boden-
reformerischen
Ideen verwirk-
lichen lassen


wird, noch soll etwa ein Loblied auf ein alleinseligmachen-
des Mustermiethaus angestimmt werden. Es sei nur die
wohl nicht zu leugnende Tatsache betont, daß die Großstadt,
die eben das Enganeinanderwohnen von Menschen bedingt,
in der ganzen geschichtlichen Entwicklung immer die höhere
Kulturform bedeutet, und daß nach dem Gange städtischer
Entwicklung noch auf geraume Zeit ein Übereinanderwohnen
in mehreren Stockwerken notwendig sein dürfte. Es ist wohl
denkbar, daß die Ingenieurkunst, die uns im vergangenen
Jahrhundert nie Geahntes beschert hat, auch hier neue Wege
zeigt, und eine ganz neue Perspektive für das Leben nach-
folgender Generationen eröffnet, indem sie die Verkehrsmittel
derart vervollkommnet, daß die Städte einen bedeutend größe-
ren Flächenraum als jetzt einnehmen können. Aber es würde
auch dann wohl immer noch einen Stadtkern geben, in dem
sich das wirtschaftliche und geistige Leben konzentriert und
in dem das Etagenhaus auch für Wohnzwecke nicht ganz
wird entbehrt werden können. Diese Entwicklung der Städte,
die ja die Geschichte der neuesten Zeit bereits andeutet, wäre
gewiß im Interesse des dauernden geistigen und leiblichen
Wohlbefindens der Großstadtbevölkerung zu wünschen. Das
sind aber mit vereinzelten Ausnahmen vorläufig noch Zukunfts-
bilder, über denen wir die praktischen Erfordernisse der Ge-
genwart nicht vergessen dürfen. Außerdem hängt eine solche
Entwicklung noch von so viel andern Bedingungen ab, daß
man unmöglich voraussagen kann, wie und wann das Ziel
erreicht wird.

Straßenbild vom Kurfürstendamm in Berlin.

Bleiben wir also
bei der Gegen-
wart und er-
kennen das
Miethaus als
eine wirtschaft-
lich berechtigte
Form des
Wohnhauses
an, so fehlt je-
der stichhaltige
Grund für die
Behauptung,
daß dasselbe
nicht ebenso
künstlerisch ge-
löst werden

könnte, wie jede andre Aufgabe. Mag immer der Ästhetiker
das Einzelwohnhaus seines individuellen Gepräges wegen höher
schätzen, warum sollte es deshalb unmöglich sein, auch für
das Miethaus einen künstlerischen Ausdruck zu finden, der im
Typus genügend Spielraum zur Mannigfaltigkeit gewährt?
Gewiß werden neben den ästhetischen auch wirtschaftliche
Mißstände zu beseitigen sein, bevor eine Besserung zu erwar-
ten ist, und der Architekt muß sich eben auch mit diesen Fragen
beschäftigen, wenn er seine Kunst mit dem Leben verbinden
und wirklich Lebensfähiges schaffen will. Er muß in die wirt-
schaftlichen Verhältnisse der Zeit eindringen, wenn sein Ein-
fluß auf die Gestaltung der Städte nicht stets so gering bleiben
soll, wie gegenwärtig. Davon kann sich jeder bei einer Wan-
derung durch die Straßen überzeugen! Im Städtebild stellen
die öffentlichen Gebäude gewissermaßen nur die Pointen
der Gesamtanlage dar. Die eigentliche Hauptmasse bildet das
Wohnhaus, jetzt das Miethaus, das der Erbauer nicht für
eigene Wohnzwecke errichtet, das vielmehr als geschäftliches
Unternehmen zu betrachten ist. Dieses Miethaus ist seit langem
ein Stiefkind der Architektur, d. h. es wird nie so recht unter
die Aufgaben gerechnet, deren sich ein zünftiger Architekt mit
Interesse anzunehmen hätte. Daß neben dem Aussehen der
einzelnen Gebäude die Stadtanlage, d. h. der Stadtplan von
höchster Bedeutung für das Stadtbild ist, kommt erfreulicher-
weise immer all¬
gemeiner zum
Bewußtsein,
wenn wir auch
noch weit davon
entfernt sind,
dieses Gebiet
zu beherrschen.
Sollten wir aber
einmal dahin ge¬
langen, daß alle
Stadtpläne nach
künstlerischen
Gesichtspunk¬
ten aufgestellt
werden, so
müßte doch der
Aufbau in die¬
sem Stadtplan
unbedingt der-
art ausgeführt werden, daß nicht nur die Gesamtanlage, sondern
auch jedes einzelne Gebäude unser ästhetisches Bedürfnis be-
friedigt. Es muß also jedenfalls eine den gegebenen Bedin-
gungen wie den künstlerischen Anforderungen entsprechende
Form für das vorherrschende Stadthaus gefunden werden.
Daß wir uns auf dem Wege hiezu noch nicht befinden,
wie uns manche Fach- und Tageskritiken gern glauben machen
möchten, sei an der Hand der beigegebenen Beispiele aus einer
der »prächtigsten« Straßen Berlins dargetan. Die Beispiele sind
nicht gewählt, weil es die schlechtesten Häuser in Berlin oder
in dieser Straße sind, auch nicht weil es die besten sein sollen;
sie sind eben der Typus in denjenigen Straßen, die vorzugsweise
von der wohlhabenderen Bevölkerung zum Wohnen aufgesucht
werden. Sie sind gewählt, weil sie durchgängig erst in der
allerjüngsten Zeit, etwa in den letzten 3 bis 4 Jahren entstan-
den sind und somit wohl den durchschnittlichen künstlerischen
Ausdruck der allerjüngsten Zeit auf dem Gebiete des sog.
»vornehmen« Miethauses darstellen.
Für jedes unbefangene, nicht durch »Architektur« verdor-
bene Auge ist aus diesen Bildern wohl zu sehen, daß es den
Erbauern nicht darauf ankam, ein Haus zu errichten, sondern
eine prunkvolle Fassade mit höchstmöglichem Formenreichtum
zu komponieren, einen sinnbetörenden Überfluß von Formen,
Profilen, Ornamenten, Erkern, Aufbauten etc. zu schaffen. Und


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