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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 22.1906

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Heft 4
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Geßner, Albert: Das Miethaus, ein Stiefkind der Architektur!
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IQ06

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 4

wenn dann in
endloser Anein-
anderreihung
solche formen-
strotzende Fas-
sadenphanta-
sieen dastehen,
so nennt man
das eine»Pracht-
straße« , ob-
gleich diese
Häufung ge-
radezu zu einem
Verbrechen an
den Nerven der
Menschen wer-
den kann.
Es darf wohl
die Frage auf-
geworfen werden, ob der Verfasser eines solchen Fassaden-
entwurfs auch nur einmal daran gedacht hat, daß es seine
Aufgabe war, einem Wohnhaus, wenn auch in dem Geschäfts-
typus des Miethauses, den künstlerischen Ausdruck zu geben?
Nehmen wir dabei zur Entschuldigung an, daß bei dem Vor-
herrschen des Parvenü- und Protzentums in diesen Straßen
die bescheidene logische Einfachheit noch lange nicht zum
Worte kommen wird, und daß noch auf lange Zeit hinaus
Palastnachahmungen entstehen sollen. Aber selbst zugegeben,
der Gedanke wäre richtig, diesen »vornehmeren« Miethäusern
einen palastartigen Ausdruck zu geben; ist dies etwa erreicht?
Müßte sich der wirkliche Palast nicht — wie die alten Paläste
gerade durch vornehme Ruhe auszeichnen? Daß aber der
Palastgedanke an sich schon absurd ist, braucht wohl nicht
erst bewiesen zu werden. Es fehlt eben diesen Kompositionen,
die so außerordentlich viel zeichnerisches Geschick ihrer Ver-
fasser verraten, meist die leitende Idee, der Ernst, das Verant-
wortlichkeitsgefühl des Erbauers.
Man wird einwenden, solche Häuser seien ja gar nicht
von Architekten entworfen ! Natürlich wird man dabei bekannteren
Namen seltener begegnen, aber darum handelt es sich ja auch
nicht, sondern nur um das durchschnittliche Niveau unsres
Könnens. Es ist eben gerade die unerfreulichste Beobachtung,
daß dieses Fassadenbilden heute fast durchgängig von geschul-
ten und zeichnerisch tüchtigen, wenn auch vielleicht jüngeren
Architekten geschieht, und wir dabei auf ein schlechteres Niveau
kommen, als zu Zeiten, wo der ausführende Meister das Kleid
des Hauses selbst verfertigte.
Auch der Einwand ist nicht mehr stichhaltig, daß die
betreffenden Architekten für diese ihre Arbeiten gar nicht ein-
treten wollen, denn in den meisten Fällen wird heute der ent-
werfende Architekt genannt. Aber er übernimmt die Aufgabe,
indem er entweder überhaupt nur zeichnet und sich nicht dar-
um kümmert, ob seine Gedanken in der richtigen Weise in
die Wirklichkeit übersetzt werden, oder er übernimmt den Auf-
trag und behandelt ihn als Nebensache. Dabei heißt es, der
Bauherr der in
den meisten Fäl-
len hier Aus-
führender oder
doch bis zu
einem gewissen
Grade Fach-
mann ist, wolle
den Einfluß des
Architekten auf
die Ausführung
gar nicht. Das
mag richtig sein.
Aber einerseits
liegt das daran,
daß er genug
Wohnhaus am Kurfürstendamm in Berlin. Architekten fin-



det, die keinen besonderen Wert darauf legen, ihren Einfluß
geltend zu machen. Anderseits sind die zeichnerischen Phan-
tasieen oft so kühn und ihre Verfasser so weit vom prakti-
schen Leben entfernt, daß es dem Bauherrn um die Rentabilität
seines geschäftlichen Unternehmens bange werden muß. Der
Architekt kann doch nicht verlangen, daß der Bauherr ihm
zuliebe statt eines Miethauses ein formenstrotzendes Architektur-
denkmal in Granit und Marmor errichtet, das freilich leicht
aufs Papier gezaubert war.
Hier ist es eben die Aufgabe des Architekten, mit allen
ihm zu Gebote stehenden Mitteln Materialechtheit nicht nur
zu predigen, sondern zu betätigen, und zwar so zu betätigen,
daß er von vornherein seinen Entwurf in den Grenzen hält,
die für die Ausführung eines Miethauses, d. h. eines geschäft-
lichen Unternehmens gezogen sind. Gerade mit geringen
Mitteln und mit bescheidenen Stoffen Vollendetes zu schaffen,
ist auch künstlerisch wertvoll.
Wenn also jetzt tatsächlich der Einfluß der Architekten
auf die Ausführung meist sehr gering ist, so mögen sie selbst
eine Besserung anbahnen, indem sie zunächst auf die Formen-
überschwenglichkeit verzichten, die nur mit bedeutenden Mitteln
einigermaßen genießbar auszuführen ist, und dann ihr Recht
auf Beeinflussung der Ausführung nachdrücklichst geltend
machen.
Im Interesse unsrer Kunst, die keine Papier-, sondern
Wirklichkeitskunst sein soll, wäre das dringend zu wünschen
und wenn Ver¬
eine ihren Mit¬
gliedern ideale
Verpflichtungen
bezüglich der
Honorarforde¬
rungen und der
Beteiligung an
Wettbewerben
auferlegen, so
sollten sie ihre
Mitglieder auch
verpflichten, ih¬
ren Einfluß auf
die Ausführung
ihrer Entwürfe
geltend zu ma¬
chen. Das wäre
für die Entwick¬
lung unsrer Ar-
chitektur jedenfalls wichtiger und zwar um so mehr, je geringer
z. Z. die gute Überlieferung im Bau- und Kunsthandwerk ist
und je weniger der Handwerker selbst zwischen gutem Alten
und Neuen und den zweifelhaften Erscheinungen und un-
zweifelhaften Auswüchsen zu unterscheiden vermag.
Vielleicht ist aber der Einfluß der entwerfenden Architek-
ten auf die Ausführung dieser Miethäuser gar nicht so ganz
ausgeschlossen und diese Häuser stellen demnach das künst-
lerische Glaubensbekenntnis der Entwerfenden dar? Offenbart
sich darin etwa ein Mangel unsrer Schulung? Vielleicht inso-
fern, daß man gegenwärtig zu viel Gewicht auf das Zeichnen,
auf die Darstellung legt, daß man darüber vergißt, wie man
das Dargestellte herstellen will, daß man die Architekturzeich-
nung als Selbstzweck betrachtet? Dann müßte man dafür
neben unsrer auf Hochschulen und Schulen geübten Erziehung
zum Formalen und Ornamentalen wohl auch die Wettbewerbe,
das Ausstellungswesen und die Publizistik verantwortlich
machen, denn diese haben wohl oft dazu beigetragen, von dem
Natürlichen, dem Einfachen, dem Normalen abzulenken und
zum Extravaganten, Abnormen, noch nie Dagewesenen zu
verlocken.
Aber mag der Einfluß der Fassadenzeichner auf die Aus-
führung zu schwach oder zu geringwertig sein, unleugbar
vorhanden sind die typischen Grundfehler, welche das künst-
lerische Ausreifen der Miethausfassade unmöglich machen.
Neben dem falschen Pathos, der falschen Monumentalität steht

Straßenbild vom Kurfürstendamm in Berlin.


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