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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 22.1906

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Heft 4
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Geßner, Albert: Das Miethaus, ein Stiefkind der Architektur!
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https://doi.org/10.11588/diglit.44851#0041

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1906

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 4

der falsche Schein. Eine Fassade aus Putz, der Sandstein
vorstellen soll, ist das Alltägliche. Noch unerfreulicher wirken
die Häuser, denen man ansieht, daß sie für Werkstein gezeich-
net sind, die aber im gewöhnlichsten Putz mit Gipsornamenten
unfertig und trostlos dastehen und geradezu nach dem Öl-
farbenanstrich lechzen.
Die Materialechtheit und das Bestreben, für jedes Material
den künstlerischen Ausdruck zu finden, sind natürlich nicht
das Einzige. Nottut vor allem die Rückkehr zur Einfachheit
und ein intensives Streben nach Poesie. Darunter sei aber bei
Leibe nicht die noch immer in allerhand Formen grassierende
Butzenscheibenpoesie verstanden, auch ist das Wort »malerisch«
absichtlich vermieden, das heute fast gleichbedeutend gewor-
den ist mit der Häufung von Motiven und zerrissenen Umriß-
linien. Auch in der Symmetrie kann ja Poesie liegen! Und
wenn wir uns an solcher ungekünstelten Poesie vergangener
Zeiten erfreuen und daraus Anregungen für unser Schaffen
suchen wollen, so brauchen wir nur aufs Land zu gehen,
d. h. dahin, wo in vergangenen Zeiten unbeeinflußt von Archi-
tekturströmungen und ohne äußerlich stilistischen Formalismus
einfach logisch gebaut wurde. -
Wir finden die echte Poesie am bescheidensten Häuschen,
an dem auch nicht die Spur jener komplizierten Konzeption
zu finden ist, die an unsern modernen Bauten gemeinhin als
malerisch und poesievoll verstanden wird. — Einfache sach-
liche Logik und doch — oder gerade? Poesie?
Ebenso ge-
fährlich wie das
Streben nach
unechter Poesie
ist das nach
>; Monumentali-
tät«. Erhaben-
heit auszudrük-
ken mag das
höchste Streben
der Architektur
sein, aber man
darf nicht ver-
gessen, daß die-
ses allerhöchste
Ziel nur bei be-
sonderen Auf-
gaben gesteckt
werden kann, die verhältnismäßig höchst selten vorkommen.
Das müßte schon bei unsrer Hochschulbildung entsprechend
berücksichtigt werden durch den Hinweis, daß 99 vom Hundert
aller unsrer Arbeiten ein ganz andres Ziel haben sollten.
Legen wir Deutsche eine gewisse Gemütstiefe in unsre
Arbeiten, so werden wir auch echte Heimatskunst schaffen,
die weder auf der Nachahmung von Arbeiten vergangener
Zeiten beruhen, noch kleinlich in Provinzen eingeengt werden
muß. Lassen wir den antiken Tempeln, den gotischen Domen
die Erhabenheit. Wir können den Ideen, aus denen jene Werke
entstanden sind, in unserm modernen Leben wohl kaum ähn-
liches zur Seite stellen. Uns braucht um unsre Kunst des-
halb nicht bange zu sein. Auch ohne diese Monumentalität
ist Kunst möglich, und sie sollte bei jeder Aufgabe zu Worte
kommen, jedenfalls nicht zuletzt am Miethaus, von dessen
Gestaltung unsre Straßenbilder wie die Tausende und Aber-
tausende der Bewohner beeinflußt werden unendlich schäd-
lich oder segensreich — je nach dem inneren Gehalte an Kunst.
Und gerade beim Miethaus, als der hauptsächlichsten Form
des städtischen Wohnhauses, könnte deutsche Gemütstiefe
zu Worte kommen und unser Schaffen durchdringen. Ge-
trost könnten wir dann Monumentalität andern Aufgaben,
äußerste Pracht- und Formenschönheit und überfeinerte Ele-
ganz andern Völkern überlassen! Warum lassen wir Material-
echtheit ohne Pedanterie, Logik im Grundriß und Aufbau, un-
gesuchte Einfachheit und echte Poesie beim Einzelhaus ohne
weiteres als Grundgesetze der künstlerischen Durchbildung
gelten und beim Miethause nicht?

Straßenbild vom Kurfürstendamm in Berlin.


Das Miet¬
haus verlangt
eben die gleiche
liebevolle Be¬
handlung, ja
bei ihm steigert
sich die Arbeit,
weil nicht eine,
sondern viele
Wohnungen zu
schaffen sind,
und jede ein-
zelneWohnung
eine gewisse
individuelle Be¬
handlung erfah¬
ren soll. Es ist
ja nicht nötig,
daß die Wohnungen in fünf Etagen übereinander absolut gleich
sind. Durch veränderte Verteilung der Fenster, durch ver-
schiedene Balkone, Erker und Loggien, durch Verschiebungen
der nicht tragenden Wände etc. lassen sich immer noch so viel
Verschiedenheiten in die sonst gleichen Wohnungen bringen,
daß jede derselben ein andres Gesicht bekommt. Und gerade
diese Momente sind ja für die Gestaltung des Äußeren so un-
endlich wertvoll.
Bei allen diesen Erfordernissen und Einzelbedingungen
ein Ganzes zu schaffen, ist dann die Arbeit des Architekten
und je mehr er es versteht, trotz der Verschiedenheit des Ein-
zelnen eine klare Gesamtform zu schaffen, um so mehr wird er
zum Typus hinarbeiten. Die Behäbigkeit, Gemütlichkeit, welche
wie bei jedem Wohnhaus auch beim Miethaus nicht fehlen
dürfte, weil es eben ein Wohnhaus ist, kann dadurch erreicht
werden, daß man die Etagenhöhen einschränkt und so das
Gesamthaus niedriger gestaltet. Es ist dies ein nicht zu unter-
schätzendes Moment auch für die ästhetische Wirkung unsrer
Straßenzüge, die fast alle unter zu großer Höhe der begrenzen-
den Fronten leiden. Lieber sollte man baupolizeilicherseits
mehr Konzessionen in dem zulässigen Dachneigungswinkel
machen und dafür die zulässige Höhe der Hauptgesimslinie
etwas einschränken. Dann würden auch von selbst wieder
Dächer entstehen, die man von der Straße aus sehen kann.
Aber auch nach den jetzigen baupolizeilichen Bestimmungen
ist es bei freiwilliger Beschränkung der Höhe möglich eine
Dachform zu bekommen, die der Größe des Hauses angemes-
sen ist. Man kann ja auch das Dach noch ein Stück auf die
senkrechte Wandfläche herunterziehen, um es zu vergrößern
und so den schützenden Eindruck noch mehr zu betonen.
Aus der Einschränkung der Zimmerhöhen geht von selbst
die Verringerung der Fensterhöhen hervor. Wenn auch im
allgemeinen beim städtischen Miethaus für größeren Lichtein-
fall gesorgt werden muß, als beim Landhaus, so braucht dies
doch nicht über¬
trieben zu wer¬
den, weil man
durch die ver¬
meintliche hy¬
gienische Ver¬
besserung fast
immer eine
ästhetische Ver¬
schlechterung
des Raumes her¬
vorruft. Auch
dürfte es in
vielen Fällen
durchaus an¬
gängig sein, die
Fenster einmal
nicht bis zur
Decke herauf¬
zuziehen und
Detail eines Wohnhauses am Kurfürstendamm.


Straßenbild vom Kurfürstendamm in Berlin.


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