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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 22.1906

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Heft 8
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Putzfassaden und Zierputz
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https://doi.org/10.11588/diglit.44851#0069

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1Q06

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 8

6. Stallgebäude des Herrn Kommerzienrat Leicht in Vaihingen. Architekten: Eisenlohr & Weigle, Oberbauräte in Stuttgart.
(Zu Tafel 59—61. Grundriß auf S. 64.)


Putzfassaden



“ ei den landläufigen Entrüstungsausbrüchen der Kunst-
ästhetiker über »unechtes Material« und »Surrogat-
Li bauweise« kommt die arme Putzfassade gewöhnlich

am ersten dran und am schlechtesten weg. Die mit dem Brust-
töne selbstverständlichster Überzeugung vorgetragene abso-


Land- und Amtsgericht I
in Berlin.
Nebenportal in der
Neuen Friedrichstraße.

Architekten: Geh. Ober-
baurat P. Thoemer und
Landbauinspektor Prof.
O. Schmalz in Berlin.

lute Verurteilung dieses
»minderwertigen, eine
künstlerische Architek-
tur gar nicht zulassen-
den Scheinwesens«, das
nur dem Unternehmer-
tum seine Entstehung
und sein Dasein ver-
danken soll, klingt ja so
gut und läßt sich auch
vom Laien so bequem
nachsprechen, daß man
Widerspruch gar nicht
erwartet. Und doch!
Was ist denn eigent-
lich »unechtes Material«
und was »Surrogatbau-
weise«? Gibt es etwas
von Haus aus Unechtes,
das nicht erst unecht
wird durch den falschen
Gebrauch, den man da-
von macht, um eine
Scheinvorstellung da-
durch zu erwecken?
Wenn aber das Material
an sich echt ist, so ent-
steht doch auch die »Sur-
rogatbauweise« nicht
schon durch dessen
Verwendung überhaupt,
sondern wieder nur
durch eine Vorspiege-

lung falschen Scheins, an der weder der Putz noch die Putz¬

bauweise selbst irgendwelche Schuld tragen. Trotzdem leiden
beide jetzt nicht nur in der Auffassung der Laien unter dem
ungerechtfertigten Mißkredit, in den sie durch jahrzehntelange
mißverständliche oder absichtlich falsche Anwendung gekommen
sind. Eine Putzfassade ist nach der landläufigen Auffassung
gar nicht zu vergleichen mit einer aus »echten« Werksteinen

und Zierputz.
oder Ziegeln, ja aus Kunststein. Ist nun die Anwendung von
Kunststein oder die Verblendung einer Ziegelmauer mit dünnen
Werksteinstücken vielleicht eine echtere Bauweise als der Putz-
bau an sich?
Also kommt es nur darauf an, sich das Wesen des Putz-
baus klarzumachen und ihn ehrlich als das zu behandeln,
was er ist, und nicht, wie dies bisher jahrzehntelang fast aus-
nahmlos geschehen ist und noch heute weitaus überwiegend
geschieht, damit ganz anders geartete Materialien und aus
deren Anwendung hervorgegangene Konstruktionen nachahmen
zu wollen.
Das freilich ist Surrogatbau, wenn man in Putz Quader-
bau und Hausteingesimse nachahmt, Fugen einschneidet, um
das Steingefüge vorzutäuschen, und den Putz selbst möglichst
»sandsteinartig« herzustellen versucht. Wenn aber der Putz
als Flächenüberzug angewendet und dargestellt wird, der eine
an sich unschöne und des Überzugs bedürftige Fläche ver-
kleiden und veredeln soll, so ist er ebenso materialecht und
ebenso logisch begründet, wie z. B. der schützende und ver-
schönernde Überzug, den man dem Eisen durch Anstrich oder


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Land- und Amtsgericht I in Berlin. Architekten: Geh. Oberbaurat P.Thoemer und
Hof 11 (Ost- und Südseite). Landbauinspektor Prof. O. Schmalz in Berlin.
 
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