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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1887

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Heft 7/8
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Muther, Richard: Die Anfänge der Genre- und Landschaftsmalerei, [1]: Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbeverein am 11. Januar 1887 von Dr. Richrad Muther
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https://doi.org/10.11588/diglit.6902#0055

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schriften eine andere. Hier sehen wir keinen Goldgrund,
sondern mit liebevoller Sorgfalt werden die landschaftlichen
Hintergründe ausgemalt. Die Landschaften werden mit
Burgen besetzt, wie sie die Rünstler vor ihren Augen sahen;
die Figuren, die sich darin bewegen, treten uns als mittel-
alterliche Bürger in der Tracht des alltäglichen Lebens ent-
gegen. Die Gestalten sind hier gedrungener als auf den
Tafelbildern und stellen sich in behaglicher Breite, oft mit
gespreizten Beinen hin. Die Glieder sind kräftiger, die
Gesichter rundlicher und voller, die Augen nicht in Demuth
und Befangenheit niedergeschlagen, sondern blicken keck und
froh in die Welt hinaus. In einem in der Münchener
Staatsbibliothek bewahrten Gebetbuchc Vtto's III. aus den:
Beginn unseres Jahrtausends sind sogar einzelne vorzüglich
gelungene Gestalten aus dem Alltagsleben enthalten,*) wie
sich auch in den um die Mitte des fZ. Jahrhunderts ent-
standenen, ebenfalls in München bewahrten Gedichten aus
Benediktbeuren nicht nur ein großes Landschaftsbild, sondern
auch mehrere genrehafte Darstellungen vorfinden.

Dazu kommt die reich illustrirte Tristan-Handschrift,
worin namentlich ein Blatt bezeichnend ist, auf dem ein
junger Mann einem Mädchen Blumen überreicht mit den
schmeichelhaften Worten: »Suscipe llos llorem, quia flos
designat amorem.s Das Einzelstudium der Natur hat
also begonnen, aber die Versuche, die einzelnen Elemente
zu einem perspektivisch vertieften landschaftlichen Hinter-
gründe zu verschmelzen, verrathen in allen Stücken noch
die Unsicherheit und Befangenheit dilettantischer Runstübung.
(Obendrein stehen solche mittelalterliche Darstellungen ver-
einzelt da und können nur mit Mühe zusammengesucht
werden. Sie sind nur in unbeobachteten Momenten von
den Malern entworfen worden und würden an sich nie
eine Weiterentwicklung des Genres und der Landschaft
möglich gemacht haben. Die künstlerische Auffassung der
Natur hängt eben immer auf's Innigste mit der religiösen
Naturanschauung zusammen. Damit eine Landschasts-
malerei möglich wurde, mußte die ganze Naturanschauung
eine andere werden, als sie es im Mittelalter gewesen war.

Diese Wandlung ging am Schlüsse des Mittelalters,
im Beginne der neuen Zeit vor sich und macht sich zuerst
in den Literaturwerken des 1^. Jahrhunderts bemerkbar.**)
Einer der Ersten, in dem das Gefühl für große landschaftliche
Anblicke erwachte, war Dante. Er schildert nicht nur über-
zeugend in wenigen Zeilen die Morgenlüfte mit dem fern
zitternden Licht des sanft bewegten Meeres, den Sturm
im Walde u. dgl., sondern er besteigt hohe Berge in der
einzig möglichen Absicht, den Fernblick zu genießen; vielleicht
seit dem Alterthum einer der Ersten, der das gethan hat.
Vollständig und mit größter Entschiedenheit bezeugt dann
petrarka, einer der frühesten völlig modernen Menschen,
die Bedeutung der Landschaft für die erregbare Seele. Die
Beschreibung seiner Besteigung des Mont Ventoux bei
Avignon kann geradezu als ein Hymnus auf die neuent-
deckte Naturschönheit gelten. Während das ganze Mittel-
alter der Majestät des Hochgebirges gegenüber nur die

*) Vgl. Riehl, „Geschichte des Sittenbildes in der deutschen
Kunst", Stuttgart 1882.

**) vgl. Burckhardt's meisterhaftes Lapitel über „die Ent-
deckung der landschaftlichen Schönheit" in seiner „Kultur der italienischen
Renaissance".

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Empfindung des Grausens hatte, hohe Berge als „grausam"
oder „erschrecklich" bezeichnete, finden wir jetzt in einer kleinen
Schrift, »de mcmtium admiratione« einen Enthusiasmus
für die Großartigkeit des Gebirges, der auch in unseren
Tagen kaum überboten werden könnte.*)

Und seit dem Beginne des Jahrhunderts macht
sich dann diese veränderte Naturanschauung auch in der
Malerei geltend. Die Uunst erkennt jetzt in der Wieder-
gabe des Wirklichen ihre wichtigste Ausgabe. Abgethan ist
der Naturhaß, der Haß alles Irdischen, welcher die Malerei
des Ulittelalters beseelte. Die Natur ist entsündigt und von
jeder dämonischen Einwirkung befreit. In Alopstocks Wort:

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht

Schöner ein froh Gesicht —

kann man die Grundanschauung des Malers der neueren
Zeit zusammenfassen. Er „greift hinein in's volle Menschen-
leben" und versucht die Natur und den menschlichen Aörper
in seinem Werke so wiederzugeben, wie sie sich auf der
Netzhaut des Auges spiegeln. Es weht jetzt in den Bildern
Etwas von der frohen Empfindung, mit welcher der deutsche
Städter aus seinen engen Mauern unter Gottes freien
Himmel hinaustrat, von der (Ostcrfeiertagsstimmung, wie
sie Goethe im Faust geschildert hat, von der Freude der
mittelalterlichen Menschheit an der Wiederentdeckung der
lange entbehrten Natur. In Italien und in der germanischen
Welt begann diese neue künstlerische Entwicklung ziemlich
gleichzeitig. Das Genter Altarwerk der Gebrüder van E yck
und Masaccio's Fresken in der Florentiner Brancacci-
kapelle sind es, die uns ziemlich gleichzeitig das neue Evan-
gelium der Aunst verkünden.

In beiden Werken sehen wir zum ersten Mal wirkliche
Menschen. Das ganze vornehme Florenz ist zusammen-
geströmt, um auf Masaccio's Fresken feine Stelle einzu-
nehmen. Gleichzeitig ist die Landschaft und die Architektur
nicht mehr symbolisch angedeutet, wie es noch zu Giotto's
Zeiten in Italien geschah, sondern so dargestellt, daß sich die
Figuren wirklich darin bewegen können. Nnd noch deut-
licher zeigt sich das Neue in dem Genter Altarwerk.**) Die
Tafeln der singenden und musizirenden Engel sind durchaus
genrehaft behandelt. Da ist Nichts mehr, was auf den
himmlischen Tharakter dieser jugendlichen Wesen deutete.
Sie haben weder Flügel, noch sind sie in die ätherischen,
der Antike nachgeahmten Gewänder gehüllt, welche die
Engel des Mittelalters tragen, sondern sie sind in die
prächtigen, schwere Falten werfende Brokat- und Sammet-
stoffe gekleidet, die auf den Webstühlen von Gent und
Brügge entstanden. Der Ausdruck des Singens in den
vollen, jugendlichen Gesichtern ist vortrefflich wiedergegeben.

Wir haben aber nicht nur die ersten genrehasten Mo-
tive, wir haben auch die ersten wirklich durchgebildeten
architektonischen und landschaftlichen Hintergründe vor uns.

Die Gestalten der Verkündigung heben sich nicht mehr
wie auf mittelalterlichen Bildwerken von goldenem Hinter-
gründe ab, im Gegentheil, wir blicken in ein niedriges,
durch ruudbogige Fenster geöffnetes Zimmer mit schwerer
Balkendecke, in welchem Maria vor einen: Betpulte knieend

*) Vgl. L. Friedländer, „Ueber die Entstehung des Gefühls
für das Romantische in der Natur", Leipzig :873.

**) vgl. Rosenberg, „Die Anfänge der niederländischen Genre-
und Landschaftsmalerei" in dem Grenzboten ;887.

Zeitschrift des bayer. Runstgewerbe-vereins München.

*887. Heft 7 Sc 8 (Bg. 2).
 
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