Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1887

DOI Heft:
Heft 3/4
DOI Artikel:
Sepp, J.: Der Hermes von Olympia und dessen gewagte Restauration, [2]: Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbeverein zu München von Prof. Dr. J. Sepp
DOI Artikel:
Deutsch-nationale Kunstgewerbe-Ausstellung zu München 1888, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6902#0025

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
•■3- 2\ -$■

X

Iacchos auf dem Arme, wie ihn Praxiteles dar-
stellt. Dieser tiefgedachten charakteristischen Gruppe des
athenischen Meisters stellt sich die Irene mit dem Kinde
plutos würdig zur Leite, welche man als eine christliche
Gestalt auf den Altar stellen möchte. Sie ist das Kunst-
werk des Kephifodotos, welcher nach plinius 3«$, 87
ebenfalls einen Merkur als Pfleger des Bacchusknaben zur
Ausführung brachte. Seinem genialen Lohne Praxiteles
aber war es Vorbehalten, in dem vom gerührten Lilen
mit beiden Armen an die Brust gedrückten
Dionysosknaben die erste gelungene Kindergcstalt der
antiken Plastik zu schaffen. Man betrachte dieses kostbare
(Original in unserer Glyptothek gegenüber der Irene und
frage sich, ob nicht „das Ehristkind im gestraußten
Haare" ihm nachgebildct ist. Lolche Rührung im Antlitze,
wie im Nährvater Lilen, der Ausdruck des Seelenlebens
und der Gemüthstiefe, ist sonst erst den Meistern des
christlichen Mittelalters eigen. Jedes der vorstehen-
den Merke verdiente ein eigenes Heiligthum. Mir setzen
uns hierüber freilich mit Eingeweihten auseinander, wie
die Mysterienpriester den Unterschied zwischen Esoterischen
und Exoterischen aufstellten, und ein Größerer zu den Leinen
spricht: „Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches
Gottes zu verstehen, denen, die außen stehen, ist nichts nütze,
darum werden ihnen nur Gleichnisse vorgetragen. Denen,
die haben, wird bis zum Ueberfluffe gegeben, den Nicht-
habenden geht auch noch das Wenige verloren, was sie
besitzen." Matth. fZ, ff. Diese Auffassung der Antike und
der hellenischen Mythologie als einer Borschule des Thristen-
thums mag den profanen zunr Anstöße gereichen, obwohl
der Platonismus insbesondere eine Hauptwurzel der neu-
testamentlichcn Lehre abgibt; gleichwohl will es uns be-
dünken, daß dadurch die christliche Ueberzeugung mehr ge-
kräftiget würde. Mir haben es mit einem Kunstbilde ersten
Ranges zu thun, nicht bloß wegen der plastischen Vollendung,

sondern noch mehr wegen des idealen Gehaltes, und glauben
feststellen zu dürfen, daß dem olympischen Hermes, dessen
Abbilder nach allen Museen sich verbreiten, der Mysterien-
becher (patera) in der Hand gebührt, wodurch er zur Taufe
aus den kommenden HeLg acor^p oder Salvator einlud,
indem er dem jungen Dionysos Laotes (paufan. II, 3P
den „göttlichen Heiland und Erretter", oder Biber im
doppelten Sinne — den Einzuweihenden entgegenhielt, hielte
der elastische Götterjüngling dem Iacchos die Traube vor,
so müßte er auf denselben blicken, er schaut aber aus
die Einzuweihenden. Er gleicht im Sinne der keineswegs
gottverlassenen Hellenen fürwahr dem Täufer, der am Jordan
die Initiation auf den verheißenen Messias vornimmt.

Meine Auseinandersetzung kömmt jetzt wohl zu spät,
und man wird es bei der einmaligen Restauration mit
der Weintraube belassen, darum ist aber mein Gedanke nicht
falsch. Ich will auch keine Vorträge über verfehlte
Ergänzungen antiker Statuen in unserer Glyptothek
halten, z. B. des jugendkräftigen Alexander des Großen,
welchem man, obwohl er den Panzer neben sich hat, ein
Lalbfläschchen statt des muthmaßlichen Schwertes oder Feld-
herrnstabes in die Hand gab. Dort hat Mars einen
fremden, zu kleinen Kopf auf, aber er ist doch antik. Ich
weiß auch, was Thorwaldfen zum Kronprinzen
Ludwig sprach, dessen Geschichtschreiber zu werden ich
vom Schicksal begünstigt war. Der nachmalige König drang
wiederholt in den Meister, der Statue des Ilioneus
wieder einen Kopf aufzusetzen, nachdem der ursprüngliche
von einem Prager Steinmetz zur Kegelkugel verarbeitet war.
Er lehnte die Restauration mit den Morten ab: „Ich habe
mir durch meine bisherigen Merke einen Ruf in der Welt
gemacht, würde aber meinen guten Namen einbüßen,
wollte ich diese wunderbare Gestalt mit einem neuen
Kopfe ergänzen."

Hi

1888.

Die in der außerordentlichen Generalversammlung vom tB De-
zember gefaßten Resolutionen gipfelten darin, daß für die Kunst-
gewerbeausstellung die Hälfte des Glaspalastes und ein Theil des
botanischen Gartens zur Verfügung gestellt werde. Abgesehen davon,
daß damals von der endgiltigen Zusprechung des Glaspalastes an die
Künstlergenossenschaft noch Nichts bekannt war, ging man auf Seiten
des Kunstgewerbevereins von der Voraussetzung aus, daß sich beide
Vereinigungen für ihre Ausstellungen eine Raumersxarniß auserlegen
müßten, dafür aber erhöhte «Dualität eintauschten; auch die für Wien
geplante Ausstellung, sowie die muthmaßliche Zurückhaltung Frank-
reichs bei der internationalen Kunstausstellung ließ auf eine Platz-
erfparniß hoffen. Zn der darausfolgenden Korrespondenz zwischen
den Vorständen beider Körperschaften erbot sich der Kunstgewerbe-
verein, die Kosten der Annexbauten für die Künstlerschaft zu über-
nehmen gegen Ueberlassung der Einnahmen aus Restauration und

Garderobe; allein da die Künstlergenossenschaft neben der inter-
nationalen Kunstausstellung auch ein Bild der Entwickelung der
Münchener Kunst in den letzten hundert Jahren geben will, so glaubte
sie demgemäß in ihrer Generalversammlung vom x-p Januar einer
Theilung des Glasxalastes zu Gunsten des Kunstgewerbevereins nicht
zustimmen zu können. Da aber andererseits das vom Staate zu
Ausstellungszwecken in Aussicht gestellte Stück des an den Glaspalast
anstoßenden botanischen Gartens den Absichten des Kunstgewerbe-
vereins bei weitem nicht entspricht und ein größerer Theil des bota-
nischen Gartens nicht zu erhalten ist, so beschloß die Künstler-
genossenschaft in ihrer Generalversammlung vom 25. Februar, auf
den südlichen Theil des Querhauses des Glaspalastes zu Gunsten des
Kunstgewerbevereins zu verzichten und Vestibül und Mittelbau als
gemeinsam zu betrachten und dem Kunstgewerbeverein die Restauration
zu überweisen.

V

Zeitschrift des bayer. Aunstgewerbe-Vereins München.

*887. Heft 3 L § (Bg. 2).
 
Annotationen