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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 1
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Riegl, Alois: Kunsthandwerk und kunstgewerbliche Massenproduktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0012

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lerische Charakter der modernen Produktion, ob der „Stil"
allgemein befriedigt, kommt dabei nicht in Betracht: genug
daß das Publikum „kunstgewerbliches" begehrt, also an-
scheinend in der That an dem Gebotenen Gefallen findet.
<£s erübrigt also nur noch zu untersuchen, ob das Auust
Handwerk in den hergebrachten Formen sich gegenüber der
fabrikmäßigen Massenproduktion behaupten kann? Die
„Aunst" wäre vorläufig gesichert; ist es aber auch das
diese Aunst betreibende „pandwerk"?

Bekanntlich ist man vielfach geneigt, diese Frage schlank-
weg zu verneinen. Nun leben wir noch allzusehr inmitten
des Aampfes der täglich neu sich erhebenden Gegensätze,
um schon jetzt eine so klare Uebersicht gewinnen zu können,
die nöthig wäre, um ein sicheres Urtheil über die endgiltige
Entscheidung darauf zu begründen. Aber es fehlt nicht an
einer Reihe beruhigender, tröstlicher Symptome, die mich
wenigstens bestimmen, die Lage des Aunsthandwerks keines-
wegs als eine verlorene anzusehen. Namentlich zwei da-
runter erscheinen mir so bedeutsam, daß ich es für gerecht-
fertigt halte, dieselben vorzubringen.

Erstens lehrt schon die bisherige Entwicklung des Fabrik-
wesens, daß von demselben ein pandwerk umsomehr bedroht
ist, je näher dasselbe der Verarbeitung des Rohstoffs steht, -
je „roher", je „unqualifizirter" der Arbeitsprozeß ist, mit

dem sich das bezügliche
pandwerk beschäftigt. Je
höher dagegen die An-
forderungen sind, die an
den Handwerker gestellt
werden, je „qualifizirter"
seine Arbeit ist, desto mehr
ist das bezügliche Hand-
werk vor der Aufsaugung
durch die Massenproduk-
tion gesichert. Am höchsten
aber steht auf dieser Stufen-
leiter das Aunsthandwerk,
u. schon aus diesem Grun-
de erklärt sich die Wider-
standsfähigkeit, die es bis-
her erwiesen hat und die
es nach menschlicher Vor-
aussichtwohl auch künftig-
hin erweisen wird.

Die Verarbeitung der
Rohstoffe vermag die Fa-
brik mit Pilse ihrer starken
technischen Mittel nicht
bloß billiger, sondern in
der Regel auch besser zu
bewerkstelligen, als die
handwerkliche Landarbeit.
Die Perrichtung des Stab-
eisens z.B.wird nicht inehr
dem Schmiede überlassen,
sondern durch die Fabrik
besorgt. Auch die Nägel
werden in Massen in der Fabrik geschmiedet, nachdem die Nagel-
köpfe schon Theophilus im Mittelalter mit dem Ausschlageisen
massenhaft zu produziren gewußt hat. Dagegen ist die per-

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stellung schmiedeeiserner Aunstgegenstände bis auf den heutigen
Tag dein Kunstschmiede verblieben. Das Strainingewebe wird
in der Fabrik erzeugt; die Verzierung wenigstens in seiner
Stickerei besorgt noch iininer das Stickereigewerbe. Das rohe
polz wird mit der
pobelmaschine ge-
glättet, aber bisher
erscheint dadurch
das pandwerk der
Aunsttifchlerei nicht
in Frage gestellt.

Ein zweites nicht
minder wichtiges
Symptom zu Gun
stendesAunsthand-
werks ruht in der
Wahrnehmung,
daß die Massen-
produktion keines-
wegs, wie es bei
oberflächlicher Be-
trachtung scheinen
möchte, die Bedürf-
nisse schafft, sondern
daß sie erst durch die
vorhandenen Be-
dürfnisse in's Leben
gerufen wird. Die
Massenproduktion
verdrängt daher das
Aunsthandwerk
nicht aus seinem
angestammten Ab-
satzgebiet, sondern sie dient nur zur Befriedigung von Bedürs
nissen, welche durch das Aunsthandwerk entweder gar nicht,
oder wenigstens nur in weit unzureichendem Maaße gestillt
werden könnten.

Das Aunsthandwerk schafft großentheils Güter, die wegen
der pöhe ihres Werthes verhältnißmäßig nur Wenigen zu-
gänglich sind. Begehrt sind sie aber von Allen; die Maffen-
produktion sucht daher Surrogate herzustellen, durch welche
die Minderbemittelten in den Stand gesetzt werden, sich
wenigstens annähernd jenen Aunstgenuß herzustellen, der
bisher nur den obersten Zehntausend zugänglich war. Diese
Verwendung von Surrogaten ist keineswegs so verdammens-
werth, als sie häufig dargestellt wird, sie ist vielmehr voll
ständig berechtigt: sie bedeutet doch eine Verbesserung, eine
Verschönerung der Lebenshaltung der minderbemittelten Stände,
und somit eine Erhöhung der allgeineinen Aulturlage eines
Volkes. Die Voraussetzung ist freilich, daß das Surrogat
künstlerisch befriedigt: das ist aber heute gewiß schon vielfach
der Fall. Die Maschinenweberei weiß z. B. heutzutage
Spitzenvorhänge herzustellen, die allen berechtigten künstler-
ischen Ansprüchen genügen. Es ist uns Tulturbedürfniß
geworden, unsere Fenster mit Spitzenvorhängen zu flankiren;
wie wäre dies aber möglich, wenn wir bloß auf die Er-
zeugnisse der Spitzennäherei oder selbst der Alöppelei an-
gewiesen geblieben wären? Der Spitzennäherei ist aber da-
durch kein Eintrag geschehen; denn die Damen aus den
oberen Zehntausend, die sich den Luxus eines individuellen

_/

7 (<$). Zinnkanne.

Geslinimthöbe 36 cm.
 
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