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Schreine stehen die Heiligenfiguren unter Wimpergen oder
Baldachinen, die auf Säulen ruhen; die Architektur wagt
sich noch nicht über den Rahmen des Schreines hinaus.
Die Flügel zierte man innen gewöhnlich mit Flachreliefs,
die Außenseite wurde bemalt, gewöhnlich so, daß bei ge-
schlossenen Flügeln sich ein abgeschlossenes, einheitliches Bild
darbot. Daß der Ideenkreis des figürlichen Schmuckes auf
den Titelheiligen des Altars sich bezog, bedarf keiner Er-
wähnung. Neben der gewöhnlichsten Art des Zweiflügel
82. Altar in der Kirche zu Schaching, Bez.-Amt Deggendorf.
Beispiel für die Wiederverwendung gothischer Figuren in einem Renaissance-Altar.
Nach Photographie gezeichnet von D. tohr.
altars begegnen wir Altären mit zwölf und noch mehr
Flügeln. Erwähnt sei hier nur der Genter Altar der Brüder
Hubert und Jan van Eyck und Stephan Lochners Altar-
bild in: Dome zu Köln. Blicken wir auf die Kunst des
f5. und 1.6. Jahrhunderts, so finden wir, daß sich die Ge-
schichte des Altars dieser Periode fast ganz mit jener deckt.
Die bedeutendsten Bildhauer, die bedeutendsten Waler sind für
den Altarbau thätig. Von den Bildhauern nenne ich nur die
beiden Syrlin, Tylmann Riemenschneider, Veit Stoß, Brügge-
mann; von den Malern seien die obenerwähnten Eyck,
Stephan Lochner, Wohlgemuth, herlin, Schühlein, Schaffner
und unsere größten Meister Holbein und Dürer erwähnt.
Und wieviele Namen sind uns bekannt von jenen Künstlern,
die im bayrischen Stammlande jene große Reihe von Altären
mit den reichen Holzskulpturen schufen? Kaum einer. Und
doch stehen diese Werke häufig nicht hinter jenen eines Syrlin
oder Pacher zurück.
War in der Frühzeit der Gothik und selbst noch in
der hochgothik die Architektur im Rahmen des Schreines
geblieben, so erwuchs bald aus dem Zinnenkranz ein reicher
Aufbau, den auszubilden namentlich die Spätgothik sich be-
mühte. Man flankirte den Schrein mit Diensten und Fialen
und bekrönte ihn mit Wimpergen und reichem Stab- und
Astwerk. Eines der schönsten Beispiele hiefür bietet der
Syrlin'sche Hochaltar in der Klosterkirche zu Blaubeuren, den
wir aus Tafel ^6 dieses Heftes bringen. In dieser reicheren
Ausbildung finden wir bereits ein Gesetz des Barocks zur
Ausführung gebracht, daß nämlich der Theil, das Einzelne
mit dem Blick auf das Ganze zu gestalten und anzuordnen
sei und wir können nach dieser Seite hin den hochaufstrebenden
spätgothischen Altarbau wohl auch als Vorläufer des Barock-
altars betrachten. Mit Entschiedenheit ist jedoch sicher der
Ausdruck des Einen oder Andern zurückzuweisen, der bei dem
spätgothischen Altaraufbau von einem „aufgethürmten Stecken-
werk" spricht und der Meinung ist, der Effekt in die Ferne
ginge verloren. Abgesehen davon, daß diese hochausstrebenden
Glieder ganz der Intention des Stiles entsprungen sind, scheint
es mir vielmehr, als sei der Effekt in die Ferne vergrößert,
was ja eigentlich durch die Anpassung des Altars an den
gegebenen Raum, namentlich beim Hochaltar, sich schon er-
geben mußte. Der Altar wurde schon in den Raum kom-
ponirt. Von welch' weittragender Bedeutung dieses neue
Moment war, zeigte sich in der Folgezeit, in der Renaissance
und im Barock. Als Beispiele gothischer Mensen können
zwei einfach auf Arkaden ruhende in der Kirche zu Laim
(B.-A. München I.) dienen.
Eine wesentliche Aenderung der men5a ergab sich im
s6. Jahrhundert nicht, die führende Rolle in der künstler-
ischen Ausschmückung des Altars übernahm der Aufbau.
Das Tiborium und Retable kennt die Renaissance nicht.
Es war ihr an dem gothischen Altarschrein ein so günstiges
Motiv gegeben, daß es keines Rückgreifens auf ältere, keines
Suchens nach neuen Formen bedurfte. Gegeben war der
allgemeine Aufbau, das Gerüste, nur die Details sollten sich
ändern. So sehen wir in der Frührenaissance noch die
Flügelaltäre beibehalten; aber hatte in der Zeit der Gothik
vorherrschend die Plastik sich in den Dienst derselben gestellt,
so zeigt sich jetzt die Malerei überwiegend, wenigstens für
einen Theil des Altars für den Mittelschrein. Eines der
charakteristischen Beispiele für den gemalten Flügelschrein,
zugleich eines der herrlichsten Werke jener Zeit ist der be-
rühmte Altar Hans Muelichs in der oberen Pfarrkirche zu
Ingolstadt. (Abgcb. in dieser Zeitschrift s885, Taf. 26—28.)
Nicht lange dauerte es, so wurden die Flügel des Altars
nicht mehr beweglich geformt, ja zuletzt bildeten sie nichts
mehr als einfache Nischen, Aedikulen, welche die rundge-
arbeitete Figur eines heiligen umschlossen. Das Mittelbild
wurde durch eiue reichere Architektur, durch mächtige Säulen
oder Pilaster mit wuchtigem Architrav stärker betont; der
Giebel analog dem spätgothischen Altaraufbau der hohe
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Schreine stehen die Heiligenfiguren unter Wimpergen oder
Baldachinen, die auf Säulen ruhen; die Architektur wagt
sich noch nicht über den Rahmen des Schreines hinaus.
Die Flügel zierte man innen gewöhnlich mit Flachreliefs,
die Außenseite wurde bemalt, gewöhnlich so, daß bei ge-
schlossenen Flügeln sich ein abgeschlossenes, einheitliches Bild
darbot. Daß der Ideenkreis des figürlichen Schmuckes auf
den Titelheiligen des Altars sich bezog, bedarf keiner Er-
wähnung. Neben der gewöhnlichsten Art des Zweiflügel
82. Altar in der Kirche zu Schaching, Bez.-Amt Deggendorf.
Beispiel für die Wiederverwendung gothischer Figuren in einem Renaissance-Altar.
Nach Photographie gezeichnet von D. tohr.
altars begegnen wir Altären mit zwölf und noch mehr
Flügeln. Erwähnt sei hier nur der Genter Altar der Brüder
Hubert und Jan van Eyck und Stephan Lochners Altar-
bild in: Dome zu Köln. Blicken wir auf die Kunst des
f5. und 1.6. Jahrhunderts, so finden wir, daß sich die Ge-
schichte des Altars dieser Periode fast ganz mit jener deckt.
Die bedeutendsten Bildhauer, die bedeutendsten Waler sind für
den Altarbau thätig. Von den Bildhauern nenne ich nur die
beiden Syrlin, Tylmann Riemenschneider, Veit Stoß, Brügge-
mann; von den Malern seien die obenerwähnten Eyck,
Stephan Lochner, Wohlgemuth, herlin, Schühlein, Schaffner
und unsere größten Meister Holbein und Dürer erwähnt.
Und wieviele Namen sind uns bekannt von jenen Künstlern,
die im bayrischen Stammlande jene große Reihe von Altären
mit den reichen Holzskulpturen schufen? Kaum einer. Und
doch stehen diese Werke häufig nicht hinter jenen eines Syrlin
oder Pacher zurück.
War in der Frühzeit der Gothik und selbst noch in
der hochgothik die Architektur im Rahmen des Schreines
geblieben, so erwuchs bald aus dem Zinnenkranz ein reicher
Aufbau, den auszubilden namentlich die Spätgothik sich be-
mühte. Man flankirte den Schrein mit Diensten und Fialen
und bekrönte ihn mit Wimpergen und reichem Stab- und
Astwerk. Eines der schönsten Beispiele hiefür bietet der
Syrlin'sche Hochaltar in der Klosterkirche zu Blaubeuren, den
wir aus Tafel ^6 dieses Heftes bringen. In dieser reicheren
Ausbildung finden wir bereits ein Gesetz des Barocks zur
Ausführung gebracht, daß nämlich der Theil, das Einzelne
mit dem Blick auf das Ganze zu gestalten und anzuordnen
sei und wir können nach dieser Seite hin den hochaufstrebenden
spätgothischen Altarbau wohl auch als Vorläufer des Barock-
altars betrachten. Mit Entschiedenheit ist jedoch sicher der
Ausdruck des Einen oder Andern zurückzuweisen, der bei dem
spätgothischen Altaraufbau von einem „aufgethürmten Stecken-
werk" spricht und der Meinung ist, der Effekt in die Ferne
ginge verloren. Abgesehen davon, daß diese hochausstrebenden
Glieder ganz der Intention des Stiles entsprungen sind, scheint
es mir vielmehr, als sei der Effekt in die Ferne vergrößert,
was ja eigentlich durch die Anpassung des Altars an den
gegebenen Raum, namentlich beim Hochaltar, sich schon er-
geben mußte. Der Altar wurde schon in den Raum kom-
ponirt. Von welch' weittragender Bedeutung dieses neue
Moment war, zeigte sich in der Folgezeit, in der Renaissance
und im Barock. Als Beispiele gothischer Mensen können
zwei einfach auf Arkaden ruhende in der Kirche zu Laim
(B.-A. München I.) dienen.
Eine wesentliche Aenderung der men5a ergab sich im
s6. Jahrhundert nicht, die führende Rolle in der künstler-
ischen Ausschmückung des Altars übernahm der Aufbau.
Das Tiborium und Retable kennt die Renaissance nicht.
Es war ihr an dem gothischen Altarschrein ein so günstiges
Motiv gegeben, daß es keines Rückgreifens auf ältere, keines
Suchens nach neuen Formen bedurfte. Gegeben war der
allgemeine Aufbau, das Gerüste, nur die Details sollten sich
ändern. So sehen wir in der Frührenaissance noch die
Flügelaltäre beibehalten; aber hatte in der Zeit der Gothik
vorherrschend die Plastik sich in den Dienst derselben gestellt,
so zeigt sich jetzt die Malerei überwiegend, wenigstens für
einen Theil des Altars für den Mittelschrein. Eines der
charakteristischen Beispiele für den gemalten Flügelschrein,
zugleich eines der herrlichsten Werke jener Zeit ist der be-
rühmte Altar Hans Muelichs in der oberen Pfarrkirche zu
Ingolstadt. (Abgcb. in dieser Zeitschrift s885, Taf. 26—28.)
Nicht lange dauerte es, so wurden die Flügel des Altars
nicht mehr beweglich geformt, ja zuletzt bildeten sie nichts
mehr als einfache Nischen, Aedikulen, welche die rundge-
arbeitete Figur eines heiligen umschlossen. Das Mittelbild
wurde durch eiue reichere Architektur, durch mächtige Säulen
oder Pilaster mit wuchtigem Architrav stärker betont; der
Giebel analog dem spätgothischen Altaraufbau der hohe
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