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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 8
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Semper, Hans: Anfänge und Ausbildung des "Rubensstiles" im kirchlichen Holzmobiliar Belgiens
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0070

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Wie sehr sich Erzherzog Albrecht selbst gerade dieses
letzteren, dringendsten Bedürfnisses annahm, das beweisen
die Steuern, welche er zu diesem Zwecke erhob, sowie der
gedruckte Ausruf vom Jahre s6s^, in welchem er zu frei-
willigen Beiträgen für die Herstellung der Kirchen aufforderte
und zugleich genaue Weisungen über die einzuhaltende Art
der Restaurirungen erließ, wonach die Bautheile selbst mög-
lichst unverändert gelassen und stilgemäß wieder hergestellt
werden sollten und nur das fehlende Mobiliar der Kirchen
neu zu beschaffen wäre.') Obwohl nun in Bezug auf
Letzteres im Laufe der Zeiten und hauptsächlich in Folge
der trientinischen Beschlüsse vielfach neue Anforderungen ent-
standen waren, welchen die älteren Ausstattungsstücke der
Kirchen zum Theil nicht mehr ganz entsprachen, so wurden
doch auch diese, soweit sie der Bildersturm verschont hatte,
nicht selten mit Pietät erhalten, wie der Augenschein lehrt.

Daß freilich trotzdem der neue Zuwachs an Dekoration
und Mobiliar während des f7. Jahrhunderts ein so be-
deutender war, um noch heute dein Innern der belgischen
Kirchen sein charakterisches Gepräge zu verleihen, das lag
eben an der bedeutend gesteigerten Dekorationslust dieser
Zeit, sowie hauptsächlich in der schon erwähnten Umgestalt-
ung des kirchlichen Ritus in Folge des trientinischen Konzils
und der aus derselben hervorgegangenen neuen Organisation
der katholischen Kirche. Diese letztere war fortan bestrebt,
nicht nur ihre äußere Macht zu befestigen und zu erweitern,
durch straffe Konzentration unter einer Oberleitung, durch
strenge hierarchische Disziplin, durch die Erwerbung von
Reichthümern, durch enge Bündnisse mit den Fürsten und
Regierungen und durch Unterdrückung der Andersgläubigen
mit Hilfe Jener; sondern mit derselben Planmäßigkeit suchte
sie auch die Genrüther der Völker zu gewinnen, durch alle
Mittel der Propaganda und Suggestion, die ihr bereits zu
Gebote standen oder die sie neu schuf. Die Gründung geist
licher Schulen und Seminarien, die Leitung der weltlichen
Schulen, Beichte, Buße, Ablaß, Konrmunion, Heiligenkult,
Predigt, und vor Allem eine möglichste Entfaltung von
Ponrp, Glanz und sinnenberauschender Mystik im Kult und
in der kirchlichen Kunst, alles diente als Mittel, urn die
Seelen der Gläubigen zu erschüttern, zu blenden, zu fesseln
und zu unterwerfen.

Die Bedürfnisse und Anforderungen des neuen kathol
ischen Kultus, wie sie sich durch die Verhandlungen und
Beschlüsse des trientinischen Konzils, sowie die Initiative
hoher geistlicher Würdenträger oder geistlicher Orden während
der zweiten Hälfte des J6. Jahrhunderts herausgebildet hatten,
wurden am klarsten und erschöpfendsten und mit steter Rück-
sichtnahme auf deren technische und künstlerische Befriedigung
vom Erzbischof von Mailand, Carlo von Borromeo,
in verschiedenen „Instruktionen" formulirt,a) wahr-
scheinlich mit Hilfe seines Architekten pellegrino Tibaldi,
den: Erbauer des neuen erzbischöflichen Palais und ver-

-) Schoy. Histoire de l’influence italienne sur l’architecture
des pays bas. (Memoires couronnes de l'Academie royale. Bruxelles.
Vol. XXXIX. p. 243.)

-) Sie bilden einen Theil der: Acta Ecclesiae Mediolanensis
a. S. Carlo Borromeo etc. conditi, herausgegeben von Erzbischof
Federigo Borromeo. Bergamo 3738. — Erste Ausgabe ;577. — Die
im Text erwähnten Instruktionen speziell führen den Titel: Instruc-
tionum fabricae et suppelectilis ecclesiaticae Libri II. Caroli ....
jussu ex Provinciali decrelo editi ad Provinciae Mediolanensis usum etc.

fchiedener Kirchen in Mailand. — Diese Instruktionen, ob-
wohl zunächst nur für die Diözese von Mailand versaßt,
wurden bald für die ganze katholische Kirche gewissermaßen
der Codex der neuen rituellen Vorschriften und Einricht-
ungen, weil sie eben denselben strikten Ausdruck geben, und
dienten auch in Belgien den Jesuiten und der übrigen Geist-
lichkeit als Norm bei der Neuausstattung der Kirchen im
{7. Jahrhundert. Km nur einige Neuerungen bezüglich
des rituellen Mobiliars zu erwähnen, welche diese Vor-
schriften enthalten, so sollte das Tabernakel der Eucha-
ristie fortan auf dem Hochaltar ausgestellt und nach einem
bestimmten Typus, nach Art eines kleinen Kuppeltempels,
gestaltet werden, während bis dahin die Eucharistie entweder
in eignen thurmartigen Sakramentshäuschen,') oder in Wand-
nischen und Wandtabernakeln oder auch wohl schon (beson-
ders in Italien) in nischenförmigen Behältern in der Pre-
della des Altaraufsatzes aufbewahrt wurde.

Auch der aus Stein architektonisch construirte Altaraussatz
der italienischen Renaissance erhielt erst durch die Libri instruc-
tionum des Carlo Borromeo in noch pompöserer Ausgestaltung
seine allgemeine und bleibende Geltung auch im Norden.

Ein anderes kirchliches Ausstattungsstück erhielt durch
die Beschlüsse der Trientiner Conzils eine völlig neue Ge-
stalt, die in den Instruktionen des Carlo Borromeo sogar
mit Maßangaben genau beschrieben wird und noch aus den
heutigen Tag giltig ist. Es ist dieß der Beichtstuhl,
der bis daher blos aus einem einfachen Stuhl für den
Priester bestanden hatte, neben welchem die Beichtkinder,
die Frauen verhüllt, niederknieten. Die neue Form ist im
Allgemeinen bekannt und wir werden noch weiter unten
darauf zurückkommen.2) Ebenso erhielten die Kanzeln
seit dem (7. Jahrhundert eine selbständigere Bedeutung
und reichere Ausbildung, entsprechend der erhöhten Pflege,
welche seit dem Konzil von Trient auch die katholische Kirche
der predigt beilegte, die fortan nicht nur von den Orts-
geistlichen, sondern auch von wandernden Missionspredigern
bei allen möglichen Anlässen und Kirchenseiern mit Pathos
und Beredsamkeit an das Volk gerichtet wurde. Auch der
Kirchenmusik wurde jetzt eine vermehrte pflege zu Theil
und Hand in Hand damit erhielten die Orgel und ihr
Gehäuse eine großartigere Ausbildung, so daß letzters, das
jetzt meist, sammt der darunter befindlichen Sängertribüne,
an der Westseite des Mittelschiffes angebracht wird, oft in
gewaltigem Ausbau bis zum Deckengewölbe der Kirche reicht.

Sowohl der Kmstand, daß die Kirchenverwüstungen
der Bilderstürme naturgemäß am meisten das Holzmobiliar
betroffen hatten, wie auch die Thatsache, daß eine Reihe
der neuen Vorschriften und Gebräuche sich ebenfalls auf
Letzteres bezogen, brachte es nun naturgemäß mit sich, daß

>) In Belgien erhielten sich dieselben bis in den Anfang des
\7. Jahrhunderts, wie dasjenige in S. Martin zu Alost zeigt, welches
(600 — 3604 in den Formen der Spätrenaissance von Cerome Duques-
noy, dem alten, ausgeführt wurde. (Isendyck, Tabernacles, PL 2.)
Vorbild dieser Sakramentshäuschen im Spätrenaissancestil war wohl
das berühmte des Lornelis Floris in S. Leonhard zu Leau von 3552.
(Isendyck, Tabernacles, PL 1.)

2) Der gothische Beichtstuhl aus der Liebfrauenkirche in Nürn-
berg, welcher im Band I, p. 464 der Annales archdologiques des
Didron ain£ (Paris 3844) abgebildet ist und schon vollständig das
moderne Schema zeigt, dürfte in der That modern sein und nicht vom
34. Jahrhundert, wie Didron meint.

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