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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 8
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Semper, Hans: Anfänge und Ausbildung des "Rubensstiles" im kirchlichen Holzmobiliar Belgiens
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0071

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bei der Wiederherstellung der Airchen Belgiens im \7. Jahr-
hundert gerade au die Holzbildhauerei und Aunst-
tischlerei großartige Zlufträge ergingen. Me Folge da-
von war eine bedeutende Blüthe der kirchlichen Holzskulptur
Belgiens im \7. Jahrhundert, der sich die ersten bildhauer-
ischen Aräfte widmeten. Sie fußten dabei in technischer
Einsicht auf guten Traditionen, während in künstlerischer
Einsicht der plastische Dekorationsstil des Zeitalters des
Rubens nirgends reiner und reicher zum Ausdruck kommt,
als gerade in der Holzskulptur. Die Freude an dem schönen
Material, dem trefflichsten Eichenholz, ließ diese Borliebe
an Holzdekorationen sich immer steigern, so daß man sich
bald nicht mehr daraus beschränkte, die Thorstühle und die
übrigen erforderlichen Möbelstücke in prunkvollster Weise
auszuführen, sondern vielfach die ganzen Seiteuwände der
Schiffe und Aapellen mit prächtigen Beichtstühlen und Ver-
täfelungen in ununterbrochener Reihe schniückte, mit riesigen
Thüreinfassungen sowie selbst mit den Mrgellettnern in Ver-
bindung brachte und außerdem die Pfeiler, sowie die Aanzeln
mit reich geschnitzten Airchenbänken für geistliche und welt-
liche Behörden, Aominunionsbänken, Stühlen tc. umgab.

wir glauben daher, durch eine kurze Betrachtung der
kirchlichen Holzskulptur Belgiens vom Beginn des \7.
Jahrhunderts an, nicht nur ein an sich anzieheitdes und
auch für den heutigen Holzbildhauer anregendes Aunstgebiet
zu berühren, sondern damit zugleich auch eilt Streiflicht aus
die Entwicklung tnid Eigenart des belgischen Dekorations-
stiles it» \7. Jahrhundert überhaupt werfen zu können.

3m Beginn der Aunstära, welche mit der durch Erz-
herzog Albrecht eröffneten politischen Aera Belgiens zusammen-
sällt, begegnen uns in der dekorativen Skulptur einerseits
noch Nachläufer des niederländischen Spätrenaissancestils,
der in der 2. Hälfte des j6. Iahrhünderts blühte und durch
die Grotesken, die kantigen Tartoucheschnörkel, Beschläg-
und Laubsägeornamente, die jonischen Hermen und Tarya-
tideit, die hängenden Fruchtbündel rc. eines Pieter Toeck
van Aelst, Tornel Floris und Hans Vredeman de Vries
charakterisirt wird, andererseits aber trat bereits ein Ueber-
gangsstil auf, der an den vorgenannten Stil zwar noch
in manchen Dingen anknüpft, zugleich aber neue Elemente
aufnimmt, die gewissermaßen den Kern zu einer neuen
Entwickelung enthalten.

Als typischen Vertreter dieses Uebergangsstiles möchten
wir den Bildhauer Urbain Taillebert von Ppern be-
zeichnen, der an der Scheide des \6. und \7. Jahrhunderts
thätig war und in dieses noch hineinragt. Geburt und
Todesjahr desselben sind unbekannt, doch sind an seinen
Werken die Daten löst8 bis ^ 656 vertreten. Er war gleich
ausgezeichnet als Bildhauer in Holz, in Stein und Metall.')

') Mir geben hier nach Marchal (I-es sculpteurs des pays bas
pendant les XVII. et XVIII. si£cles und Mömoires couronnös de l’aca-
demie royale de Beige. Vol. XLI. p. [28) ein verzeichniß seiner
Werke, und zwar zunächst der Datirten:

\5<)8. Lhorstühle in S. Martin zu ljpern.

zsoo. Lhorlettner der Abtcikirche von Dixmude.

„ Monument an der Vstseite des Mittelschiffes von S. Martin
zu vpern.

[62$. Lhorstühle von Loo.

\626. Bank des Armenvaters zu Los.

„ Monument des Bischofs .Antoine d'blennlu am Lhor von
S. Martin, vpern.

[67,6. Figur der Mater dolorosa in Westvleeten.

Von den in der Anmerkung verzeichneten Werken des
Taillebert kennen wir die datirten, mit Ausnahme der
Armenvaterbank in Loo und der Figur der Dolorosa in
Westvleeten und können die stilistische Aebereinstimmung der-
selben bestätigen, abgesehen vom Thorlettner in Dixmude,
in welchem sich Taillebert, offenbar einem gemessenen Auf-
träge folgend, noch an den Typus jener in reichster, von
spanischem platereskenstil beeinflußter Spätgothik gehaltenen
Thorlettner anschloß, wie sie in Belgien das ganze j6. Jahr-
hundert noch, neben ausgeprägten Renaissancechorlettnern
sich erhielten.') Auch den Thorlettner von Furnes soll
Taillebert nach demselben Typus geschaffen haben.

In den Werken, in welchen er nicht an einen durch
die kirchliche Tradition geheiligten Typus und Stil gebunden
war, offenbarte Taillebert einen durchaus selbständigen,
persönlichen Spätrenaissancestil, in welchem er eine neue
Entwickelungsphase ausprägte, die in manchen Motiven den
sogenannten Rubensstil vorbereitete, ohne doch schon als
Barock bezeichnet werden zu können. 3m Gegentheil, in
seinem Stil offenbart sich ein Streben nach Läuterung des
von eintöniger Beschlägornamentik überwucherten, in den
Profilen vernüchterten Vredemanschen Stils, dessen Unarten
er allerdings auch nicht alle überwinden kann. Es gelangt
bei ihm theilweise, aber vermischt mit Vredemanschen For-
men, jener streng römische Alassizismus zum Durchbruch,
welcher in der gleichzeitigen Marmorbildnerei und Archi-
tektur zu Anfang des j6. Jahrhunderts so entschieden auf-
trat und Werke von klassischer Stilreinheit schuf. Wir er-
innern an Robert Tolyns de Nole, den Zeitgenossen
Tailleberts und Hofbildhauer Erzherzog Albrechts, in dessen
Auftrag er das schöne Grabmonuinent des verstorbenen
Erzherzogs Ernst und das des Begründers der ständischen
Verfassungen der Niederlande, des schon im 14. Jahrhundert
verstorbenen Johann II. von Brabant, um s6sO in der
S. Gudulakirche zu Brüssel errichtete.2) (Abb. 8H.)

Diese Monumente in der Gestalt von wannenförmigen
Sarkophagen aus weißsnt Marmor, während das Basament,
die Löwenfüße und die Deckplatte aus schwarzem Marmor
bestehen, sind mit herrlichen Relief-Akanthusranken im
schönsten römischen Stil verziert und zeigen eine kräftige,
vornehme profilirung im italienischen Spätrenaissancestil,
von Vredemanschen Schnörkeln keine Spur.

Beiläufig sei noch erwähnt, daß auf dem Monument
Johannes II. von Brabant ein prächtiger Bronzelöwe des
Hieronymus von Montfort ruht, während Robert

Außerdem weist ihm Marchal noch zu:

Den Lhorlettner der Magistratskapelle in Furnes.

Die Kanzel in der Kirche von Loo, mit Darstellungen
aus dem Leben Petri.

Ebenda Z5 Reliefs aus dem Mysterium des Rosen-
kranzes.

Ebenda den Lhorlettner.

Ein Relief der Geißelung Lhristi über dem Sakristei,
portal der Kirche von Westvleeteren, und darüber ein
Relief: Lhristus auf dem Velberg.

') Lhorlettner in Spätgothik in S. Peter zu Löwen. N. Dame,
Walcourt (zszo), S. Gommaire, Sierre (zss-z), N. Dame, Aerschhot
(1550), Abteikirche v. Tessenderlo (zsg8?) Lhorlettner in Re-
naissancestil. N. Dame in Tournai von Lornel Floris, um die Mitte
des zs. Jahrhunderts. Lath. v. lferzogenbusch, [6[[—[5 v. Kottrat
van Noerenbergh, nach dem Vorbild desjenigen des Floris.

2) Jsendyck, Tombeaux PI. i.)
 
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