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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 9
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Gmelin, L.: Ausstellungen des Jahres 1895
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0080

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Wiedergewinnung der alten deutschen Lande jenseits des
Rheines feiert; denn daß es ein Zufall ist, beweist nicht
nur die Thatsache, daß man im Anfang das Jahr l8st2
in Aussicht genommen hatte und erst später mit Rücksicht
auf verschiedene Umstände das Jahr s8stä als das passendste
ausgewählt hat, sondern vielmehr die ängstliche Sorgfalt,
mit der man es vermeidet, bei diesen: Anlaß den Wider
strebenden vor den Aopf zu stoßen, hat man ja doch den dort
conzertirenden Musikkorps die größte Zurück
Haltung in Bezug auf Vorführung gewisser, alte
Wunden berührender, Musikstücke zur Pflicht
gemacht! Inwieweit dieß nach Lage der Dinge
gerechtfertigt war oder nicht, haben wir hier
nicht zu erörtern; freuen wir uns darüber, daß
die Ausstellung Gelegenheit gegeben hat, daß
Männer, welche sonst iin öffentlichen Leben nicht
dieselben Wege zu gehen pflegen, ein gemein-
sames Hnternehmen glanzvoll durchgeführt und
sich dabei gegenseitig achten gelernt haben.

Elsaß-Lothringen, Baden und die Rhein
pfalz haben sich hier mit ihren Erzeugnissen
ein Stelldichein gegeben, wobei aus die Reichs
lande ungefähr die Hälfte aller Aussteller kommt.

Wie schon in der Einleitung bemerkt, fällt dabei
dem Aunstgewerbe nur ein verhältnißmäßig be-
scheidener Antheil zu; inmierhin ist er groß
genug und in mancher Einsicht sogar von so
hoher Bedeutung, daß eine genaue Betrachtung
desselben am Platze ist.

Stellen wir wieder das Mobiliar und die
Zimmereinrichtungen obenan, so ist zunächst
festzustellen, daß auch hier — ähnlich wie in
Lübeck — eine Schwenkung zu einfacherer Ge
staltung desselben wahrzunehmen ist, allerdings
nicht in gleichen: Maaß wie dort; :nan steht
den auf klarere, einfachere Struktur der Möbel
gerichteten Bestrebungen noch etwas fre:::der als
in: Norden gegenüber, und besonders die Arbeiten
einiger Möbelgeschäfte in Baden — Freiburg,

Eberbach, Baden-Baden — leiden noch an Neber-
fluß der Phantasie. In den :neisten Fällen gibt
die Renaissance den Grundton an und zwar nicht
nur in den aus Nachahmung alter Arbeiten ab-
zielenden Stücken,') sondern überhaupt. Bon
einen: englischen Einfluß aus das Mobiliar ist
hier sehr wenig zu verspüren, noch weniger
von einen: amerikanischen — inan müßte denn
in letzterer Hinsicht auf die von einen: Straß
burger gebrachten, sich durch mehrfache Absurdi
täten auszeichnenden polftermäbel verweisen.

Außer einigen weniger bedeutenden Zimmer-
einrichtungen nähert sich das nach Entwurf von Prof. A. Se d e r,
den: Direktor der städtischen Aunstgewerbeschule zu Straßburg st,

’) lütc. 3. B. bei denen von K. Al0 h-Gberebnheim (U.-Elsaß)
und bei anderen Lopien alt-elsässischer Tischlerein, oder bei dein mehr
in französischem «Geschmack gehaltenen, dabei ungemein sauber durch-
geführten Vorplatz mit Kamin, Treppenanfang, Thüre re. von
Aichin g er & vuber- Mülhausen, —

7) Die sehr interessante Ausstellung dieser Schule soll an anderer
Stelle eine besondere Besprechung erfahren.

von Rapp Sohn in Straßburg geschaffene „Studierzimmer"
einigermaaßen der englischen Bauweise des Mobiliars. Und
doch haben wir hier etwas ganz Neues, Eigenartiges vor
uns, eine Schöpfung wie sie nur eine starke und durchaus
selbständige künstlerische Persönlichkeit zuwege bringt, die
aber durch verschiedene Neuheiten und bisweilen gewagte
Einzelheiten — Eonstruktion der Thüre, Gestaltung der Sitz
nröbel, Dekoration der Füllungen zur Aritik herausfordert.

Entschieden neu ist zunächst die unum-
schränkte Herrschaft, welche die Bemalung
hier ausübt: während bei gothifchen: und
englischen: Mobiliar meist die holzsarbe
die Stimmung angibt, wird diese hier durch
einen Hellen Farbenanstrich bestimmt: das
ganze Geniach sammt Thüren und Bücher-
gestellen, Tisch- und Sitzmöbeln erstrahlt
in einen: hellgelben, fast weißen Farbenton,
der nur in den flachgeschnitzten Füllungen
und Bekrönungen an Möbeln, Thüren und
Vertäfelungen durch Gold und leichte bunte
Färbungen variirt wird. Die seinen, roth-
blau schillernden Seidenkissen- und Vor-
hänge geben allein einen kräftigeren Ton
an. — Heber die Art, wie in Füllungen rc.
der Pflanzenschmuck verwendet ist, tauchen
indessen schwere Bedenken aus; — ebenso
darüber, ob eine derartige, durch ihr freund-
liches Aeußere so bestechende, aber gegen
Beschädigung so enipfindliche Zimmer-
ausstattung eine „Zukunft" hat oder nicht.

Gleichfalls völlig abweichend von allem
herkömmlichen ist das Spielzi:nmer von
ch l e i f f e r - Straßburg, in welchem
auch das von uns auf Tafel 4 dieses Jahr
ganges abgebildete Billard Aufstellung ge-
sunden hat. Japanische Stilformen auf
unsere Wohnräuine zu übertragen, dürste
n:it Recht als eine Turiositätensucht be-
zeichnet werden; aber wo das „Spiel" den
Zweck des Raumes ausinacht, da ist es
wohl erlaubt, auch die Ausgestaltung des
Rau:::es zu einen: fröhlichen Spiel zu

— Verwandt

damit hinsichtlich des orientalisirenden Tha-
rakters ist das Rauchzimmer von Th.
Hackenschn:idt-Straßburg, in welchem
nicht nur das Mobiliar jAbb. 98), folgern
auch die Wände in Weiden-, bez. Rohr-
geflechten hergestellt sind: die Wandfelder in
stumpfem hellgrün werden von den dunkel-
grünen Einsassungsstreisen durch gespaltene
Bambus- bez. Pfefferrohre getrennt - die ganze kühle Farben-
stimmung paßt so recht für ein Sommerhaus!

Von den den: Mobiliar dienenden hilfskünsten ist wenig
zu melden; die Drechslerei ist durch ein paar hübsche
Spinnrädchen vertreten; unter den Schnitzereien erregen
vielleicht das meiste Interesse die Riesenfässer der mechanischen
Aüserei Aktiengesellschaft, vorm. Frühinsholz-Schiltig-
hei:n. Unter den Intarsiaturen erreichen jene von Paul
Macco Heidelberg jedenfalls die höchste Vollendung;

92. Himmelbett.

Museum Steen, Antwerpen.
(Nach Isendyck; vgl. Heft 8, S. 65.)
 
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